Wirtschaft von oben #264 – Pekings Mauern der Macht: Hier kann China halb Asien das Wasser abdrehen
Den Brahmaputra lässt die Regierung hier in mehr als 3500 Metern Höhe mehrfach aufstauen, um Strom zu erzeugen.
Foto: LiveEO/Pleiades NeoDie Sorge in den Nachländern ist groß: Denn reihenweise baut China zurzeit im tibetischen Hochgebirge Staudämme an den Oberläufen von Flüssen, die für Südasien wichtig sind. Das Land könne so in Zukunft Wasser als Waffe einsetzen, Lebensadern wie dem Ganges, dem Brahmaputra oder dem Mekong den Zufluss abdrehen, um Länder etwa bei einem geopolitischen Konflikt um Taiwan unter Druck zu setzen.
Neueste Satellitenbilder von LiveEO zeigen nun, wie massiv Chinas Dammbau voranschreitet. In den meisten Fällen geht es vordergründig darum, den enormen Energiehunger des Landes zu stillen, mithilfe der Dämme Strom zu erzeugen. Fast alle großen Ströme des indischen Subkontinents und von Südostasien entspringen in Tibet, wo sie etwa von den Gletschern des Himalaya gespeist werden.
China baut die Staudämme dabei in einem der unzugänglichsten Gebiete der Welt. Der Brahmaputra (in Tibet Yarlung Tsangpo genannt) fällt fast 3000 Meter ab, wenn er eine scharfe südliche Kurve vom Himalaya nach Indien nimmt. „Der höchstgelegene große Fluss der Welt fließt dabei durch die längste und steilste Schlucht der Welt“, beschreibt Brahma Chellaney, ein emeritierter Professor und früherer Sicherheitsberater der indischen Regierung, die Gegend. Diese Schlucht sei zweimal so tief wie der Grand Canyon in den USA. Ringsherum erheben sich mehrere Siebentausender des Himalaya.
Genau an dieser Stelle will die Zentralregierung in Peking nun den größten Staudamm der Welt bauen lassen, um die enorme Energie auszubeuten, die die Gravitation hier bereit stellt. Viele bezeichnen das geplante Bauwerk als den ersten Superdamm der Erde. Er soll mit 60.000 Megawatt dreimal so viel Strom erzeugen wie der Drei-Schluchten-Staudamm am Yangtze, der bisherige Rekordhalter. Das entspricht der Leistung von 40 Atomkraftwerken.
Das bereits beschlossene Megaprojekt soll nahe des Örtchens Medog entstehen, das auf einem kleinen Plateau über dem rund 200 Meter breiten Fluss thront. Noch aber zeigen aktuellste Satellitenbilder vor Ort hierfür keine Bauaktivitäten. Sichtbar ist allerdings eine neue 67 Kilometer lange Straße, die die Regierung hier für mehr als 300 Millionen Dollar durchs Hochgebirge hat bauen lassen. Darüber kann sie Baumaterial und schweres Equipment für den Dammbau aus der Stadt Nyingchi anliefern, wo immerhin heute eine Viertelmillion Menschen leben.
Dass es China ernst meint, zeigt sich ein paar Hundert Kilometer flussaufwärts. Hier lässt Peking gerade einen Damm zur Stromerzeugung nach dem anderen bauen – jeder mit der Kapazität von mindestens eines Drittel Atomkraftwerks. Acht Stück sollen es allein an dieser Stelle des Brahmaputra einmal werden. Bisher zeigen aktuelle Satellitenbilder drei fertiggestellte und zwei, die sich gerade im Bau befinden.
Der Dagu-Damm ist die bisher größte vollendete Talsperre in dieser Gegend. Sie hat zwei Wasserdurchläufe zur Stromerzeugung, die insgesamt 640 Megawatt leisten. Zum Vergleich, ein mittleres Atomkraftwerk schafft es auf rund 1400 Megawatt. Satellitenbilder zeigen, dass die ersten Arbeiten am Dagu-Damm, der in 3700 Metern Höhe liegt, schon 2017 begonnen hatten. 2021 wurde er offenbar in Betrieb genommen, das Staubecken dahinter gefüllt. Die hier auch mit Hilfe deutscher Unternehmen gebauten Dämme sind zwar mehr als 100 Meter hoch. Weil die Hänge rechts und links aber oft sehr steil sind, kann sich das Wasser anders als in gewöhnlichen Stauseen kaum ausbreiten. Die Menge, die diese Dämme aufstauen können, ist daher geringer als anderswo.
