Bibel-Spektakel Passionsspiele ohne reiche Gaben

Die nur alle zehn Jahre aufgeführten Oberammergauer Passionsspiele sind ein touristisches Groß-Event. Aber das Bibel-Spektakel leidet unter der Finanzkrise - und damit auch der Geldsegen für die Kommune.

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Andreas Richter als Jesus (M) Quelle: dpa

Brezn, Bier und Weißwurst – da denkt jeder sofort an bayrische Lebensart. Basisdemokratie allerdings ist nicht unbedingt das, was Preußen und andere Uneingeweihte mit Bayern assoziieren. Trotzdem, es gibt einen Ort im Freistaat, wo alle wichtigen Entscheidungen nach genau diesem Prinzip gefällt werden: in Oberammergau.

Das 5260-Einwohner-Dorf im Landkreis Garmisch-Partenkirchen rund 70 Kilometer südwestlich von München mit seinen blumengeschmückten Balkonen, bemalten Giebeln und Holzschnitzereien ist die Gemeinde mit den meisten Bürgerentscheiden in Bayern und fast immer geht es um die wichtigste Sache im Ort: die Passionsspiele. Abgestimmt wird über Textänderungen, den Spielleiter oder neue Bühnenbilder. Per Bürgerbegehren wurde auch entschieden, dass verheiratete Frauen, evangelische Christen und sogar Muslime mitmachen dürfen.

Das große Engagement ist gut nachvollziehbar: „Der“ Passion, wie die Einheimischen sagen („die“ sagt nur, wer nicht dazugehört), hat für Oberammergau die gleiche Bedeutung wie VW für Wolfsburg oder Oetker für Bielefeld. Die Spiele sind das wichtigste Unternehmen im Ort: Die Gemeinde und ihre Bürger leben nicht nur für das Bibel-Spektakel, viele leben auch davon. Die nur alle zehn Jahre aufgeführte Show – 2010 ist wieder Passionsjahr, und am kommenden Samstag ist Premiere – war bisher mit einem Umsatz von zuletzt gut 150 Millionen Euro ein Wirtschaftsfaktor für die gesamte Region und mit einem Reinerlös von etwa 28 Millionen die wichtigste Einnahmequelle für die Kommune Oberammergau. Diesmal könnte der Gewinn deutlich geringer ausfallen: Wegen der Finanzkrise verkauft sich das Spektakel schlechter als früher – vor allem die Amerikaner bleiben aus.

Gäste aus der ganzen Welt

Die fast 380 Jahre alte Tradition geht auf ein Gelübde aus dem Mittelalter zurück. 1633 versprachen die Bürger, das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ regelmäßig aufzuführen, wenn sie dafür von der in Europa wütenden Pest verschont blieben. Kein Einwohner ist seitdem an der tödlichen Seuche gestorben – und auch in klingender Münze zahlt sich der fromme Handel bis heute aus. 1790 verkaufte die Gemeinde erstmals Eintrittskarten für das Passionsspiel. Fünf Vorstellungen gab es, am Ende blieb ein Überschuss von 600 Gulden in der Stadtkasse. 1880 kamen schon 100.000 Zuschauer, darunter auch die ersten Gäste aus dem Ausland, vermittelt vom Londoner Reisebürounternehmer Thomas Cook, der als Erfinder des Pauschaltourismus gilt. In der Spielzeit 2010 werden wie vor zehn Jahren rund 500.000 Besucher erwartet.

„Die Passionsspiele sind heute ein Tourismusmagnet für Urlaubsgäste aus dem In- und Ausland“, sagt Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT). Das Oberammergauer Spektakel ist zwar kein touristisches Massenereignis wie das Münchner Oktoberfest (sechs Millionen Besucher) oder die Kirmes in Düsseldorf (vier Millionen). „Die Spiele stehen in ihrer Bedeutung aber in etwa auf gleicher Höhe mit sportlichen Groß-Events wie der Leichtathletik-Weltmeisterschaft“, sagt die DZT-Chefin.

US-Verkauf läuft schleppend

Zum Wirtschaftsfaktor wird das fünfmal pro Woche aufgeführte, knapp fünfstündige, biblische Musiktheater vor allem durch die Besucher aus dem Ausland – in der Gästestatistik der Passionsspiele 2000 erreichten sie einen Anteil von gut 40 Prozent. „Die bleiben zwei Nächte, gehen in die Wirtshäuser und kaufen Souvenirs“, sagt ein Hotelier. Die bisher rund 60 000 passionsfreudigen Amerikaner sind seine liebsten Gäste. US-Touristen geben im Durchschnitt rund 208 Dollar pro Tag aus, Event-Besucher deutlich mehr, hat die DZT ausgerechnet. „Aus diesem Grund haben wir schon vor zwei Jahren damit begonnen, die Spiele in den USA zu bewerben“, sagt Hedorfer.

