
Für 64 Milliarden Euro (47 Milliarden Pfund) übernimmt Shell den britischen Gasproduzenten BG Group. Shell bietet 383 Pence in bar und 0,4454 Shell-B-Aktien. Das entspricht einem Preis von rund 1,367 Pence je Aktie und damit einem Aufschlag von immerhin rund 50 Prozent auf den Schlusskurs von BG am Vortag.
An der Börse ist der Gasproduzent, Großbritanniens drittgrößter Energiekonzern, der aus der ehemaligen Firma British Gas entstanden ist, derzeit 42 Milliarden Euro (31 Milliarden Pfund) wert. Der Kurs des Unternehmens stieg an der Londoner Börse nach der Ankündigung der Übernahme um fast 40 Prozent.
Shell wird zum größten Flüssiggasproduzent
Shell-CEO Ben van Beurden soll das neue fusionierte Unternehmen führen, das gemessen am Börsenwert den US-Rivale Chevron überholt. Mit der Übernahme des britischen Gaskonzerns werden die Öl- und Erdgasreserven von Shell um 28 Prozent wachsen. Wichtig ist vor allem das Geschäft im Markt für Flüssiggas (LNG = Liquified Natural Gas), das sich Shell mit der Übernahme einverleibt. Der neue Konzern werde unter den internationalen Ölgesellschaften der größte Flüssiggasproduzent sein, sagte van Beurden.
Flüssiggas: Fakten über die Fracking-Alternative
In Europa wächst die Sorge, die Ukraine-Krise könnte die Versorgung mit russischem Erdgas gefährden. Daher setzen viele Länder auf verflüssigtes Erdgas, kurz LNG (Liquefied Natural Gas). Auf –160 Grad Celsius gekühlt, lässt es sich problemlos transportieren. Doch noch mangelt es an effizienten Verflüssigungsanlagen auf dem Meer und an Land sowie an Tankschiffen – und auch der Preis muss stimmen.
Riesige Bohrschiffe – größer als Flugzeugträger – holen das Erdgas aus dem Meer, verflüssigen es und pumpen es in Tanker. Eines der ersten wird in Südkorea gebaut und soll 2016 vor Australien seinen Betrieb aufnehmen.
Moderne LNG-Tanker nutzen Erdgas als Brennstoff für den Motor. Ein Schiff kostet rund 220 Millionen Dollar. Es fasst 150.000 Kubikmeter, das deckt den Jahresbedarf von 73.000 Einfamilienhäusern
Wollte Europa 2020 gänzlich auf russisches Erdgas verzichten, wären weitere 87 LNGTanker nötig. Das Problem: Nur eine Handvoll Werften weltweit baut diesen Schiffstyp.
2014: 3920 Tankschiffe
2020: 4790 Tankschiffe
237,7 Millionen Tonnen Flüssiggas wurden 2012 international gehandelt. Nur 48,4 Millionen Tonnen gingen nach Europa, fast der gesamte Rest landete in Asien. Hauptexporteure sind Katar, Algerien, Nigeria, Malaysia, Indonesien, Trinidad und Russland. Spätestens ab 2020 wollen auch.
Australien und die USA verstärkt Flüssiggas exportieren. Angaben in Millionen Tonnen pro Jahr
In rund 40 europäischen Häfen gibt es Terminals, die aus flüssigem Erdgas wieder gasförmiges machen. Deren Kapazität genügt auch für weiter steigende Importmengen. Durch Pipelines gelangt das Gas zu den Verbrauchern.
Bereits heute ist Flüssiggas in Deutschland ähnlich teuer wie russisches Erdgas.
2014
LNG: 10 US-Dollar pro Energieeinheit*
Russisches Gas: 10,9 US-Dollar pro Energieeinheit*
2020
LNG: 10-12 US-Dollar pro Energieeinheit*
Russisches Gas: 10,9 US-Dollar pro Energieeinheit*
*Million British Thermal Units, entspricht rund 293 kWh
Die beiden Konzerne rechnen mit Einsparungen von 2,5 Milliarden Dollar pro Jahr nach der Fusion. Shell-Verwaltungsratspräsident Jorma Ollila sagte, das Ergebnis der Fusion werde ein "wettbewerbsfähigeres und solideres Unternehmen im derzeitigen Umfeld schwankender Ölpreise" sein.
Bis 2020 werde Shell auf zwei wachsende Geschäfte bauen: Gas und Explorationen in tiefen Gewässern. Diese könnten zwischen 15 und 20 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr generieren.
Ölpreise fallen weiter
Knapp und teuer, das war einmal. Der Preis für ein Barrel Rohöl liegt derzeit knapp unter 60 Dollar. Und es sieht nicht so aus, als ob der Ölpreis kurzfristig wieder steil nach oben ginge. Nach einer neuen Prognose der US-Energiebehörde EIA könnten die Ölpreise im kommenden Jahr um 15 Dollar je Barrel fallen, sollten die Wirtschaftssanktionen gegen das wichtige Öl- und Gasförderland Iran im Zuge eines Abkommens zur Beendigung des Atomstreits aufgehoben werden.
Die lange Zeit erfolgsverwöhnten Ölmultis Exxon Mobil, BP, Chevron, Royal Shell stehen unter massivem Preisdruck. Gewinne und Umsätze sind im vergangenen Jahr eingebrochen. In der Öl- und Gasbranche wird gespart, sowohl bei Investitionen in neue Bohrlöcher also auch beim Personal. In der Branche sind in den vergangenen Monaten rund 30.000 Stellen gestrichen worden.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
Doch das reicht nicht, um den Preisverfall zu kompensieren. Die Zeit ist reif für strategische Zu- und Verkäufe sowie für Fusionen. Der niederländisch-britische Ölmulti Shell macht den Anfang, weitere werden folgen.
Was wird aus BP?
Die Übernahme des britisch-niederländischen Ölkonzerns Shell ist die größte im Öl- und Gassektor seit zehn Jahren. Shell ist damit doppelt so viel wert wie Erzrivale BP. Größer wäre nur noch der US-Gigant Exxon Mobil.
Von den großen westlichen Öl-Konzernen ist BP besonders vom Sturzflug des Ölpreises betroffen. Das letzte Quartal 2014 endete mit einem Milliardenverlust. Milliarden schrieb BP auf seine Förderprojekte im vergangenen Jahr ab, Investitionen wurden massiv gekürzt.
Die Schwäche des britischen Öl-Riesen könnten die US-Rivalen Exxon Mobil oder Chevron für einen Übernahmeversuch ausnutzen. Groß genug für eine mögliche Übernahme wäre auch eine der staatlichen Öl-Firmen, etwa aus Kuwait oder Katar. Abschreckend für jeden Käufer sind aber weitere mögliche ausstehende Belastungen aus Rechtskosten wegen der Öl-Katastrophe vor fünf Jahren im Golf von Mexiko.
Für US-Gigant Exxon Mobil könnte BPs 20 Prozentanteil am russischen Staatskonzern Rosneft interessiert sein. Westliche Sanktionen in Russland zwangen Exxon Mobil, das gemeinsame Förderprojekt mit dem russischen Staatskonzern Rosneft in der Arktis aufzugeben. Mit einer BP-Übernahme wären die Amerikaner wieder dabei.