„Frecher Junge bekommt schlimmste Strafe aller Zeiten“, „Foto-Love: Zicken-Zoff statt Flirt-Alarm“ – wenn solche Überschriften Sie reizen, sind Sie potenzieller Leser der „Bravo“.
Dem Heft täte das gut. Denn am Kiosk leidet das Magazin, das seit Mitte der Fünfzigerjahre pickelige Teenies durch die Wirrungen der Pubertät begleitet, an Schwindsucht. Ende der Neunzigerjahre verkaufte die „Bravo“ mehr als 1,2 Millionen Hefte. Ende 2014 waren es nur noch 120.000.
Umsätze der größten Medienkonzerne der Welt
Cox Enterprise
Umsatz: 12,0 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 9
Bertelsmann
Umsatz: 16,4 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 6
Sony Entertainment
Umsatz: 17,8 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 7
Viacom
Umsatz: 21,9 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 5
Time Warner
Umsatz: 22,4 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 1
DirecTV
Umsatz: 23,9 Mrd. Euro
Rang 2008: -
News Corp. / 21st Century Fox
Umsatz: 27,5 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 4
Disney
Umsatz: 33,9 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 2
Umsatz: 45,1 Mrd. Euro
Rang 2008: -
Comcast
Umsatz: 48,7 Mrd. Euro
Rang 2008: Platz 3
Quellen: ifM, mediadb.eu
Um das Blatt zu wenden, ist „Bravo“ jetzt dicker, hat einen glänzenden Umschlag und landet nur noch alle 14 Tage am Kiosk. Gleichzeitig hat „Bravo“ den Online-Auftritt aufgehübscht und verbündet sich mit Stars der Videoplattform YouTube.
Die neue Linie bei der „Bravo“ steht symptomatisch für die Strategie des Bauer Verlags unter der 38-jährigen Chefin Yvonne Bauer: gegen den Trend weiter in gedruckte Zeitschriften investieren, damit noch möglichst viel verdienen, um verstärkt ins lange vernachlässigte Digitalgeschäft einzusteigen. Dazu startet Bauer Online-Ableger und kauft weitgehend unbeachtet weltweit Shopping- und Gesundheitsportale. Zudem will die seit Ende 2010 amtierende Verlegerin die Erlöse aus der Werbung steigern und investiert in Radio und TV.
Denn das alte Bauer-Modell stößt an Grenzen. Branchenweit schrumpfen wegen der Konkurrenz durch Internet und mobile Medien die Auflagen. Das gilt auch für Bauers Massenblätter. Wichtige Titel wie „TV Movie“ oder „Das Neue Blatt“ bröckeln. Doch anders als etwa der Axel-Springer-Konzern, der sich bis auf „Bild“ und „Welt“ von fast allen Print-Titeln trennte und so vehement wie aktienkurstreibend ins Digitale stürzte, klebte das Familienunternehmen Bauer am Gedruckten und ignorierte das Web-Geschäft lange.
"Wir setzen auf Print"
Lieber verfeinerte Europas nach Auflage gerechnet größter Zeitschriftenkonzern sein Geschäftsmodell, Massenblätter möglichst preiswert zu produzieren und zweistellige Renditen zu erzielen. „Wir setzen weiter voll auf Print“, sagt Konzerngeschäftsführer Jörg Hausendorf. „Während andere sich aus dem Kerngeschäft verabschieden, haben wir seit 2011 gut 100 neue Zeitschriften gestartet, davon über 20 in Deutschland.“
In den Geschäftszahlen für 2014, die der zugeknöpfte Verlag wohl im Juni bekannt geben wird, liefern die Magazine entsprechend mit 1,7 Milliarden Euro noch immer den Löwenanteil am Umsatz ab. Zwar lag das Konzernergebnis nach Informationen der WirtschaftsWoche wohl über dem von 2013. Doch mit 2,2 Milliarden Euro sank der Umsatz unter die 2,3 Milliarden des Vorjahres – Grund genug, das Printgeschäft auf noch mehr Effizienz zu trimmen und zugleich nach neuen Erlösquellen zu fahnden.
Im Weg stehen könnte der Verlegerin dabei das Image von Bauer: Denn dem Haus haftet der Ruf an, quasi der Aldi der Branche zu sein. Die Methoden ähneln denen des Discounters, von der für ein Medienunternehmen ungewöhnlichen Verschlossenheit über extreme Sparpolitik und Effizienz bis hin zur Ablehnung von Betriebsräten.
Altverleger mischt noch immer mit
Im achten Stock des nahe der Hamburger Speicherstadt gelegenen Verlagshauses schlucken weiche Teppiche jedes Geräusch, unwillkürlich senkt der Besucher die Stimme. Die Farben sind blass. Einzig die mannshohe Bronzeskulptur eines zeitunglesenden Affen, geschaffen von Jörg Immendorff, lässt ahnen, dass hier ein Medienkonzern residiert und keine Bank.
