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Forever young: Warum das Silicon Valley zu Diabetesmedikamenten greift

Das Silicon Valley träumt einen neuen Traum: den des ewigen Lebens. Bislang griffen die Schönen und Reichen zu Botox, nun ausgerechnet zu einem Diabetesmedikament. Was ist dran an den Verheißungen?

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Benjamin Franklin schrieb 1789, dass nichts in dieser Welt sicher sei „außer dem Tod und Steuern“. Nicht erst seit den Panama und Pandora Papers darf kein Zweifel gehegt werden, dass der amerikanische Geldadel letztere Unbequemlichkeit weitestgehend aus dem Weg geräumt hat. 230 Jahre nach Franklins Tod macht man sich nun an erstere.

Während man in der Vergangenheit vor allem an den ästhetischen Nebeneffekten des Alters ansetzte und auf Botox, Hyaluron und Saftkuren setzte, setzt sich das Who-Is-Who des Silicon Valley nun ambitioniertere Ziele: Wie Oscar Wildes berühmte Romanfigur Dorian Gray will man das Altern selbst überlisten. Peter Thiel, der vielleicht berühmteste Techinvestor im Valley und selbst Financier mehrerer Longevity-Start-ups, schreibt im Magazin Cato, er sei „[ganz einfach] gegen die Unausweichlichkeit des Todes“. Wie weit Thiel et al. gewillt sind zu gehen, um den unausweichlichen Fängen des Todes etwas länger zu entgleiten, parodierte die HBO Serie „Silicon Valley“: In der Episode „Blood Boy“ lässt sich einer der Charaktere, der nicht zufällig an Thiel erinnert, Bluttransfusionen von einem jungen Mann spritzen. Thiel selbst hatte 2015 in einem Interview mit Inc.com Interesse an dieser möglichen Therapieform gezeigt. Ein Start-up mit dem etwas kitschigen Namen „Ambrosia“ bot tatsächlich Bluttransfusionen junger „Spender“ für gut 8000 Dollar pro 1,5 Liter an. Die Nachfrage schien sich in Grenzen gehalten zu haben. Noch ein Mix von Scharlatanerie und Pseudomedizin wird der globale Markt für Longevity-Pharmazeutika im Moment auf acht Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Doch 2021 stehen wir, so scheint es, am Anfang einer möglichen Revolution.  

Die Jugend träumt von Reichtum, die Reichen von Jugend

Traditionell sind auf Longevity fokussierte Biotechs kein prädestiniertes Feld für Wagniskapitalgeber. Selbst geduldigen Investoren sind die Zeitspannen von Studien, die erhöhte Langlebigkeit beweisen, zu lang. Nun aber scheint sich der Wind gedreht zu haben. Neueste Durchbrüche in von Künstlicher Intelligenz getriebener Wirkstoffentdeckung, ein Gebiet, welches sich zwischen 2019 und 2020 auf knapp 14 Milliarden Dollar verfünffacht hat, und der Zellforschung haben prognostizierte Entwicklungszeiten so weit verkürzt, dass Investitionen langsam, aber sicher attraktiv werden. Die renommierte Stanford-Universität hat seit diesem Semester sogar schon den passenden Kurs im Angebot: Longevity Venture Capital.

Eine Firma, die gerade viel Aufmerksamkeit erregt, ist das erst dieses Jahr gegründete Altos Labs im Silicon Valley. In nur wenigen Monaten hat sie mehr als 270 Millionen Dollar an Wagniskapital eingesammelt. Ein Teil davon, so wird berichtet, von niemandem geringeren als Amazon-Gründer Jeff Bezos. Weltweit führende Stammzellenforscher werden mit Gehältern von mehr als einer Million Dollar – plus Unternehmensanteilen – nach Kalifornien gelockt. Stimmen die Gerüchte, so tritt Bezos in die Fußstapfen der Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin. Ihre „California Life Company“ ist seit gut acht Jahren aktiv. Obwohl auch fast zehn Jahre später von keinem Durchbruch zu hören ist, haben die Google-Holding Alphabet und der Pharmakonzern AbbVie bereits 3,5 Milliarden Dollar in die Firma investiert, zuletzt gut eine Milliarde im Juli 2021. Auch Oracle-Gründer Larry Ellison lässt sich nicht lumpen und spendete der Altersforschung 370 Millionen Dollar.

Auch an den Hund ist gedacht

Die im September gegründete „Longevity Science Foundation“ will als Konsortium von Wissenschaftlern, Unternehmen und Forschungseinrichtungen das Feld nicht ganz amerikanischen Techmilliardären überlassen. Ihr Ziel ist es,  in den nächsten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar in Projekte zu investieren, die die Lebenserwartung auf „über 120 Jahre“ heben könnten. Im Moment gelten das Diabetesmedikament Metformin und das Immunsuppressivum Rapamycin als aussichtsreichste Kandidaten. Eine vielbeachtete Studie aus dem Jahr 2014 kam zu dem Schluss, dass die Lebenserwartung für Patienten, die mit Metformin für Diabetes Typ 2 behandelt wurden, länger war als jene der nicht an Diabetes leidenden Kontrollgruppe, die das Medikament nicht nahm. Auch wenn die Resultate vielversprechend sind, sollte sich noch niemand einfach so Metformin verschreiben lassen. Die Forschung steht erst am Anfang.

All die Initiativen könnten nicht nur das Leben der Menschen verlängern, sondern auch das ihrer innig geliebten Begleiter: Der Investor San Franciscos Cellular Longevity kündete Ende September eine 27 Millionen Dollar große Finanzierungsrunde an, um die Lebenserwartung von Hunden zu steigern. Die Vierbeiner leben wesentlich kürzer als Menschen. Studien können damit viel schneller aussagekräftige Resultate liefern – und einen schon heute großen Markt weiter vergrößern: Amerikaner gaben im vergangenen Jahr bereits satte 100 Milliarden Dollar für ihre Haustiere aus.

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Noch kaufen auch Jeff Bezoses Milliarden Dollar kein signifikant längeres Leben. Journalisten und Kommentatoren wie Paula Froelich in der New York Post diagnostizieren jenen schnell (und überheblich) einen „Gott-Komplex“. Doch was ist per se falsch daran, das menschliche Leben verlängern zu wollen? Die Krebsforschung macht schließlich nichts anderes. Die Hybris des Silicon Valley muss manchmal als lästiger Nebeneffekt toleriert werden, wenn sie dem wissenschaftlichen Fortschritt dient, von dem auf lange Sicht ein Großteil der Bevölkerung profitieren könnte. Auch wenn man selbst gerne spottet, wer kann schon ehrlich zugeben, dass er nein zu einer Pille sagen würde, die die gesunde Lebenszeit verlängert?

Mehr zum Thema: Nie war ein US-Präsident bei Amtsantritt so alt wie Joe Biden. Das weckt Bedenken. Doch etliche Unternehmer beweisen, dass sie auch im hohen Alter noch leistungsfähig sein können – weil sie Körper und Geist trainieren.

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