Energieversorger Warum bei E.On, RWE und Co. die Nerven blank liegen

In den Chefetagen zerstritten, bei den Verbrauchern verhasst, von den Anlegern gemieden – ausgerechnet auf dem wirtschaftlichen Höhepunkt wachsen bei den Energiekonzernen die Zweifel an ihrer Zukunftsfähigkeit. Wohin taumeln E.On, RWE & CO?

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Absturz

Johannes Teyssen, der Chef des Düsseldorfer Energiekonzerns E.On, spricht gern in einem Ton, den niedersächsische Landbewohner pflegen: vordergründig mitteilsam, doch im Grunde immer das Gleiche auf den Lippen. Selten oder nie lässt sich der gebürtige Hildesheimer aus der Reserve locken. Wenn ihn etwas wurmt, bedient er sich kleiner Lästereien und Sottisen, die er dann aber umso giftiger abschießt.

Vorvorige Woche Mittwoch, in der Konzernzentrale von E.On in Düsseldorf, ist wieder so ein Moment. Die aufgeräumte Art, mit der Teyssen die Neunmonatszahlen und die Konzernstrategie vorträgt, merken Vertraute schnell, kaschiert mehr, als seine Worte aussagen. Ruhig präsentiert der 51-Jährige die Neunmonatszahlen – ein Rekordergebnis.

Teyssen ist seines Vorgängers überdrüssig

Doch in Wahrheit will Teyssen etwas anderes. Trotz der acht Milliarden Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern muss er zugeben, das die E.On-Aktie seit seinem Amtsantritt im Mai um 20 Prozent in den Keller stürzte. Wer hat Schuld an dem Desaster? Teyssen wendet sich an 50 Journalisten und erzählt, wie peinlich ungeschickt sich sein Aufsichtsratschef Ulrich Hartmann in Sitzungen des Gremiums gelegentlich anstelle. „Er findet den Knopf des Mikrofons nicht“, lässt Teyssen die Runde wissen, „und kann erst sprechen, wenn ein Helfer hinzukommt.“

Die Botschaft Teyssens schien klar: Er ist seines Vorvorgängers überdrüssig. Letztlich war der es, der E.On die heutige Gestalt und die Anmutung gab, die den Börsianern nun immer suspekter wird.

Nicht nur bei E.On, auch eine halbe Autostunde entfernt beim Branchengiganten RWE in Essen liegen die Nerven blank. Als Finanzchef Rolf Pohlig einen Tag nach Teyssen ebenfalls glänzende Quartalszahlen präsentiert, kann auch er nicht mehr an sich halten. Der 57-Jährige, seit Langem mit Konzernchef Jürgen Großmann über Kreuz, nutzt die krankheitsbedingte Abwesenheit seines Vorsitzenden und säuselt: „Jürgen und ich kommen aus derselben Stadt, sein Klassenlehrer war mein Mathematiklehrer.“ Und dann der Tiefschlag: „Es ist Sache des Aufsichtsrates“, so Pohlig, „den Vorstand so zusammenzustellen, dass die Meinungen zusammenpassen.“ Klarer hätte er das Zerwürfnis im RWE-Vorstand nicht beschreiben und zum Showdown aufrufen können.

Verklagt und verhasst

Im Jahr elf der Liberalisierung schlittert die Branche in ihre wohl tiefste Sinnkrise seitdem der deutsche Industrielle Emil Rathenau 1887 bei Berlin den ersten Strommast im Lande aufstellen ließ. Machtkämpfe halten Einzug in Chefetagen und Aufsichtsräte. Stromkunden verklagen die Unternehmen und hassen sie wegen ihrer ständigen Strompreiserhöhungen. Börsenanalysten finden die Geschäftspolitik „uninspiriert“ und schicken die Aktienkurse in den Keller. Noch nie leisteten so viele Deutsche Widerstand gegen Atommülltransporte. Gleichzeitig sehen Fiskalpolitiker aller Couleur in Berlin und in den Landtagen in den eben noch Gehätschelten willkommene Melkkühe, um die öffentlichen Kassen zu füllen.

Keine Frage, ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Milliardengewinne fehlt E.On, RWE und Co. eine konsistente Strategie, wie sie die neue Gemengelage meistern und in den kommenden Jahren wachsen können. Fast schon verzweifelt wirkte Teyssen mit seiner Idee am vorvorigen Mittwoch, in Schwellenländern ins Geschäft mit Kraftwerken einzusteigen, die ausschließlich Strom produzieren und den in fremde Netze einspeisen. E.On-Nachbar Steag hat mit drei solchen Anlagen in Kolumbien, in der Türkei und auf den Philippinen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Die Konzernmutter Evonik will sich von der Tochter unter anderem auch deshalb trennen.