Aus dieser Stille heraus lenkt in fünfter Generation Yvonne Bauer die Geschicke des 1875 gegründeten Medienhauses. Mit 85 Prozent ist sie die größte Eignerin; ihre drei Schwestern halten je fünf Prozent. Sie agiert im Sinn ihres Vaters Heinz Heinrich, 75. Der hat sich aus der Leitung zurückgezogen, mischt nach Aussage von Bauer-Leuten aber im Hintergrund weiter mit.
Viele Anekdoten ranken sich um den praktisch unsichtbaren Vormann, die meisten um seine Sparsamkeit. So soll der Milliardär zeitweise nächtens durch den Verlag gegeistert sein, um stromsparend das Licht zu löschen.
Vater wie Tochter sind unprätentiöse, handfeste Kaufleute, ohne erkennbaren publizistischen Ehrgeiz. Die Verlegerin erklärt die vermeintliche Schwäche gern zur Stärke: „Wir kennen die Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen so gut wie kein anderer Verlag, und das möchte ich ausbauen.“ Christof Baron, Co-Europachef der Mediaagentur Mindshare in Frankfurt: „Das ist die Stärke von Bauer – sie zielen voll auf den deutschen Michel ab.“
Klatschblätter wie „People“, „Neue Post“, „Tina“ und „Closer“ bringen viel Geld: In deutschen Reichen-Listen landen die Bauers zuverlässig unter den Top 50. Das Magazin „Bilanz“ beziffert ihr Vermögen auf 3,2 Milliarden Euro, damit lägen sie hinter Friede Springer, aber deutlich vor Hubert Burda und Bertelsmann-Matriarchin Liz Mohn.
Harter Rationalisierungskurs
Statistisch gesehen konsumiert jeder zweite Deutsche Bauer-Medien. Zum Verlag gehören weltweit 600 Zeitschriften sowie Beteiligungen an 50 Radio- und TV-Sendern wie RTL2. In dem verschachtelten Imperium betreibt Bauer laut Bundesanzeiger 328 Einzelunternehmen mit knapp 11.000 Mitarbeitern in 16 Ländern.
Vor allem in Deutschland gelten die Bauers als Vorreiter eines beinharten Rationalisierungskurses. „Nur noch der kleinere Teil der Redakteure verdient überhaupt noch nach Tarif“, sagt Betriebsratschef Jörn Lade. „Die Leute arbeiten hier mehr und länger, verdienen im Schnitt 20 Prozent unter Tarif und haben nur noch 25 statt 30 Tage Urlaub im Jahr.“ Geschäftsführer Hausendorf hält dem entgegen, Bauer stünde heute nicht besser da als die Konkurrenz, „wenn wir nicht alle Bereiche strikt marktwirtschaftlich auf Effizienz ausgerichtet hätten“.
Ex-Betriebsratschefin Kersten Artus, langjährige Redakteurin der „Fernsehwoche“: „Bei Bauer herrscht Klassenkampf von oben. Das Wachstum des Hauses bezahlen die Mitarbeiter mit fortschreitender Prekarisierung.“ Unter Yvonne Bauer, sagt sie, habe sich der harte Kurs eher noch verschärft. Die Verlegerin setze verstärkt auf zentrale Redaktionseinheiten etwa für Mode-, Reise- oder Gesundheitsthemen, die kostensparend mehrere Blätter und zunehmend Online-Portale mit Artikeln beliefern.
Dass sie aus ähnlich hartem Holz geschnitzt ist wie ihr alter Herr, hat Yvonne Bauer früh bewiesen. Nach Germanistik-Studium in Bamberg und Volontariat beim Buchverlag Hoffmann und Campe war sie 2005 beim Familienkonzern eingestiegen. Dort leitete sie schnell eine interne Truppe, die eine Korruptionsaffäre um Drückerkolonnen aufklärte. Ein Dienstleister hatte Bauer-Mitarbeitern Bordellbesuche bezahlt und das Unternehmen mit gefälschten Abo-Verträgen um Millionen geschröpft.
Erotikgeschäft abgestoßen
Harte Kante zeigt sie auch in der jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Pressegroßhandel. Der ist organisiert in mittelständischen Unternehmen, die als Quasimonopolisten in festen Gebieten Verkaufsstellen mit Magazinen und Zeitungen beliefern. Statt mit dem Bundesverband zentral Vertriebskonditionen zu vereinbaren, will Bauer einzeln mit Grossisten verhandeln. Der Fall liegt beim Bundesgerichtshof, im Oktober wird verhandelt.
