Eine Kapelle aus verwittertem Sandstein, ein alter Teich neben einem halb verfallenen Haus und ein weiter Blick Richtung Schwäbische Alb: die malerische Ruhe am Hofgut Kreßbach im Süden von Tübingen ist der ideale Sitz einer mildtätigen Stiftung.
Doch an der Pforte des alten Herrenhauses ist Schluss mit der Idylle. Hier sitzt keine gewöhnliche Stiftung, sondern die DKMS, die von hier aus Leukämiekranken in aller Welt hilft. Auch wenn die ehemalige Deutsche Knochenmarkspenderdatei zu den Topmarken der Gemeinnützigkeit in Europa gehört: „Wir arbeiten bei aller Gemeinnützigkeit wie ein Unternehmen“, sagt DKMS-Chef Alexander Schmidt, laut Visitenkarte Chief Executive Officer, ein Titel den sonst Konzernlenker führen.
Ziel des ehemalige Beraters der Boston Consulting Group: Die DKMS soll nicht nur wie jüngst bei einer Umfrage des Onlinemarktforschers YouGov Deutschlands beliebteste Spendenorganisation sein, sondern auch die effizienteste. Wo es andere Wohltäter als Erfolg sehen, wenn ein möglichst geringer Anteil der Spenden für die Verwaltung draufgeht, setzt Schmidt im besten Berater-Jargon auf KPIs (Key Performance Indicators) genannte Faktoren, die sich messen und jedes Jahr verbessern lassen, und das möglichst um einen zweistelligen Prozentsatz.
Dazu zählen beispielsweise die Zahl zusätzlich registrierter Spendewilliger von derzeit 1,3 Millionen im Jahr, pro Tag 18 Transplantationen und die Zeit von der Leukämie-Diagnose eines Patienten bis zur Übertragung der aus Knochenmark oder Blutplasma gewonnenen Stammzellen.
Hinter dem Konzept steckt Peter Harf
Der Maßstab Verwaltungskostenanteil, so Schmidt, verlockt dazu, ein Problem mit viel Geld und ehrenamtlicher Arbeit zu lösen. „Wir wollen unsere Ziele mit immer weniger Ausgaben und immer schneller erreichen – und nutzen dafür vor allem Fachleute “, sagt Schmidt.
Vater des Konzepts ist Deutschlands wohl erfolgreichster Manager Peter Harf. Der 70-Jährige hat für die Industriedynastie Reimann fast aus dem Nichts die gut 30 Milliarden Euro schwere Investmentgesellschaft JAB geformt um den Putzmittelriesen Reckitt Benckiser (Calgon, Sagrotan), den US-Kosmetikkonzern Coty (Adidas, Lancaster) sowie das weltweit zweitgrößte Kaffeeimperium mit Marken wie Jacobs oder Senseo.