Explodierende Strompreise

Vor allem die Geschäftsmodelle für den groß angelegten Einsatz erneuerbarer Energien wirken nebulös. Zwar ist E.On in gewaltige Windpark-Projekte auf hoher See eingestiegen, etwa in „London Array“ vor der Themse-Mündung sowie „Alpha Ventus“ und „Amrumbank“ vor der ostfriesischen Küste. „Big is beautiful“, hatte ein E.On-Vorstand noch vor Kurzem gejubelt. Es kursierte ein gewaltige Vision: Alle Offshore-Windparks im Norden sollten sich zu einem gigantischen Kraftwerk mit der Leistung mehrerer Atomkraftwerke zusammenschließen. Dazu stellte man sich Unterwasserkabel vor, die speziell vom schweizerischen Technologieunternehmen ABB ersonnen waren, um alle Windfarmen auf hoher See und alle Wasserkraftwerke in Norwegen miteinander zu verbinden. Große, schwimmende Umspannstationen sollten vor diesen Windparks in steifer Brise wie riesige Bohrinseln treiben, um alle Windräder in Nord- und Ostsee zu vernetzen. Sogar Gezeitenkraftwerke sollten angeschlossen sein, E.On warb damit in science-fiction-anmutenden Werbespots, kurz vor der Tagesschau. Jetzt erkennen die Energiemanager, dass diese Visionen doch einige Nummern zu groß sind und technisch noch viel zu unausgereift.

Von der Politik ungeliebt

E.On schaltet mehrere Gänge zurück. Der Konzern will in solchen Großprojekten lieber nur noch die Rolle des Juniorpartners spielen, sagt Teyssen. Das Projekt Alpha Ventus zeigt mit mehreren Pannen, dass die Offshore-Technik noch technisch anfällig ist, weil immer wieder zahlreiche Windräder ausfallen und statt Strom nur Kosten produzieren.

Die große Bugwelle der Offshore-Technik ist nicht mehr da. Es ist ein ganzes Bündel von Faktoren, das die einst so monolithisch auftretenden, auftrumpfen-den Strommanager ins Dümpeln gebracht hat.

Die auffälligste Veränderung ist der Verlust der politischen Reputation. Gesellige Rotweinrunden von Abgeordneten mit Konzernvorständen sind passé. Stattdessen zerhacken Politiker die Energiewirtschaft zunehmend in Streitgesprächen, in denen sie über die hohen Strompreise und „Abzocke“ mitschimpfen können. So kürzlich in Potsdam geschehen, wo der schwedische Vattenfall-Konzern zu einem „Dialog“ mit Landespolitikern eingeladen hatte. Die Amtsträger machen sich die aufbrandenden Emotionen der Wähler zu eigen – und damit die Energiekonzerne zum alles überragenden Großfeind.

„Die Schweden regen sich über die Sex-Eskapaden ihres Königs auf, bei uns hat man als Aufreger die Energieindustrie“, sagt ein gefrusteter Vattenfall-Manager. Charlotte Roche, Autorin der „Feuchtgebiete“, bot Bundespräsident Christian Wulff gar eine Liebesnacht für den Fall, dass er die Atom-Laufzeitverlängerung nicht unterschreibt – Energie als Schmäh- und Witznummer.

Getrenntes Revier - Großer Sprung

In einer solchen Situation ist es auch wurscht, dass viele Kommunalpolitiker, die gegen die Stromwirtschaft argumentieren, den Beiräten der Regionalversorger angehören und dort die Geschäftspolitik gutheißen. Nach außen hin kündigen Ämter und Behörden massenwirksam Stromverträge bei Vattenfall, dem verhassten Betreiber der Pannen-Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel im Hamburger Umland. Gleichzeitig aber kündigt der Hamburger-Stadtwerke-Chef Michael Beckereit an, seine Strompreise würden nicht viel niedriger sein als die von Vattenfall. Die Leipziger Strombörse EEX, an der sich der Strompreis nun einmal orientiert, ist schuld an diesem Umstand. In Wahrheit wollen die Vorstände der neugegründeten kommunalen Stadtwerke so schnell wie möglich die Kosten für den Aufbau ihres Vertriebs hereinholen. Ein hoher Strompreis kommt da gelegen.

In der Zange des Kartellamts

„Es gibt keinen Wettbewerb“, heißt es in schöner Regelmäßigkeit im Bonner Bundeskartellamt. Tatsächlich tun sich die großen vier überregionalen Versorger – E.On, RWE, Vattenfall und EnBW – nicht weh, indem sie sich aus dem Weg gehen. Deutschland ist von ihnen noch immer in Einflusszonen (siehe Grafik) aufgeteilt. RWE ist im Ruhrgebiet vertreten und kaum in München. E.On tritt im Süden stark auf, auch in Hamburg. Umgekehrt hat EnBW nur sehr wenige Kunden in Berlin, wo Vattenfall der Platzhirsch ist.

