Hauptbahnhof Berlin, Montagabend. In der Kantine der Konzerntochter DB Station & Service sitzen rund 70 Leute. Sie warten. Durchschnittsalter: geschätzte 50, die meisten männlich. Der Deutsche Bahnkunden-Verband (laut Eigendarstellung im Web „die Stimme der Bahnkunden“) hatte geladen. "Reden Sie mal mit dem Bahn-Chef", hieß der offizielle Titel der Veranstaltung in den Berliner Bügelbauten. Rüdiger Grube stellte sich den Fragen.
"Sie sind Insider wie kaum ein anderer“, begrüßt Grube seine Zuhörer pünktlich um 18:30 Uhr. „Deshalb habe ich mich sehr auf den Abend gefreut." Zweieinhalb Stunden sind angesetzt. Konzernstratege Grube trifft auf Vielfahrer und Eisenbahnjunkies. Es sind Pflichttermine, die ein Bahnchef irgendwann einmal abgehakt haben sollte. Und doch ist Grube der erste Bahnchef überhaupt, der der Einladung des Verbandes zum "Bahnkunden-Sprechtag“ folgt. Das allein spricht Bände darüber, wie Grube sein Amt versteht. Er stellt sich Kritik und seinen Kunden – auch jenen, die mit sehr speziellen Fragen aufwarten. Dazu gleich mehr.
Doch erst einmal ist Grube an der Reihe. Die erste Stunde gehört ihm. Er nutzt sie für ein Loblied auf das deutsche Schienensystem. Die Bahnreform von 1994 sei „eine der klügsten Reformen nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen“, sagt Grube. Die damalige Bundesbahn sei heute ein erfolgreicher Mobilitätskonzern mit 300.000 Mitarbeitern und 39 Milliarden Euro Umsatz. Die Bahn transportiere so viele Fahrgäste an einem Tag wie die Lufthansa in einem Jahr, sagt Grube. Täglich bekomme er Briefe von Kunden – „zwei Drittel sind positiv“.
Grube holt aus zum großen Vortrag über die Konzernstrategie – auch um Zeit zu schinden, denn danach könnte es ungemütlich werden. Bis 2020 werde die Deutsche Bahn ökologischer Vorreiter sein und zu den beliebtesten Arbeitgebern im Lande zählen. Gleichzeitig spart er die Herausforderungen nicht aus. Die ICE-Flotte sei angeschlagen, die Energiewende belaste den Konzern und die Infrastruktur werde vom Bund finanziell vernachlässigt. Grube jongliert mit Zahlen. Er hat diese Reden schon zigmal herunter gebetet. Das Publikum hört geduldig zu – und wartet dennoch nur auf den großen Augenblick, dem Bahnchef höchst persönlich vom eigenen Leid als Fahrgast erzählen zu können.
Um 19:35 Uhr ist es soweit. Und es sind Fragen wie diese: „In den Kursbüchern der Deutschen Bahn lag früher immer eine Übersichtskarte über die Strecken bei“, sagt ein älterer Herr mit Brille und angegrautem Haar. „Warum werden die nicht in den Bahnhöfen ausgehängt?“ Er habe schon die Mitarbeiter an der Information häufig daraufhin gewiesen, aber passiert sei nichts. Grube reagiert diplomatisch. "Das ist eine beliebte Frage aus diesem Kreis“, sagt er. Im Zeitalter des Internets halte er das zwar nicht mehr für dringend erforderlich. „Aber wir nehmen das Thema mit und schauen uns das an".
Grube gibt den Kümmerer, wie so oft an diesem Abend. Viele Zuhörer wollen sich an diesem Abend nur produzieren und einmal gegenüber dem obersten Eisenbahner Dampf ablassen. Sie beginnen ihren Beitrag mit den Worten „ich habe beobachtet“ oder „ich möchte bemerken“. Die Lärmschutzwände seien inzwischen „eine Seuche“, sagt einer. Die hochwassergeschädigte Eisenbahndamm zwischen Berlin und Hannover könnte „schneller repariert“ werden, ein anderer. Der Servicegedanke der Bahn „zeige sich nur darin“, dass an jeder Station die Anschlusszüge angesagt werden, ein weiterer.