Nach kontroversen Debatten hat der deutsche Bundestag nun endlich ein Gesetz für das autonome Fahren verabschiedet. Der Rechtsrahmen für Autos, die sich selbstständig ihren Weg durch den Straßenverkehr bahnen, ist damit geschaffen. Technisch aber lässt der Durchbruch trotz gewaltiger Investitionen der Industrie bisher auf sich warten. Zwar können einzelne Anbieter, wie die Google-Tochter Waymo oder das Unternehmen Cruise, das zu GM gehört, inzwischen beeindruckende Teilerfolge vorweisen. So fahren Taxis mit der Waymo-Technik führerlos Fahrgäste in einigen amerikanischen Großstädten von A nach B – allerdings immer nur in einem geografisch eng definierten Bereich. Noch fehlt ein universell einsetzbares, sicheres System. Doch das rückt nun in greifbare Nähe.
Die Schlüsselrolle bei seiner Entwicklung kommt der Künstlichen Intelligenz (KI) zu, die aus den Daten der Sensoren wie Kameras, Radar, Ultraschall oder Lidar die richtigen Fahrmanöver ableitet und ausführt. Ein Problem dabei ist bislang der enorme Aufwand, der zum Trainieren dieser KI nötig ist. So müssen etwa Bilderkennungs-Algorithmen, die beim autonomen Fahren von zentraler Bedeutung sind, mit Milliarden von Bildern in unzähligen Wiederholungsschleifen so oft trainiert werden, bis sie bestimmte Gegenstände oder Lebewesen eindeutig identifizieren.
Dabei werden dem KI-System zum Beispiel so lange Bilder von spielenden Kindern oder Stoppschildern gezeigt, bis das System diese zu 99,9999 Prozent sicher erkennt. In schwierigen Grenzfällen, etwa Bildern von schief stehenden, mit Graffiti verunzierten Schildern oder hell gekleideten, unbewegten Kindern vor hellem Hintergrund, versehen heute Menschen in Niedriglohnländern wie den Philippinen Millionen von Bildern manuell einzeln mit Semantik-Markern, so genannten Tags. Die KI wird damit weiter trainiert, indem man ihr immer wieder solche markierten Bilder vorlegt: „Auch das ist ein Kind.“
Autobrains, ein Start-up aus Tel Aviv, soll nun einen revolutionär anderen Ansatz entscheidend weiter entwickelt haben. Wie die WirtschaftsWoche exklusiv aus Investorenkreisen erfuhr, will mit Continental ein erster großer Zulieferkonzern die Technologie der Israelis in seinen Systemen für das autonome Fahren einsetzen. Am Mittwoch hat Conti seine Pläne einer Gruppe von Investoren bei der Bank of America in New York vorgestellt. Der Zulieferer habe das System der Israelis bereits umfangreich getestet und könne dessen Vorteile in der Praxis weitgehend bestätigen, hieß es auf der Investorenkonferenz.
Auch Facebook meldet jüngste Erfolge
Der neue Ansatz wird schon länger erforscht und fungiert unter dem Namen Unsupervised AI, deutsch etwa: „nicht angeleitete KI“. Im Gegensatz zum herkömmlichen Ansatz sollen die KI-Programme dabei selbst verlässliche Kriterien zur Objekterkennung entwickeln und ihre Algorithmen verfeinern. Die Vorteile laut Conti-Präsentation: Die Entwicklung der neuen KI-Systeme kommt mit einem Zehntel der bisherigen Datenmenge und Rechnerleistung aus. Die Entwicklungszeiten und die Kosten würden dadurch erheblich verkürzt.
Im Aufsichtsrat der Israelis sitzt unter anderem der ehemalige Conti-Chef Karl Thomas Neumann. „Unsupervised KI ist ausgesprochen spannend, da sie den gesamten Mainstream der aktuellen KI-Entwicklungen rund ums autonome Fahren in Frage stellt“, sagt er. Wenn das Konzept sich durchsetze, würden selbstfahrende Autos schneller flächendeckend einsetzbar, weil sie zum Beispiel neue Situationen, auf die sie noch nicht explizit trainiert seien, besser meistern.
Autobrains, das wie viele israelische Start-ups von ehemaligen KI-Spezialisten des dortigen Militärs gegründet wurde, ist nicht das einzige Unternehmen, das an Unsupervised KI forscht. So vermeldete wenige Tage vor der Conti-Präsentation überraschend auch Facebooks KI-Team einen wichtigen Schritt bei dem neuen Ansatz. Man habe damit „große Fortschritte in der automatisierten Bilderkennung“ gemacht, schreiben die Facebook-Forscher in ihrem firmeninternen Blog. „Facebooks Unsupervised KI-Software ist es erstmals gelungen, eigenständig Objekte und Personen in Videos zu identifizieren, ohne dass diese Software zuvor mit entsprechenden Informationen zu den Objekten von außen gefüttert wurde.“
Das System arbeite ähnlich wie das menschliche Gehirn beim Sehen, so die Facebook-Forscher, bei dem das Gehirn ebenfalls nur einen kleinen Teil der zur Objekterkennung nötigen Daten vom Sehnerv beziehe und den überwiegenden Teil anhand bestimmter Kriterien selbst erzeuge. Fachleute sprechen hierbei von Objektsegmentation. Sie galt bisher als eine der größten noch ungelösten Aufgaben auf dem Weg zu selbst lernenden Kamerasystemen, wie sie auch das autonome Fahren revolutionieren könnte.
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