Das Reimann-Reich
Eigentümer: Renate Reimann-Haas, Wolfgang Reimann, Stefan Reimann-Andersen, Matthias Reimann-Andersen (zu 92 Prozent), Senior Partner Peter Harf, Bart Becht, Olivier Goudet (zu acht Prozent)
Sitz: Luxemburg
Zweck: Sammelt Erträge und schüttet an Anteilseigner aus
Kapital: 18,9 Milliarden Euro
Überschuss: 2,6 Milliarden Euro
Eigentümer: JAB Holding Company (zu 100 Prozent)
Sitz: Luxemburg (JAB Investments), Niederlande (JAB Holdings)
Zweck: Bündelung der Beteiligungen
Hält den Kaffeekonzern Jacobs Douwe Egberts
Sitz: Niederlande
Marken: Jacobs, Senseo, Tassimo, Douwe Egberts, Keurig
Wert: 9,7 Milliarden Euro
Verlust: 253 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 64,7 Prozent
Sitz: USA
Marken: Peet's, Caribou, Einstein Noah, Stumptown, Intelligentsia
Wert: 1,8 Milliarden Euro
Verlust: 92 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 71,7 Prozent
Sitz: Niederlande
Marken: Espresso House, Baresso
Wert: 0,2 Milliarden Euro
Gewinn: 0 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 52 Prozent
Sitz: Großbritannien
Marken: Sagrotan, Vanish
Wert: 6,3 Milliarden Euro
Gewinn: 117 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 10,5 Prozent
Sitz: USA
Marken: Adidas, Calvin Klein, Davidoff, Rimmel
Wert: 6,3 Milliarden Euro
Gewinn: 237 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 79,7 Prozent
Sitz: Schweiz
Marken: Bally, Jimmy Choo und Belstaff
Wert: 0,1 Milliarden Euro
Verlust: 189 Millionen Euro
Anteil der Reimanns: 100 Prozent
Den Erfolg wollte Harf auch in der Wohltätigkeit. Dazu trieb den gebürtigen Kölner ein Schicksalschlag. Im Jahr 1990 erkrankte seine erste Ehefrau an Leukämie. Weil in Deutschland eine echte Zentralkartei mit möglichen Spendern fehlte, startete Harf mit seinen Töchtern eine verzweifelte Suche. Doch als sich ein passender Spender fand, war seine Frau nicht mehr zu retten.
Um anderen das Schicksal zu ersparen, startete Harf die DKMS mit seiner Schwägerin Claudia Rutt und dem behandelnden Arzt seiner Frau Gerhard Ehninger. Im Hinterzimmer einer Arztpraxis und später aus einem kleinen Büro arbeiteten vor allem ehrenamtliche Kräfte mit Erfahrung im sozialen Bereich. Doch Harf wollte mehr, vor allem schnell wachsen und ein globales Netz bauen, weil es damit wahrscheinlicher wird, für Blutkrebspatienten einen Spender zu finden. Und so wie er sich das Geschäft mit Reinigungsmitteln oder den Parfümmarkt erarbeitet hatte, stürzte er sich nun ins Wohltätigkeitsbusiness. Nachdem er sich weltweit Stiftungen angesehen hat, verband er sein dabei gewonnenes Wissen mit seiner Erfahrung als Unternehmer.
„Wo andere das Kapital ihrer Stifter einsetze, um einen Zweck zu erreichen, haben wir unsere Ziele und suchen wie ein Unternehmen die Mittel, um die zu finanzieren“, so Harf. Das hieß konkret: Die DKMS organisiert die ganze Wertschöpfungskette von Aktionen zur Registrierung neuer Spender über die Aufschlüsselung und Speicherung der für eine Transplantation nötigen Daten des Erbguts bis hin zur Entnahme und Übertragung der Stammzellen. Das Geld dafür holt sie sich zurück, vor allem über Unternehmenssponsoren oder von den Krankenversicherungen.
Trotz Harfs Perfektionismus gab es Rückschläge. So drängte er im Herbst 2013 zuerst Schwägerin Rutt aus der Geschäftsführung und später auch Ehninger, der daraufhin Harfs Managementstil öffentlich kritisierte. Harf versteht den Unmut, hält den Schritt aber für unternehmerisch unvermeidlich.
„Wir wollten international wachsen, mehr Geld in die Erforschung des blutbildenden Systems stecken und Patienten mit ihren Familien nicht nur um die Transplantation betreuen, sondern auch davor sowie vor allem danach“, sagt Harf, „und so engagiert auch alle bis dahin waren: Dafür hatten wie beim Sprung eines Start-ups in eine neue Größenordnung nicht alle das nötige Rüstzeug.“
Angetrieben hat Harf auch, dass er wie bei JAB früh seine Nachfolge plante. Dafür holte er Christoph Glaser, Chef der Benckiser Stiftung der Reimann-Familie. Dem übergibt er dieser Tage seinen Posten als Vorsitzender. „Denn immerhin in einem soll die DKMS doch wie andere Stiftungen sein“, so Harf, „sie soll auch ohne ihre Gründer möglichst lange unabhängig weiter bestehen.“