Eigentlich sind die drei Buchstaben, die den Hauptstadtflughafen kennzeichnen, irreführend. Wenn der BER irgendwann mal eröffnet, dann wird er deutlich zu klein sein für die Hauptstadt, die jedes Jahr Scharen an Touristen anlockt. Im vergangenen Jahr fertigten die Berliner Flughafen fast 33 Millionen Reisende ab. Der BER hat aber nur ein Fassungsvermögen von etwa 25 Millionen. Eigentlich müsste der BER wohl BERchen heißen.
Wenn er denn überhaupt einmal eröffnet. So sehr man sich an die Hiobsbotschaften gewöhnt hat, so tragisch sind die Folgen. Eigentlich sollte der BER dieses Jahr eröffnen. Dafür hatte man den Manager Karsten Mühlenfeld vor zwei Jahren zur Flughafengesellschaft geholt. Doch Mühlenfeld ist inzwischen Geschichte. Neuer Chef ist der Beamte Engelbert Lütke Daldrup, also die rechte Hand von Berlins Oberbürgermeister Michael Müller (SPD). Und Daldrup will sich für einen neuen Fahrplan erst einmal bis Sommer Zeit lassen. Es kommt ja jetzt auch nicht mehr auf den ein oder anderen Monat an.
Aber vielleicht wäre es doch gut zu wissen, in welchem Jahr der Flughafen mal eröffnen wird. Aktuell machen zwei neue Meldungen die Runde, dass die ersten Flugzeuge sehr wahrscheinlich nicht im Jahr 2018 abheben werden. Und wenn es ganz blöd läuft, wohl erst 2020. Aber der Reihe nach.
Hat der BER überhaupt noch eine Chance?
Die wesentliche Argumente sind: Es tauchen immer neue Probleme auf, die auch hohe Extrakosten verursachen. Niemand könne garantieren, dass der Eröffnungstermin nicht doch noch einmal verschoben werden muss, wenn der nächste Fehler entdeckt werden sollte. Dass eine Reihe weiterer Fehler im Terminal gefunden werden könnte, hält Vize-Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider nach eigenen Worten für möglich. Er lässt dennoch am Eröffnungstermin in der zweiten Jahreshälfte 2017 nicht rütteln. Ursprünglich sollte der BER im Oktober 2011 in Betrieb gehen.
Eine Idee ist, das Terminal zwar stehen zu lassen, aber den Innenausbau noch einmal von vorne zu beginnen. Die zweite Variante wäre, das Hauptgebäude aufzugeben und nebenan ein neues, größeres Abfertigungsgebäude zu bauen. Unabhängig davon halten es mehrere Kritiker des gegenwärtigen Zustands für unentbehrlich, die Flughafengesellschaft in eine Betreiber- und eine Projektgesellschaft zu trennen. Die Projektfirma könnte sich mit aller Kraft um den neuen Flughafen kümmern. Heute muss sich das Unternehmen bei stark wachsender Passagierzahl auch den Betrieb der Flughäfen Tegel und Schönefeld (alt) im Griff behalten.
Es sind Politiker aus der Opposition im Bund und in den Ländern Brandenburg und Berlin, die zumindest dafür plädieren, über einen Neuanfang nachzudenken. Dazu gehören die Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter und Renate Künast, der CDU-Abgeordnete Jens Koeppen aus Brandenburg und Martin Delius von der Piraten-Partei, der Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Es ist niemand darunter, der Verantwortung für den BER trägt.
Man könnte mit Planung und Bau neu beginnen und dabei die aktuellen Standards der Technik und Sicherheit berücksichtigen. Der Neubau könnte nach den jüngsten Prognosen für die benötigten Passagierkapazität ausgerichtet werden. Der Flughafen-Aufsichtsrat rechnet mit rund 40 Millionen Passagieren, die im Jahr 2023 in Berlin abgefertigt werden müssen. Derzeit sind es schon 28 Millionen in Tegel und Schönefeld. Der BER ist nur für 27 Millionen Fluggäste geplant. Deshalb hat der Aufsichtsrat am Freitag schon eine Erweiterung beschlossen.
