Lockdown in der Hochsaison Wie sich Fitnessstudios durch die Krise strampeln

Die Fitnessstudios sind noch mindestens den ganzen Januar geschlossen. Die Betreiber bringt das in eine prekäre Lage. Quelle: dpa

Im Winter gewinnen Fitnessstudios normalerweise die meisten Neumitglieder. Doch wegen Corona sind sie seit November erneut geschlossen. Das Beispiel Fitness First zeigt, wie sie durch die Krise kommen wollen.

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Mollys Fiepen ist an diesem Donnerstagvormittag das einzige Geräusch, das im Fitness-First-Studio im Düsseldorfer Norden zu hören ist. Crosstrainer, Laufbänder und Fahrräder stehen still, Freihanteln ruhen schwer in den Halterungen, die Wasseroberfläche im Schwimmbecken spiegelt sich fast hypnotisch. Nur Mischlingshündin Molly beklagt sich immer dann lautstark, wenn Regionalmanager Peter Bamberger ihr während der Führung durch die verwaiste Sportwelt einmal nicht seine volle Aufmerksamkeit schenkt.

Ein kläffender Hund, auf den niemand hört – die Szene steht durchaus sinnbildlich für die Lage der Fitnessbranche in Deutschland. Da die Politik Sportstudios als mögliche Infektionsherde ausgemacht hat, mussten diese im November zum zweiten Mal schließen. Das stürzt sie in eine tiefe Krise: Denn staatliche Hilfen und digitale Angebote können kaum verhindern, dass die Zahl der Mitglieder deutlich sinkt. Deshalb dürften etliche Studios die nächsten Monate nicht überstehen.

Zwei Millionen verlorene Sportler

Die Zahlen sind schon jetzt dramatisch: Im Dezember 2019 zählten die knapp 10.000 Studios in Deutschland noch 11,7 Millionen Mitglieder. Ein Jahr später waren es einer Umfrage des Arbeitgeberverbands deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen (DSSV) zufolge nur noch 9,8 Millionen. Der Umsatz der Branche dürfte 2020 nach der Prognose des DSSV um 1,1 Milliarden Euro auf 4,4 Milliarden Euro geschrumpft sein.

Dabei leiden die Studios weniger unter Massenkündigungen als unter fehlenden Neuanmeldungen. Vor allem den günstigen Anbietern macht das zu schaffen – sie haben traditionell eine höhere Fluktuation als Premium-Studios. Aber selbst diese verlieren im Laufe eines Jahres schon bei normalem Geschäftsverlauf etwa 30 Prozent ihrer Mitglieder. Den Schwund gleichen sie dadurch aus, dass sich immer wieder eine mindestens ähnlich große Zahl neuer Trainingswilliger findet.

Und das vor allem in den Wintermonaten. Wenn Sport an der frischen Luft zunehmend unangenehm wird, wächst die Zahl derer, die in geschlossenen Räumen an der Strandfigur für den nächsten Sommer arbeiten. Dank guter Neujahrsvorsätze erreicht deren Zahl im Januar traditionell den Höhepunkt.

Ein Drittel aller Fitnessstudios könnte schließen müssen

Da dieser Mechanismus nun nicht mehr wie gewohnt funktioniert, könnte ein Drittel aller Studios in Deutschland in den nächsten zwei Jahren aufgeben müssen, meint Martin Seibold, Geschäftsführer der Life Fit Group, zu der 63 Fitness-First-, 20 smile-X- und einige kleinere Studios in Deutschland zählen. Hinter Marktführer McFit ist Fitness First die Nummer sechs. Jetzt wo die Sportstätten auch noch den gesamten Januar geschlossen bleiben, dürfte die gesamte Gruppe im Vergleich zum Jahresbeginn 2020 ein Fünftel ihrer damals rund 250.000 zahlenden Kunden verlieren. Vor allem kleinere Studios unter 200 Quadratmeter haben zu kämpfen: Während der ersten Schließungsphase haben die laut einer Umfrage des DSSV verglichen mit flächenmäßig größeren Studios die meisten Mitglieder verloren und am wenigsten Neuanmeldungen verzeichnet.

Im Vergleich mit kleineren Ketten und Studios sieht sich Seibold dennoch in einer privilegierten Lage. Life Fit habe ausreichend liquide Mittel in der Hinterhand, um durch die Krise zu kommen und nach deren Ende womöglich andere Studios aufkaufen zu können. „Es reicht, um zu überleben, außer unsere Studios müssen viele Monate geschlossen bleiben“, sagt er im Videochat aus der leeren Firmenzentrale, in der sich reichlich Arbeit auf seinem Schreibtisch angestaut hat – normalerweise ist der Chef im Home Office.

Auch die Investitionen hat er nicht zurückgefahren, im Gegenteil. Fast sechs Millionen Euro hat er in neue Geräte, Saunas und Sanierungsarbeiten in seinen Studios gesteckt. Ein kleines Bonbon für seine Mitglieder, die ihn schon in der Krise belohnt haben: Einige seien so loyal, dass sie selbst jetzt im zweiten Lockdown ihre Mitgliedsbeiträge weiter zahlen.

