Corona und Veranstaltungen Erst Impfnachweis, dann Konzertticket, bitte!

Volle Ränge und dicht gedrängte Menschenmassen auf Konzerten und Musikfestivals gab es in Deutschland zuletzt 2019. Seit Frühjahr 2020 warten die deutschen Konzertveranstalter vergeblich auf eine Lösung, Großevents auch in Pandemiezeiten umzusetzen. Quelle: imago images

In den USA finden wieder Konzerte in vollen Hallen statt – ausschließlich für Geimpfte. Auch die deutsche Eventbranche ist dieser Lösung nicht abgeneigt. Doch die Angst vor verärgerten Kunden ist offenbar groß.

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466 Tage hat Dave Grohl auf diesen Abend gewartet. Nun will ihn der Sänger und Gitarrist der US-Rockband „Foo Fighters“ auch auskosten. Inmitten von „Everlong“, einem der größten Hits der Band, hält er plötzlich inne – und genießt das Getöse der dicht gedrängten Menge, das von den umgebenden Rängen zu ihm auf die Bühne dringt. Rund 20.000 Fans sind es, die Grohl in diesem Moment zujubeln. Der Rockstar kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dann zupft er, noch immer ungläubig den Kopf schüttelnd, wieder an der Gitarre.

Das Konzert, das den Frontmann der „Foo Fighters“ zum Grinsen brachte, fand am 20. Juni in einer ausverkauften New Yorker Arena statt. Vom „Tag, an dem die Musik zurückkehrte“, schrieb der Veranstalter hinterher. Zurück kehrte sie allerdings nicht für jeden: Rein durfte nur, wer gegen Corona geimpft oder von Corona genesen war. Erst Impfnachweis, dann Konzertticket – so war laut Medienberichten die Reihenfolge des Vorzeigens am Eingang.

Wenn es nach Dieter Semmelmann ginge, dann sähen die Einlasskontrollen in deutschen Arenen womöglich bald ähnlich aus. Semmelmann ist Gründer und CEO des deutschen Konzertveranstalters Semmel Concerts Entertainment. Das Unternehmen, an dem CTS Eventim 50,2 Prozent der Anteile hält, hat zuletzt unter anderem zwei große Deutschlandtourneen von Helene Fischer und eine Europatournee des Hollywood-Komponisten Hans Zimmer organisiert. „Wir wären für einen beschränkten Zeitraum auch bereit, ausschließlich Geimpften und Genesenen Zugang zu unseren Veranstaltungen zu gewähren“, sagt Semmelmann. Sonderrechte für Geimpfte seien eine „Chance einer Branche, die seit eineinhalb Jahren am Boden liegt, einen sinnvollen Restart zu ermöglichen.“

Semmelmann schließt sich damit einer Forderung an, die Jens Michow, geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, jüngst gegenüber der „Welt“ formuliert hatte. Im Konzertbereich gebe es spätestens ab Ende September, wenn jeder ein Impfangebot bekommen habe, keine Alternative zu Sonderrechten für Geimpfte und Genesene mehr, sagte Michow. „Wenn Veranstaltungen unter diesen Bedingungen ohne Abstandsregeln durchgeführt werden dürfen, erlaubt es unser Hausrecht, nur diesen Personen Zugang zu gewähren“, so der Verbandschef. Wer sich weigere, geimpft zu werden, könne nicht erwarten, dass der Rest der Bevölkerung darunter leide.

Volle Hallen könnte die deutsche Veranstaltungsbranche im Herbst definitiv gut gebrauchen: 2019 noch stand sie auf Platz sechs der umsatzstärksten Geschäftszweige des Landes. 130 Milliarden Euro setzten Veranstalter von Konzerten und Großveranstaltungen damals insgesamt um, 1,6 Milliarden Euro davon stammten allein aus dem Markt für Livemusik. 2020 schrumpften die Konzertumsätze dann auf nur noch 717 Millionen Euro. Einen Großteil davon erwirtschaftete man im Frühjahr vor Ausbruch der Pandemie, dann lag das Geschäft monatelang brach – allen Webcam-, Autokino- und Strandkorb-Experimenten zum Trotz. Und eine im November 2020 vorgelegte Prognose des Wirtschaftsprüfers PwC, wonach die Branche ihr Vor-Corona-Niveau bereits 2022 wieder erreichen werde, erscheint unter den heutigen Umständen mehr als optimistisch.



