Ein kleiner Scherz – und an eine Männerfreundschaft war nicht mehr zu denken. Ron Dennis hatte gerade Mercedes als Motorenpartner für McLaren gewonnen und den Schweizer Rennstall Sauber – mit dem Heinz-Harald Frentzen (Markenname: HHF) in der Formel 1 unterwegs war – dadurch gezwungen, sich kurzfristig einen neuen Lieferanten zu besorgen. Der britische Rennsportmanager verstand aber keinen Spaß, als die rheinische Frohnatur ihm riet, nun für die Zusammenarbeit mit Mercedes Deutsch zu lernen: Dennis wechselte mit Frentzen nie wieder ein Wort und machte ihm in den Jahren danach auch nie ein Angebot, für McLaren Rennen zu fahren.
Fast 20 Jahre müssen vergehen, bis der Formel-1-Vizeweltmeister von 1997 am Steuer eines McLaren Platz nehmen darf. Zur Testfahrt haben die Briten allerdings keinen Formel-1-Boliden ins Rheinland geschickt, sondern einen Rennwagen für die Straße: den McLaren 12C, 625 PS stark, über 300 km/h schnell und vorsichtshalber in Grellorange lackiert – so übersieht ihn garantiert kein anderer Verkehrsteilnehmer. Der Achtzylinder lässt schon im Leerlauf Rennfieber aufkommen, so wie er grummelt, bollert und schmatzt. Frentzen muss nicht lange gebeten werden – kaum ist die Schmetterlingstür nach oben geschwungen, hat er sich schon über den breiten Schweller in den Schalensitz geschwungen. "Wohin geht’s?" Egal, der Weg ist das Ziel – und die Autobahn frei.
Der McLaren 12C auf Testfahrt
Schein und Sein
Natürlich gibt es irgendwo im Handschuhfach eine Bedienungsanleitung. Da kann sie aber auch bleiben, denn der McLaren gibt, wie es sich für einen Sportwagen gehört, keine Bedienrätsel auf. Drehzahlmesser und Tachometer, Starterknopf in der Mittelkonsole und Schaltwippen hinterm Lenkrad. Das reicht fürs Erste. Wer mag, kann vor dem Start noch die Fahrdynamik per Knopfdruck vorkonditionieren: N wie Normal (zum Brötchenholen), S wie Sport (zum Fitnesstraining) oder T wie Track (zur Rennstrecke). Alles andere (Radio, Klima, Navi) wird über einen iPad-ähnlichen Großbildschirm in der Mittelkonsole gesteuert – wenn man es denn je braucht. Auf beleuchtete Schminkspiegel und Einparkhilfen haben die Briten bei der Entwicklung des Lastenhefts ohnehin keine Sekunde verschwendet – der McLaren ist eh als reines Männerspielzeug konzipiert.
Die Rundumsicht ist vom Fahrersitz aus, na ja, bescheiden. Dafür ist der Blick auf die Radhäuser und die abfallende Fahrzeugfront perfekt. Form follows function, nach einem bekannten Bonmot "das Gestaltungsprinzip echter Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele", hat der Sportwagenbauer beim C12 perfekt umgesetzt. Alle Linien stehen im Dienst der Aerodynamik, nichts ist überflüssig, nichts aufgesetzt. Das Ergebnis ist ein schnittiger, flacher und erfreulich schlanker Sportwagen, der schon im Stand für feuchte Handflächen beim Betrachter sorgt. Wie wird es dann erst auf der Piste?
Saus und Braus
Das hängt davon ab, wie man den Wagen bewegt, ganz entspannt – oder wie HHF im Kampfmodus. Schon die Auffahrt zur Autobahn nimmt er forsch. Keine Sorge, der Motor ist bereits warm gefahren. Auf der dreispurigen Geraden, die an diesem frühen Sonntagmorgen wie leer gefegt ist, gibt es dann im Sportmodus kein Halten mehr. Ein kurzer Gasstoß – und die Nadel des Tachos schießt über die 100er-Marke hinaus,. Kurz darauf liegt Tempo 200 an, dann 250, 300. Der Motor, der beinahe unmittelbar hinter der Rückenlehne montiert ist, brüllt dabei wie ein Löwe. Macht das jetzt Sinn? Nicht unbedingt, aber es macht Spaß.
