Einzelhandel Drogeriekette Schlecker gerät ins Hintertreffen

Seite 2/5

dm-Gründer Götz Werner Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche

Harsch segelt auf einem sonnigen Lächeln durch die Flure der Karlsruher dm-Zentrale. Auf einem Aktenschrank vor seinem Büro funkelt ein Kristall. Das Zimmer wirkt, als hätte dm-Gründer Götz Werner seine Mission vom bedingungslosen Grundeinkommen für alle Deutschen längst erfüllt: Harsch sitzt in einer schmalen Wabe. Es gibt keinen Besprechungstisch. Von seinem Schreibtisch aus waltet der gebürtige Wiener über einen Umsatz von fünf Milliarden Euro (2008 erwartet) und gebietet europaweit über rund 2100 Drogeriemärkte mit 31.000 Beschäftigten. Wobei Harsch natürlich nie „gebietet“ sagen würde. Harsch spricht lieber vom „dialogischen Miteinander in der Arbeitsgemeinschaft Drogeriemarkt“.

Im Alltag sieht Harschs „dialogisches Miteinander“ zum Beispiel so aus: Eine Mitarbeiterin serviert Kaffee, der Schokoladenkeks liegt zu nah an der Tasse und schmilzt. Statt das klebrige Gebäck zurückgehen zu lassen, merkt Harsch an: „Da müsst ihr immer aufpassen – das läuft sonst.“ Vermutlich ist das Harschs schärfste Rüge an diesem Tag. Seit 27 Jahren ist er bei dm, im Mai 2008 übernahm er von Unternehmensgründer Werner den Vorsitz der Geschäftsführung.

Theaterworkshops für "Lernlinge" bei dm

Werner – Spitzname „der Professor“ – hat die Ideen des Waldorfschulen-Begründers Rudolf Steiner auf das Unternehmen übertragen. Der Mensch sei für das „Miteinander-füreinander-Leisten“ gemacht, befand der mitunter ins Verschrobene driftende österreichische Esoteriker und Anthroposoph. So heißen Auszubildende bei dm weder Azubis noch Lehrlinge, sondern „Lernlinge“ und müssen etwa an Theaterworkshops teilnehmen. Alle Mitarbeiter bis zu den Kassiererinnen sollen unternehmerisch handeln. Ihre Dienstpläne machen die Beschäftigten selbst. Wer eingestellt wird, darüber entscheiden die Kollegen mit. Der Filialleiter darf auf eigene Verantwortung bestimmte Preise und das Sortiment ändern.

Eigentlich klingt das dm-Konzept eher nach Basteln, Häkeln, Singen und endlosen Diskussionsrunden denn nach Geschäft. Doch das Waldorf-Modell in der Krämer-Variante scheint im Gegensatz zu Schleckers Haudrauf-Methode zu funktionieren. Seit Jahren kann Harsch zweistellige Zuwachsraten vorweisen. Im Grunde sei der Erfolg recht einfach zu erklären, sagt er: „Wir vertrauen einfach darauf, dass unser Eigennutzen als Folge des Kundennutzens nicht zu kurz kommt“.

Was wie eine Sonntagsbotschaft wirkt, findet sich tatsächlich in der Praxis. Druckt ein Kunde am Fotoautomaten beispielsweise Bilder für 3,01 Euro aus, wird an der Kasse auf drei Euro abgerundet. Die Kunden ziehen zufrieden von dannen – und kommen wieder.

dm gegen Schlecker: Gut gegen Böse?

Verschenke Geld, um mehr zu verdienen – Marktführer Schlecker, der einst als jüngster Metzgermeister der Republik ins elterliche Unternehmen eintrat, muss das so vorkommen, als rate ihm jemand, Vegetarier zu werden. Der Schwabe führt ein rigides Kostenregiment. „Schlecker betrachtet den Umsatz einer Filiale als gegeben und maximiert den Gewinn über die Kostenseite“, sagt Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Die Personaldecke bei Schlecker ist dünn, die Bezahlung unterdurchschnittlich, das Sortiment überschaubar. Wann immer sich noch ein paar Cent herauspressen lassen – Schlecker ist dabei. 1998 wurden er und seine Ehefrau per Strafbefehl wegen Betrugs zur Zahlung von rund 900.000 Euro und je zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatten Hunderten Mitarbeitern weisgemacht, Schlecker bezahle Tariflohn, dies aber nicht getan.

Auch sonst gehen die Unterschiede von dm und Schlecker fast ins Ideologische: autonome Filialen hier, rigoroser Zentralismus dort, lichte, freundliche Märkte hier, rumpelige Lädchen dort, Vertrauen gegen Kontrollwut. Gut gegen Böse?

Auch das dm-System hat Risse. Die Bezahlung der Angestellten ist – wie fast überall im Handel – mäßig. Und die vielbeschworene Eigenverantwortung stresst spätestens dann, wenn es mal nicht so läuft im Laden. Doch das geht im harten Wettbewerb unter. Zu ramponiert ist das Image von Schlecker, als dass dm auch nur Kratzer abbekäme – und zu unattraktiv sind die Schlecker-Läden.

Laut einer Befragung der Münchner Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner und des Marktforschungsinstituts Facit unter insgesamt 3000 Verbrauchern ist der Besuch bei Schlecker ein Einkaufsalbtraum. Die Atmosphäre und die Warenpräsentation gelten bestenfalls als mäßig. Für Kinderwagen- und Rollator-Lenker, immerhin zwei Kernzielgruppen aller Drogeriemärkte, ist der zugewucherte Einkaufsdschungel schwer passierbar. Bei 40 von 41 Umfrage-Kategorien liegt dm denn auch vor oder gleichauf mit Schlecker. Allein die „Kauf- und Bestellmöglichkeiten über das Internet“ werden bei Schlecker besser bewertet. Das mag auch daran liegen, dass dm keinen Online-Shop betreibt.

Unzufriedene Kunden waren für Schlecker lange Zeit kein ernstes Problem. Nach dem Sterben der klassischen Tante-Emma-Läden hatten die Verbraucher vielerorts ohnehin keine andere Wahl.

Doch die goldenen Zeiten sind für Schlecker vorbei – spätestens seit Wettbewerber Rossmann entschied, den unausgesprochenen langjährigen Nichtangriffspakt in der Drogeriebranche zu kündigen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%