Bilder: LiveEO/Sentinel, LiveEO/Spot
Kritik gibt es dennoch, und nicht nur von den Anrainerstaaten. In Wirklichkeit seien die Dämme weder umweltfreundlich noch für die lokale Bevölkerung von Vorteil, so die tibetische Exilregierung. Sie seien Teil einer staatlich gesteuerten Strategie, um massenhaft chinesische Migranten in der nordöstlich gelegenen Kongpo-Region in Tibet dauerhaft anzusiedeln. Das werde die lokale tibetische Identität beeinträchtigen, das hydrologische Gleichgewicht im gesamten Nordosten Indiens erheblich destabilisieren.
Gerade mal sieben Kilometer flussabwärts entsteht den Satellitenaufnahmen zufolge gerade der Jiexu-Damm. Der soll eine Leistung von 540 Megawatt haben. Die Bilder zeigen, dass die Arbeiter Tunnel in den Berg gebrochen haben, durch den sie das Wasser des Flusses umleiten. Im Flussbett haben sie eine Barriere aufgeschüttet, in der nun der Damm aus Beton und Stahl errichtet wird. Das Gefälle des Brahmaputra macht es möglich, die Dämme in kleinen Abständen zu errichten.
Bilder: LiveEO/Sentinel, LiveEO/Spot
Bereits fertig sind die zwei nächsten Talsperren auf der Stecke: Der Zangmu-Staudamm, seit 2014 in Betrieb, hat umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar gekostet. Das Bauwerk ist fast 400 Meter breit und 116 Meter hoch. Acht Kilometer weiter liegt der rund eine Milliarde Dollar teure Jiacha-Damm, der 2020 dem Betreiber übergeben wurde. Rund 80 Kilometer Luftlinie östlich deuten die Satellitenaufnahmen darauf hin, dass die Arbeiten an einer weiteren Talsperre, dem Langzhen-Damm, begonnen haben.
Bilder: LiveEO/Pleiades Neo, LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Spot
Ein paar Tausend Kilometer flussabwärts wird der Bauboom in Tibet mit deutlichem Misstrauen beobachtet. Etwa von der Textilindustrie in Bangladesch, die besonders beim Färben von Kleidung auf große Mengen Frischwasser aus dem Brahmaputra angewiesen ist. So fürchtet man, dass China die Dämme nutzt, um Wasser abzuzweigen, in landwirtschaftliche Regionen zu pumpen.
In Indien mehrt sich zudem die Angst vor einer drohenden Flutkatastrophe. Die Talsperren liegen in einem seismisch aktiven Gebiet. Das mache sie zu einer tickenden Wasserbombe für die flussabwärts gelegenen Gemeinden in Indien und Bangladesch, warnt etwa Sicherheitsberater Chellaney. Im südöstlichen Tibet treffen die indische und die eurasische Platte aufeinander. So forderte ein Beben 2008 am östlichen Rand des tibetischen Plateaus 87.000 Menschenleben.
Manche Wissenschaftler fürchten gar, dass die Dämme selbst Erdbeben auslösen könnten, über das Gewicht des von ihnen aufgestauten Wassers.
Dass die Wasserpolitik Chinas Konsequenzen haben kann, haben die Menschen am südlichen Lauf des Mekong in Laos, Myanmar, Kambodscha, Thailand und Vietnam schon erlebt. So veröffentlichte die Denkfabrik Stimson Center in Washington 2020 detaillierte Belege, dass die Dämme Dürren auslösen. So habe im Jahr 2019 der obere Mekong höhere bis durchschnittliche Niederschlagsmengen erhalten. Doch während der Regenzeit hätten die Talsperren in China fünf Monate lang mehr Wasser als je zuvor beschränkt. Und das, obwohl flussabwärts gelegene Länder unter einer noch nie dagewesenen Dürre litten.
Hätte China das Wasser durchgeleitet, hätte der Mekong sein normales Wasserniveau halten können, so die Studie, die mithilfe von Wasserstandsdaten erstellt wurde. Der untere Oberlauf des Mekong ist in etwas flacherem Terrain gelegen, sodass sich Wasser hier besser ausbreiten kann als im engen Tal des Brahmaputra. Entsprechend mehr kann China hier in Stauseen zurückhalten. An einigen Stellen sind diese mehr als einen Kilometer breit.