Man müsste mit Planung und Bau neu beginnen. Milliarden Euro wären in den Sand gesetzt. Wie sich beim BER gezeigt hat, können vom ersten Entwurf bis zur Inbetriebnahme mit Planfeststellung und Gerichtsverfahren leicht 20 Jahre vergehen. In dieser Zeit müsste aber eine sehr lange Zwischenlösung für den Luftverkehrsstandort Berlin gefunden werden, was auch eine äußerst schwierige Aufgabe wäre. Nach einer Entscheidung über ein Ende des BER würde die Diskussion um den Standort wieder losbrechen. Brandenburgs Flughafenkoordinator Bretschneider sagte zu dem Vorschlag eines neuen Neubaus: „Es erhöht die Zeitprobleme und es erhöht die Kostenprobleme.“
Die Flughafengesellschaft versucht die Eröffnung bis Ende 2017 noch hinzukriegen. Nach der jüngsten Panne sagte Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, dass mit zusätzlich drei bis vier Monaten Bauverzögerung am BER zu rechnen sei. „Wir haben dann aber noch Potenzial bei der technischen Inbetriebnahme, so dass wir die Möglichkeit haben, im zweiten Halbjahr 2017 fertig zu werden“, fügte er hinzu.
Der „Tagesspiegel“ berichtet in seiner heutigen Ausgabe von einem streng vertraulichen Gutachten der Beratung Roland Berger. Den Bericht haben die Berater eigens im Auftrag der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) angefertigt. Er datiert auf März 2017, ist also ganz aktuell. Dort setzen die Experten die Wahrscheinlichkeit, dass der BER im Juni 2018 eröffnen könnte, auf drei Prozent. „Ohne weitere Maßnahmen kann sich die Eröffnung des BER bis 2019 verzögern“, heißt es in dem 14-seitigen Gutachten.
Doch selbst wenn der Flughafen dann fertig wäre, heißt das noch lange nicht, dass er dann auch wirklich eröffnet. Denn die Verzögerungen werfen die Planungen von Dienstleistern über Bord, ohne die ein Flughafenbetrieb unmöglich ist.
Laut einem Bericht des „Handelsblatts“ würde sich die Inbetriebnahme des BER mindestens bis 2020 verzögern, sollte er auch 2018 nicht eröffnet werden. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) sehe sich nicht in der Lage, einen Start kurzfristig zu gewährleisten. „Die DFS hat sich auf einen Termin 2012 vorbereitet und die Anspannung hochgehalten“, sagte ihr Präsident Klaus-Dieter Scheurle. „Jedoch wird diese nach 2018 nicht mehr hochgehalten werden können. Bei einer späteren Inbetriebnahme des BER könnte die Mindest-Vorlauffrist deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die bisher genannten 13 Monate.“
Bislang hatte es geheißen, die DFS werde nach der offiziellen Bekanntgabe eines Starttermins 13 Monate benötigen, um die Luftraumstruktur und das Flugverfahren festzulegen, zu erproben und freizugeben. „Diese Frist ist bereits knapp kalkuliert“, sagte Scheurle. Ein Grund ist, dass zahlreiche Fluglotsen in Rente gehen und Nachwuchskräfte nicht so schnell ausgebildet werden könnten.
Vom neuen Chef Daldrup wird nun erwartet, dass er den Bau wirklich zu Ende bringt. Es ist eine letzte Chance. In der Bundespolitik schüttelt man derweilen nur den Kopf über das Führungschaos. Der Bund ist zwar selbst Gesellschafter der FBB und hat ein Interesse daran, dass der Flughafen nicht nur jeden Monat 17 Millionen Euro verschlingt, sondern irgendwann auch mal Einnahmen generiert. Doch der Bund war immer nur eher in der beobachtenden Rolle. Berlin und Brandenburg haben die wichtigsten Aufsichtsratsposten gestellt.
Weil Daldrup nun den Chefposten übernommen hat, ist Berlins Oberbürgermeister Müller als Aufsichtsratsvorsitzender zurückgetreten und hat das Kontrollgremium verlassen. Ansonsten wäre es zu Interessenkonflikten gekommen. In Berliner Regierungskreisen erzählt man sich daher folgende Geschichte: „Der Rauswurf des BER-Chef Mühlenfeld war eine gute Möglichkeit für Müller, den Aufsichtsrat zu verlassen.“ Denn mit dem BER sei kein Blumentopf zu gewinnen.