Deutlich mehr Beifall bekam Bauer, die mit dem TV-Produzenten Enno Koch verheiratet ist, fürs Aufräumen im Verlagsportfolio: Unter anderem vom Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien unter Druck gesetzt, warf sie im September 2013 nach jahrelangem Zögern das kriegsverherrlichende Heftchen „Landser“ aus dem Programm der Verlagstochter Pabel-Moewig. Auch das lange ertragreich geführte Erotikgeschäft, wo Bauer früh von gedruckten Schmuddeltiteln wie „Praline“ und „Coupé“ auf Online umgestiegen war, stieß sie im vergangenen November ab.
Der Schritt sollte auch das Image bei Anzeigenkunden und Mediaagenturen liften. Um die buhlt Bauer verschärft, seit der Konzern 2012 den Münchner Verlag MVG für geschätzte bis zu 40 Millionen Euro übernahm. Damit holte sich Bauer die stark werbefinanzierten Hochglanzblätter „Cosmopolitan“, „Joy“ und „Shape“ ins Haus – ein wichtiger Teil der neuen Strategie. Denn die Mediaagenturen, die im Auftrag von Werbekunden Milliarden in Reklame investieren, kaufen Anzeigenseiten nicht mehr Magazin für Magazin ein. Sie belegen pauschal und kostengünstiger die komplette Palette weniger ausgewählter Verlage.
"Ohne neue Titel hätte Bauer alt ausgesehen"
„Bauer musste sein Portfolio vergrößern, um relevant zu sein“, sagt Medienberater Wolfgang Schuldlos, der im bayrischen Kochel das Institut für Werbeerfolgs-Messung betreibt. „Ohne die neuen Titel hätte Bauer alt ausgesehen, weil sie die Verluste im Stammgeschäft nicht hätten kompensieren können“, sagt Mediaexperte Baron. „Die Umsatzentwicklung bei ihren alten Marken war extrem schwach.“
Einen ähnlichen Zweck erfüllen Käufe im Ausland: 2012 schluckte Bauer für nicht bestätigte 500 Millionen Dollar Australiens größten Magazin-Verlag ACP. Im Anschluss machte Yvonne Bauer Down Under erst noch Schönwetter, ehe die Hamburger ihr bewährtes Handwerkszeug aus pedantischem Mikromanagement und Sparmaßnahmen auspackten. „Wir agieren sehr wirtschaftlich“, nennt das Top-Manager Hausendorf, „auch wenn es wehtun mag, können wir uns von Titeln trennen.“
Auch die Australien-Titel sollen dem Verlag Zeit verschaffen, digitale Geschäftsmodelle auszubaldowern. Noch tragen diese erst knapp 100 Millionen Euro zum Umsatz bei. Dabei tendiert Bauer dazu – auch da Aldi-ähnlich –, erst die Konkurrenz zu beobachten und möglichst nur das zu übernehmen, was anderswo erfolgreich ist.
Inzwischen hat Bauer weltweit gut 400 Online-Angebote im Netz und probiert sich an Bezahlmodellen wie einer „Cosmo“-App, über die Leserinnen Texte auf dem Smartphone lesen, speichern und über soziale Medien weiterempfehlen können. Die alte Vorsicht legt Bauer jedoch nicht komplett ab. So hat die im März in Lizenz gestartete deutsche Ausgabe des US-Promiblatts „People“ noch keinen rechten Netzauftritt. In England und den USA dagegen versucht Bauer es bereits druckkostensparend mit reinen Online-Angeboten wie dem Frauenmagazin „The Debrief“ oder dem Jugendportal „J-14.com“.
Frauen, Gesundheit und Unterhaltung
Flankierend kauft Bauer zudem Portale für Kosmetik und Mode und verbindet sie wiederum mit seinen Printtiteln. Zudem hat der Verlag Mitte 2014 einen 100 Millionen Euro schweren Fonds für Investitionen in Start-ups aufgelegt, etwa in den polnischen Digitalvermarkter Sunrise Systems und Lifesum, eine Gesundheits- und Kalorienzähler-App aus Schweden.
Den Bauer-Strategen schwebt offenbar ein sich gegenseitig befruchtendes System vor. In England, wo Bauer seit Jahrzehnten Magazine verlegt und zweitgrößter Radiobetreiber ist, hat der Konzern schon erfolgreich getestet, wie sich seine Medien die Bälle zuspielen und füreinander Werbung machen können.
Stück für Stück bastelt Yvonne Bauer, die anders als ihr Vater nicht an der feinen Elbchaussee residiert, sondern im Altbau-Stadtteil Eppendorf, an ihrem internationalen Medien-Puzzle. Der Verlag exportiert das Michel-Prinzip und setzt voll auf die Massenthemen Frauen, Gesundheit und Unterhaltung.
Seit Kurzem investiert Bauer auch in Kleinanzeigen-Portale im Web, mit denen Springer bereits Millionen verdient. Wenn Yvonne Bauers Plan aufgehe, sagt daher Boris Schramm, Geschäftsführer bei der Mediaagentur Group M in Düsseldorf, „kann der Konzern in zehn Jahren Deutschlands wichtigstes Medienhaus sein“.