China hat im Oberlauf des Mekong über Jahrzehnte elf Dämme gebaut. Gerade kommt mit dem Tuoba-Damm ein zwölfter dazu, zeigen neueste Satellitenbilder, zwei weitere sind flussabwärts kurz vor der Grenze zu Laos und Myanmar geplant.
Der Tuoba-Damm am Mekong ist dabei ein ganzes Stück größer als die bisher errichteten am Brahmaputra. Er soll laut dem Unternehmen GlobalData, das eine Datenbank über die Kraftwerke der Welt betreibt, mit 1400 Megawatt etwa die Leistung eines Atomkraftwerkes haben. Fertig soll er 2026 sein, 2027 in Betrieb gehen.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Sentinel, LiveEO/Spot
Auch wenige Kilometer nördlich sind in den letzten Jahren Dämme entstanden, der Lidi-Damm (420 Megawatt) und der Wunonglong-Damm (1000 Megawatt). Am Mekong baut China seit den 1990er-Jahren Staumauern. Schon damals gab es Bedenken, dass das Land diese als Druck- oder Diplomatiemittel einsetzen könnte. Diese Befürchtung ist in den vergangenen Jahren mit dem Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen und politischen Supermacht gewachsen.
So könnte China die Talsperren benutzen, um die öffentliche Stimmung in der Mekong-Region in seinem Sinne positiv zu beeinflussen, indem es gestautes Wasser in Dürrezeiten bereit stellt. Daten des Institute of Southeast Asian Studies in Singapur haben gezeigt, dass die US-freundliche Stimmung in der Bevölkerung im Jahr 2024 in Thailand und Laos in eine eher chinafreundliche Stimmung gekippt ist. In Vietnam und in Myanmar blieb sie eher den USA zugewandt. Das zeigt, wie leicht sich hier Mehrheitsverhältnisse in die jeweilige Richtung drehen ließen.
Schwer dürfte das in Indien fallen, das sich mit China in mehreren Regionen einen Grenzstreit liefert. Auch in unmittelbarer Nähe zu einer der umstrittenen Gegenden, am Fluss Mabja Zangbo (Humla Karnali), baut China gerade einen Damm. Es ist der erste an diesem wichtigen, wasserreichen Zufluss des Ghagharas und des Ganges, den zentralen Lebensadern Indiens. Hindus sehen im Ganges die personifizierte Flussgöttin Ganga.
Bilder: LiveEO/Sentinel, LiveEO/Spot
Satellitenbilder zeigen, wie die Regierung in Peking hier zuerst einen Flugplatz hat bauen lassen – mutmaßlich, um Arbeiter und Material in die verlassene Region weitab der großen chinesischen Metropolen zu bringen. Die indische „Hindustan Times“ berichtet zudem, dass China hier die Militärpräsenz erhöht hat. Ein Zeichen dafür, dass es diese als strategisch wichtig ansieht. Nun entsteht hier eine fast 500 Meter breite Talsperre.
Der Zweck des Bauwerks ist allerdings noch unklar. Bisher sind auf den Aufnahmen keine Anlagen erkennbar, die auf eine Stromerzeugung hindeuten. Beobachtern aus Indien zufolge könne China den Damm auch dafür nutzen, um Wasser in andere Gegenden zu leiten. Beobachter sind sich sicher, dass der Damm Auswirkung auf die Wassersicherheit in Indien haben und er die Beziehungen zwischen beiden Nationen weiter verschlechtern wird.
Weltweit gesehen ist China absoluter Spitzenreiter, was den Bau von kleinen und großen Talsperren angeht. Schätzungen zufolge hat das Land heute die unglaubliche Zahl von rund 90.000 Dämmen. Inzwischen gibt es auch Pläne in China, Südasiens letzten frei fließenden Fluss aufzustauen, den Salween. Der Nachbarfluss des Mekong, der ebenfalls in Tibet entspringt, fließt vor allem durch Myanmar. In der Vergangenheit hatte sich das Land gegen den Bau eines solchen Dammes gewehrt. Die Militärjunta aber, die 2021 durch einen Putsch an die Macht kam, ist international isoliert. Das lässt sie näher an China rücken, was wiederum eine Umsetzung dieses Dammprojektes wahrscheinlicher macht.
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