
Wenn andere Vorstandsmitglieder bei Messen oder Pressekonferenzen ins Rampenlicht traten, hielt sich Hans Dieter Pötsch meist lieber im Hintergrund. Als „Herr der Zahlen“ agierte Volkswagens erfahrener Finanzchef bisher eher hinter den Kulissen. Sein Einfluss im und sein Überblick über den riesigen Weltkonzern waren dabei aber stets beträchtlich.
Doch mit dem Wirken im Hintergrund dürfte es spätestens jetzt vorbei sein. Als neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns muss der 64-jährige Österreicher den Abgas-Skandal aufklären und das Unternehmen zusammen mit dem neuen Vorstandschef Matthias Müller aus der Krise führen. Während sich in vielen deutschen Aktiengesellschaften der Aufsichtsrat im Hintergrund arbeiten und kontrollieren kann, wird sich Pötsch bei VW kaum der Öffentlichkeit entziehen können.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Wie schwer das wird, lässt sich auch aus den Worten von Wolfgang Porsche nur erahnen. „Wir danken Herrn Pötsch, dass er sich in schwierigen Zeiten bereiterklärt, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen“, sagt Porsche laut einer VW-Mitteilung. Pötsch selbst dankte schlicht für das Vertrauen. „Ich werde alles tun, damit die Vorgänge restlos aufgeklärt werden“, wird der neue Chefkontrolleur zitiert. „Ich will und ich werde meinen Beitrag leisten, damit das Vertrauen von Kunden, Öffentlichkeit, Anlegern und Geschäftspartnern in Volkswagen wieder wachsen kann.“
„Der Wechsel ist kritisch zu sehen“
Doch die Kritik an der Wahl Pötschs ist groß – von Branchenexperten, aber auch Vermögensverwaltern. „Kein einziges VW-Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig – irgendwann kann so etwas zurückschlagen. Der Wechsel von Hans Dieter Pötsch in der Aufsichtsrat passt ebenso nicht in eine gute Corporate-Governance-Landschaft“, sagte Henning Gebhart, Aktienchef der Deutsche-Bank-Vermögensverwaltung, dem „Handelsblatt“. „Selbst wenn er sich in den letzten zwölf Jahren als Finanzvorstand große Verdienste erworben hat, ist ein Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat kritisch zu sehen.“





Noch deutlicher wurde Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer im „Deutschlandfunk“. „Den Finanzchef, der zwölf Jahre lang alle Entscheidungen mitgetragen hat, jetzt zum Oberaufseher zu machen über Gerichtsurteile, die Aktionäre links liegen zu lassen, keine Hauptversammlung zu machen, ist nach meiner Einschätzung ein Zeichen dafür, dass man es mit der Aufklärung wirklich nicht so ernst nimmt, wie man immer behauptet“, so der Leiter des CAR-Instituts. „Es gibt viele Fragen hinter Pötsch, auf der einen Seite durch seine Vergangenheit und auf der anderen Seite dadurch, dass er nach meiner Einschätzung es versäumt hat, seine Aktionäre auf diese großen Risiken hinzuweisen. Das heißt, auch hier stehen Aktionärsklagen ins Haus.“
Doch wer ist Hans Dieter Pötsch – der Mann, der jahrelang im Schatten von Martin Winterkorn die Finanzgeschäfte leitete und jetzt den Abgas-Skandal aufklären soll?