Der deutsche Fitnessmarkt ist dabei eine Ausnahme. Abgesehen von den Niederlanden seien die Abbuchungen der Mitgliedsbeiträge im Rest von Europa ausgesetzt. Die Krux für die Studios: Zwar stehen sie jetzt nicht ganz ohne Einnahmen da, die bezahlten Monate hängen die meisten aber an die Vertragslaufzeit an. Viele Kunden werden dann zum Ende ihres Vertrags eine Weile kostenlos trainieren können. Und spätestens dann werden den Fitnessstudiobetreibern die Einnahmen fehlen.

Online-Kurse gegen die Influencer-Konkurrenz

Viele Studios haben in der Pandemie auf Online-Fitnesskurse umgestellt, so auch die Fitness-First-Studios von Seibold. Zu Beginn des ersten Lockdowns hätten bei Fitness First gut 30 Prozent der Mitglieder an solchen Live-Kursen teilgenommen. Das sind nicht viel weniger als die 38 Prozent, die im Studio normalerweise das Kursangebot nutzen. Dass das aber nur eine Ergänzung zum „richtigen“ Training im Studio ist, bezweifelt Seibold keineswegs. Als im Zuge der Lockerungen die Fitnessstudios über den Sommer wieder öffnen durften, hätten nur noch drei Prozent der Mitglieder an den Onlinekursen teilgenommen. Ob die überhaupt mit Fitness-Influencern mithalten können, die ihre Trainings auf Youtube oder Instagram promoten? Seibold, der selbst zuhause gerne mit der Fitness-Influencerin Pamela Reif trainiert, glaubt das schon. Und auch gegenüber Konkurrenten wie Apple oder Peloton sehen sich die traditionellen Anbieter grundsätzlich im Vorteil. Sie haben echte Trainer, die die Sportler individuell beraten und ihre Trainingspläne passgenau auf den jeweiligen Menschen anpassen können. Das geht auch online, beispielsweise mit dem Personal Trainer bei Fitness First. In normalen Zeiten nehmen den gut zehn Prozent der Studiomitglieder in Anspruch. Ein Drittel von ihnen greift auch in Pandemiezeiten auf ihren Personal Trainer zurück – der sie dann per Videochat anleitet, passgenauer als eine App das bisher kann.



Auch Niclas Bönström, Chef der Franchisekette Mrs Sporty, die sich ausschließlich an weibliche Kundinnen richtet, ist sich sicher, dass Onlinekurse von Fitnessstudios mit professionellen App-Angeboten durchaus mithalten können. Bei Mrs Sporty sei es bei den Onlinekursen fast so, als seien die Trainer bei den Schwitzenden im Wohnzimmer. Individuelle Anweisungen seien dadurch möglich, dass die Frauen bei den Live-Workouts, wenn sie wollen, ihre Kamera einschalten können. Wenn sie eine kurze Pause einlegen, können sie mit einem zusätzlichen Trainer vor Ort chatten, der sie aufpusht oder Hilfestellung gibt.

Das Fitnessstudio als Ort der Begegnung 

Die Angst, dass in Zukunft mehr Leute rein digital trainieren und kaum mehr jemand in die Studios kommt, halten Bönström und Seibold für unbegründet, auch wenn immer mehr Fitnessstudiogänger zusätzlich mit Home-Workouts trainieren wollen. Das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein in der Pandemie könnte vielmehr zu einem Ansturm auf die Fitnessstudios führen, sobald sie wieder geöffnet haben. Und viele von denen, die mit Onlineangeboten starten, kämen früher oder später auch ins Studio, um besser sporteln zu können. Individuelle Anleitung, spezielle Ausstattung und persönliche Kontakte bleiben auch in Zukunft wichtig. Das sieht auch Sportwissenschaftler Ingo Froböse so. Das Fitnessstudio sei außerdem ein Ort der Begegnung, des Austausches.

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„Ich kann mir auch eine Pizza zuhause machen, aber ich will eben unter Leute. Und so ist das mit den Fitnessstudios auch“, beschreibt Seibold die soziale Komponente bei der Fitness. Insgesamt glaubt er an einen positiven Wandel für die Branche, weil das Gesundheitsbewusstsein auch durch die Krise einen ganz neuen Stellenwert bekommen habe. Dass die Fitnessstudios von der Bundesregierung deshalb nur als Ort möglicher Kontakte, die es einzudämmen gilt, betrachtet wird, ärgert ihn maßlos. Verschiedene Studien haben ergeben, dass es in Fitnessstudios während der Pandemie kaum zu Ansteckungen kam – guten Lüftungen und regelmäßiger Desinfektion der Geräte sei Dank. „Wir wollen Teil der Lösung sein“, sagt Seibold. Denn ohne Sport sind die Deutschen deutlich anfälliger für Übergewicht und Krankheiten. 2,4 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich durch Inaktivität der Bürger verursacht. Diese Gesundheitskosten könnten durch geschlossene Studios in der Pandemie nun weiter steigen. Bönström, der Geschäftsführer der Mrs-Sporty-Clubs, sieht das ähnlich. „Wenn wir ein Medikament wären, dann würde die Bundesregierung sicherlich empfehlen, uns zu nehmen.“

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