Ausgerechnet dort läuft das Geschäft diesmal aber nicht so gut wie erwartet: „Wegen der Finanzkrise kommen weniger Gäste aus den USA“, klagt Oberammergaus Bürgermeister Arno Nunn. Darunter leidet der Verkauf ein- oder zweitägiger Arrangements: 60 000 der 320 000 aufgelegten Reisepakete sind noch nicht verkauft. „Vor zehn Jahren war das noch ein Selbstgänger, diesmal läuft es zäh“, sagt Ralph Osken, Geschäftsführer des Deutschen Reisebüros (DER). Das DER mit seinem Veranstalter Dertour ist seit 1950 Vertriebspartner der Gemeinde.

Das letzte Abendmahl bei den Quelle: APN

Bei Ortsvorsteher Nunn hat sich wegen des schleppenden Verkaufs „eine gewisse Nervosität“ breitgemacht. Er braucht für sein Theater 85 Prozent Auslastung, damit sich die Spiele rechnen. Nun hofft er auf Spätbucher und setzt darauf, dass die Nachzügler wegen der veränderten Spielzeiten über Nacht bleiben. Begann das Bibel-Spektakel früher schon vormittags, startet es jetzt erst um 14.30 Uhr: „Wegen des besseren dramaturgischen Effekts“, so Spielleiter Christian Stückl, wurden Kreuzigung und Auferstehung in die Abendstunden verschoben.

Den Leidensweg Christi auf die Bühne zu bringen ist ein Kraftakt, organisatorisch wie finanziell. Fast der halbe Ort spielt mit – nach dem Gelübde von 1633 darf jeder mitmachen, der hier geboren ist oder seit mindestens 20 Jahren in Oberammergau lebt. Fast ein Jahr dauern die Proben, „viele sparen sich dafür Überstunden oder Urlaub auf“, sagt Nunn.

2300 Mitwirkende

Knapp 32 Millionen Euro kostet die Produktion, zwei Drittel gehen an die 2300 Mitwirkenden: für Hauptrollen wie Jesus oder Judas, sogenannte „Rottler“, die eine Statistenrolle im Volk haben, den 120-köpfigen Chor, die 70 Orchestermusiker, Bühnenarbeiter, Beleuchter oder Platzanweiser. Wer wie viel bekommt, regelt ein komplizierter Schlüssel, dem ein Basishonorar von 16 500 Euro für die gesamte Spielzeit zugrunde liegt. Gezahlt wird nach Wichtigkeit der Rolle: Das einfache Volk bekommt 40 Prozent des Basishonorars, Apostel bis zu 140 Prozent, Jesus das Vierfache.

Mit dem restlichen Drittel des Budgets wurden die übrigen Produktionskosten gedeckt: zum Beispiel für eine Jerusalem-Reise im vergangenen Jahr, mit der sich die 42 Hauptdarsteller innerlich auf das Bibel-Spektakel einstimmten. Oder für die mit einem Zeitvertrag angeheuerten Handwerker, die das neue Bühnenbild bauten oder in der hauseigenen Schneiderei rund 2000 neue Kostüme fertigten. Auch 600 Paar lederne Sandalen aus Israel mussten bezahlt werden. Und last, but not least die Ausleihegebühren für ein Kamel, ein Pferd, einen Esel, jeweils zehn Ziegen und Schafe sowie den Taubenschwarm, der die Tempelszene, in der Jesus die Händler vertreibt, authentisch wirken lassen soll.

20 Millionen plus x

„Finanziert haben wir die Vorabkosten über eine Zehn-Millionen-Bürgschaft des Freistaates“, sagt Bürgermeister Nunn, „den Rest bestreiten wir aus den laufenden Einnahmen.“ Ursprünglich sollten nach dieser Spielzeit wieder 28 Millionen Euro für den Stadtsäckel übrig bleiben. Wegen des schleppenden Verkaufs und der befürchteten Ausfälle bei den Arrangements ist Nunn jetzt vorsichtiger geworden und rechnet nur noch mit „20 Millionen plus x“. Für ihn ist das misslich: Er braucht jeden Euro, um die Folgekosten jener Investitionen abzudecken, die seine Amtsvorgänger aus früheren Passions-Überschüssen bezahlt haben: „Allein unser Freizeitbad macht eine Million Euro Verlust im Jahr, auch die vor zehn Jahren angeschafften Schneekanonen und der Skilift kosten Geld.“

Die Souvenirhändler am Ort hoffen noch auf gute Geschäfte mit den Spielen. 40 verschiedene Artikel werden im Theater, in den Läden, in Hotels und Gaststätten verkauft: Stoffesel, Schlüsselanhänger, Ketten, Kerzen, Wanderstöcke und Mouse-pads. Ob die Händler auch die 20.000 disponierten Decken loswerden, ist allerdings ungewiss: Zwar wird es abends im Theater schon mal empfindlich kühl, aber die einheimischen Gäste wissen das. Hauptzielgruppe für die wärmenden Fleece-Teile sind die Besucher aus den USA – und von denen werden diesmal wohl nicht so viele kommen.

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