Beeindruckende Beschleunigung
Die Beschleunigungskraft ist atemberaubend – der starke Motor hat leichtes Spiel mit dem dank Kohlefaserchassis und Kunststoffkarosserie nur 1474 Kilo schweren Auto. Auch Frentzen ist beeindruckt: "Mittelmotorwagen waren schon immer sehr gut zu fahren. Aber das Ansprechverhalten des Biturbomotors ist erste Sahne." Die "Driveability" (Fahrbarkeit) des Wagens sei eindeutig das Werk von Formel-1-Ingenieuren: "Die wissen, wie man ein Auto abstimmen muss, damit der Fahrer ohne Risiko ans Limit gehen kann."
Die Ingenieure bei McLaren wissen aber auch um die Kunst einer wirkungsvollen Verzögerung, wie sich nach dem Spurt in der Autobahnausfahrt zeigt: Die Keramikbremsen packen so heftig zu, dass der Sicherheitsgurt ins Fleisch schneidet. Für leichte Schmerzen sorgt auch der Blick auf den Bordcomputer: Wo vor einer halben Stunde noch ein Durchschnittsverbrauch von acht Litern von zurückhaltender Fahrweise kündete, steht nun ein Wert von 25,2.
Schalten und Walten
Den McLaren gibt es ausschließlich mit einem Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe von Oerlikon. Geschaltet wird wie in der Formel 1 über zwei Wippen rechts und links vom Lenkrad – wenn man denn mag. Denn im Automatikmodus arbeitet es auch für einen Rennfahrer "unglaublich harmonisch", wie Frentzen konstatiert. "Es passt perfekt zu einem Turbomotor, weil der Ladedruck durch die superschnellen Schaltvorgänge nicht abfallen kann", doziert er – nur Profis schaffen das auch per Hand.
Fast noch mehr beeindruckt ihn aber die Straßenlage des McLaren bei der Fahrt durch die Nordeifel: Kein Wackeln, kein Zappeln – der Wagen liegt auch in Kurven und auf Buckelpisten wie ein Brett auf der Piste. In einer scharfen Linkskurve scheint der McLaren geradewegs auf zwei Motorradfahrer zuzusausen, die sich am Randstreifen eine Zigarettenpause gönnen. Die beiden reißen vor Schreck die Augen auf, als der McLaren hochtourig in die Kurve geht und ohne den leichtesten Drift an ihnen vorbei bergauf schießt. Wow. Schnelligkeit ist offenbar doch keine Hexerei.
Auch in der Eifel haben der lange Winter und die klammen kommunalen Kassen tiefe Schlaglöcher in die Landstraßen gerissen. Doch das Fahrwerk kommt spielend damit zurecht: Dämpfer und Federung sind für einen Supersportwagen sehr komfortabel abgestimmt. Sogar im Sportmodus auf Altsteinpflaster – ja, man kann ihn durchaus auch langsam bewegen – müssen kariesgeplagte Menschen nicht um ihre Zahnfüllungen bangen. Und dank des Chassis aus Kohlefaser bleibt es auch bei der Fahrt über die Marterstrecke absolut ruhig im Gebälk.
Geld und Kapital
Etwa eine Viertelmillion Euro verschlingt die Anschaffung des McLaren C12. Der Listenpreis ist etwas niedriger. Aber wer derartige Summen für ein Auto aufbringt, wird vor den Preisen nicht zurückschrecken, die McLaren für allerlei nette Kohlefaser-Extras verlangt: Zierteile fürs Interieur, Anbauten für die Karosserie, Rahmungen für den Motor. Der Brite bewegt sich in guter Gesellschaft. Seine Hauptwettbewerber – Porsche Turbo, Mercedes SLS GT oder Ferrari 458 sind kaum günstiger.
Bleibt die Frage: Ist ein Auto, das weder über Abstandsradar noch über Hybridantrieb verfügt, das eher als Sportgerät denn als Transportmittel dient, ein solches Investment wert? Frentzen überlegt nicht lange: "Klar." Der McLaren huldige zwar Tugenden, die heute nicht mehr hoch angesehen sind – Leistung, Dynamik, Direktheit – und sei somit ein Sportwagen alter Schule. Aber darin sei er "einer der Besten".
Das muss sogar ein Ökoaktivist anerkennen, der sich an der Tankstelle zunächst über die Krawallkiste empört. Deutlich ruhiger wird er nach einem Blick auf den Bordcomputer. Nach 500 Kilometern weist der nämlich einen Durchschnittsverbrauch von etwas mehr als 10 Litern aus. Ein Ökomobil ist der McLaren damit nicht. Aber sicher auch kein Klimakiller.