Abseits von Verbandschef Michow und Veranstalter Semmelmann übt sich die deutschen Branche für Livemusik beim Thema Sonderrechte für Geimpfte dennoch in Zurückhaltung. „Zum jetzigen Zeitpunkt möchten wir uns dazu nicht äußern“, lässt der Hamburger Veranstaltungskonzern FKP Scorpio mitteilen, der unter anderem die Musikfestivals „Deichbrand“, „Hurricane“ und „Southside“ ausrichtet. „Wir möchten hier keine Stellung beziehen“, sagt eine Sprecherin des Kölner Veranstaltungsplaners DBE. Andere Branchengrößen ließen die Anfragen der WirtschaftsWoche nach einer Stellungnahme zu den Aussagen des Verbandschefs gänzlich unbeantwortet.

Dass eine klare Positionierung in der Branche derzeit nicht jedermanns Sache ist, könnte damit zusammenhängen, dass eine solche dem deutschen Veranstaltungsprimus CTS Eventim im Frühjahr einen kleinen Social-Media-Shitstorm beschert hatte. „Wenn es genug Impfstoff gibt und jeder sich impfen lassen kann, dann sollten privatwirtschaftliche Veranstalter auch die Möglichkeit haben, eine Impfung zur Zugangsvoraussetzung für Veranstaltungen zu machen“, hatte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Klaus-Peter Schulenberg, der WirtschaftsWoche im Februar gesagt. „Na dann werde ich denen doch gleich mal mitteilen, dass sie mein Kundenkonto löschen können“, lautete daraufhin einer der harmloseren Kommentare eines von Hunderten erbosten Eventim-Kunden.

Wirklich begeistert von der Idee, nur Geimpfte und Genesene in Konzerthallen einzulassen, ist auch Konzertveranstalter Dieter Semmelmann nicht. „Eine harte 3G-Regel wäre uns lieber gewesen als Nichtgeimpfte mit Test auszuschließen“, sagt er. „3G“ – das steht für „geimpft, getestet, genesen“. In Österreich und der Schweiz etwa sind das derzeit die drei möglichen Voraussetzungen, um Kulturveranstaltungen ohne Maske und Abstandsregelungen aufzusuchen.

Auch Marek Lieberberg, seit 1985 Veranstalter des zweitgrößten deutschen Musikfestivals „Rock am Ring“, hält das 3G-Modell für die richtige Lösung: „Eine Zutrittsberechtigung für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete garantiert die Sicherheit aller Teilnehmer und kann durch entsprechende Kontrollen problemlos gewährleistet werden“, sagt er. „Der derzeitige Flickenteppich von permanent wechselnden und widersprüchlichen behördlichen Regelungen würde damit endlich beseitigt“, so Lieberberg, dessen Musikfestival am rheinland-pfälzischen Nürburgring in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge wegen der Pandemie ausfallen musste.

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Auch in den USA stoßen Konzerte, die Ungeimpfte außen vorlassen, nicht nur auf Begeisterung. So positionierten sich etwa vor einem Liveauftritt der „Foo Fighters“ im kalifornischen San Fernando Valley kürzlich Dutzende Demonstranten mit Protestschildern, unter ihnen bekannte Impfgegner und Verschwörungstheoretiker.

Dass auch Sonderrechte für Geimpfte und Genese kein Allheilmittel für die pandemiegeplagte Konzertbranche sind, zeigt einmal mehr das Beispiel der US-Rockband „Foo Fighters“: Die hatte für Mitte Juli eigentlich eine weitere große Arenashow vor mehr als 15.000 geimpften und genesenen Fans geplant – diesmal in der Unterhaltungsmetropole Los Angeles. Tags zuvor aber musste sie das Konzert absagen. Im Umfeld der Band gab es einen Corona-Fall.

Mehr zum Thema: Kann der Ticketverkäufer CTS Eventim besser Impftermine organisieren als andere Anbieter? Inhaber und Chef Klaus-Peter Schulenberg ist davon überzeugt. Er will beweisen, dass Eventim mehr kann als Konzertspektakel – oder Mautstreitereien.

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