Vor allem aber belegt die neue Produktklasse, dass der Boom der Smartphones nicht zwangsläufig das Ende traditionellen Kamerabaus bedeuten muss. „In meine Workshops kommen zunehmend junge Leute, die übers Handy ihre Liebe zum Bild entdeckt haben und die sich jetzt fürs kreative Fotografieren wie etwa das Spiel mit der Tiefenschärfe begeistern“, sagt Profifotograf Ritschel.
Auch darum kritisiert er scharf, wie die Produktstrategen der traditionellen Fotoriesen bisher auf die Handykonkurrenz reagierten: „Die Antwort war eine Flut neuer Kompakter im Halbjahrestakt, mit immer neuen Pixelrekorden statt einem klaren Fokus auf die Bildqualität“, moniert Ritschel. Jetzt aber mache sich in der Industrie endlich die Erkenntnis breit, dass sich Fotoapparate nur durch Qualität und kreative Aufnahmemöglichkeiten von den Smartphones absetzen können, so der Fotoprofi. „Das braucht auch deutlich größere Bildsensoren, als die auf schlanke Baugröße getrimmten Handys sie bieten können.“
Inzwischen sehen das auch prominente Vertreter der traditionellen Fotowelt so. „Erst hat die Branche Smartphones als Konkurrenz ignoriert und dann zu lange als Gegner betrachtet“, sagt etwa Canons Europachef, der Niederländer Rokus van Iperen. „Ein Irrtum, liefert uns die Handyfotografie doch gerade die Kunden, die morgen unsere Kameras und Serviceangebote nutzen sollen.“
Technik ist nur noch Mittel zum Zweck
Nur, wie erreichen die Hersteller die neuen potenziellen Käufer? Sicher nicht mit den Konzepten traditionellen Fotomarketings: „Leuten, die via Handy bisher vor allem Gebrauchsfotos fürs schnelle Teilen in sozialen Netzen geschossen haben, die begeisterst du nicht mit Regalen und Messeständen voller Riesenobjektive“, sagt Fotoblogger Spoerer.
Auch für Canon-Europachef van Iperen ist klar: „Die neue Generation der kreativen Fotografen begeistert sich nicht mehr für Technik um ihrer selbst willen. Sie ist ihnen nur Mittel zum Zweck, Emotionen aufs Bild zu bannen.“
Entsprechend radikal bauten die Japaner gerade erst auf der Photokina in Köln, der Leitmesse der Branche, ihren Auftritt um: Statt der üblichen Neuheitenflut zeigten sie dieses Jahr als Ankerprodukte nur eine neue Spiegelreflexkamera – und mit der Powershot G7 X einen Neuling aus der aufstrebenden Ein-Zoll-Klasse. Was die etwa in fast völliger Dunkelheit noch ohne Blitz an Details auf den Fotosensor bannt, konnten die Messebesucher anhand von Dioramenszenen in nahezu unbeleuchteten Testräumen am Rand des Standes gleich selbst ausprobieren.
Kameras an ihren Grenzen
Gerade bei solchen Szenen, etwa Aufnahmen in der späten Dämmerung, am Grillfeuer oder auch bei Feiern in Räumen, geraten selbst die besten Smartphones an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Bilder ohne Blitz werden verrauscht oder verwackelt. Durch die Mikrolinsen fällt schlicht nicht genug Licht auf deren winzige Fotosensoren, um ein klares, farbstarkes Bild zu erzeugen. Und wer den Aufheller dazuschaltet, sieht nach der Aufnahme allzu oft in kalkweiß-überblitzte Gesichter.
Und weil die bei herkömmlichen Kompaktkameras der Einstiegs- und Mittelklasse eingesetzten Sensoren ebenfalls nicht viel größer sind als ein halber kleiner Fingernagel, ist auch da kaum mehr Bildqualität zu holen – und der Qualitätsunterschied zu Handys kaum mehr erkennbar.
„Die Industrie war zu lange nicht wirklich innovativ“, sagt Haruo Ogawa, Chef der Kamerasparte bei Olympus. Seine Antwort ist, „große Qualität klein zu machen. Kompaktere Bauformen, weniger Gewicht, das kommt bei den Kunden an.“ Ogawa wagte mit seinen Pen- und OM-D-Systemkameras und deren noch oberhalb des neuen Ein-Zoll-Formats angesiedelten Fotochips vor gut vier Jahren erste Schritte ins Segment handlicher Qualitätskameras.
Inzwischen haben Fotofans mit Hang zur Kreativität die Wahl zwischen zahlreichen kompakten Kamerakonzepten.