Das steigert inzwischen den Argwohn der Kartellbehörden. Grund für die verschärfte Gangart sind die dauernden Stromerhöhungen im Lichte eben dieser Einflusszonen. Anders als etwa im Mobilfunk kommt es in der Energiebranche trotz der Liberalisierung im Jahr 1999 zu keinen Preiskriegen, Tarifsenkungen für Haushaltskunden gibt es nicht. Zwar argumentiert die Branche immer wieder mit den ihnen auferlegten Einspeisungen teuren Solar- und Windstroms. Doch dass niedrigere Rohstoffpreise und billigere oder kostenlose Emissionszertifikate gleichzeitig die Kosten der Stromerzeugung merklich senkten, fiel dabei stets unter den Tisch. „Der Strompreis steigt immer“, spottet ein Insider.

Die nächste Welle kommt. 17 Regionalversorger haben eine Erhöhung der Strompreise von zehn Prozent zum 1. Januar angekündigt.

Frontlinien in der Branche

Endgültig vorbei ist die Zeit der friedlichen Eintracht in der Branche. Die Unternehmen der Energiewirtschaft sind einander inzwischen alles andere als hold. Die Abnehmer der großen Versorger, die Stadtwerke, sorgten früher zwar durchaus für Scharmützel um Strommengen und Preise, aber eher diskret und hinter den Kulissen. Inzwischen ist der Nichtangriffspakt aufgekündigt. Unlängst prangerten 50 Stadtwerke in überregionalen Zeitungsanzeigen in einer Weise die Gewinnsucht der Energiekonzerne an, die Greenpeace alle Ehre gemacht hätte. Auslöser war die Anzeige auf RWE-Initiative, die der Verlängerung der Atomlaufzeiten vorausging.

Zwischenlager für Demonstranten Quelle: Laif

Frei von Schizophrenie ist die Retourkutsche der Kommunarden allerdings nicht. Die beiden Stadtwerke München und Bielefeld, die an Atommeilern in ihrer Nähe zu 50 Prozent beteiligt sind (Ohu bei Landshut und Grohnde in Niedersachsen), hielten sich deshalb im Hintergrund und unterschrieben die Anzeigen nicht.

So finanzstark E.On, RWE, Vattenfall & Co. in die Zukunft gehen, so sehr auffällig wirken sie wie gefesselte Riesen, die ihre Kraft nicht ausspielen können. Örtliche Planungsämter hindern sie zunehmend an Investitionen, die für das Brot-und-Butter-Geschäft dringend notwendig sind.

Typisch für die Auseinandersetzungen um neue Anlagen ist der Streit um den Bau eines hochmodernen Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Datteln. CDU und SPD im Regionalverband Ruhr wollen durch ein verwaltungstechnisches „Zielabweichungsverfahren“ die von Gerichten gestoppte Genehmigung doch noch durchdrücken. Die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf dagegen laviert. Der grüne Umweltminister stemmt sich dagegen, weil es Genehmigungsfehler gab, der SPD-Wirtschaftsminister stellt sich hinter den Ruhrverband. Zwischen diesen Fronten droht Datteln zerrieben zu werden.

Widerstand gegen Kraftwerke

Zwar will E.On-Chef Teyssen mit allen rechtlichen Mitteln für das Kraftwerk fechten, aber der Kampf bindet Managementkapazitäten, zermürbt die beteiligten Verhandlungspartner und schafft permanent negative Schlagzeilen. Der Hinweis von E.On, die neue Anlage in Datteln werde 20 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen als die heutige, verpufft im Nichts.

Datteln ist für die Energiekonzerne überall in Deutschland. Der schwarz-grüne Hamburger Senat bremst den Bau des Kraftwerks Moorburg von Vattenfall seit Langem aus, indem er auch nach dem Genehmigungsverfahren neue Ansprüche stellt, die den Bau erheblich verteuern. Wahrscheinlich werde er einer der letzten Energiemanager sein, die erleben, dass ein Kohlekraftwerk in Deutschland eingeweiht werde, seufzte vor Kurzem ein Vattenfall-Manager.

Vollends in den Sternen steht das CO2-freie Kohlekraftwerk, an dem vor allem die Braunkohleverstromer Vattenfall und RWE forschen. Denn die Technik erfordert unterirdische Gasspeicher. Als RWE-Chef Großmann vor Monaten ankündigte, Kohlendioxid aus einem Kraftwerk in der Nähe der holsteinischen Stadt Husum speichern zu wollen, war der Teufel los. Erboste Husumer, unter ihnen auch gänzlich unbeteiligte Krabbenfischer in ihren blau-weißen Hemden, zogen im Sternmarsch auf das Erprobungsfeld weitab der Wohngebiete und drohten mit den Fäusten in die Fernsehkameras. Der Wirtschaftsminister musste aus Kiel herbeieilen und die Gemüter beruhigen.

Auf den ersten Blick stehen die vier großen Stromriesen als die großen Sieger da, seitdem ihnen die Bundesregierung vor wenigen Wochen die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke zugesagt hat. Die Branche hatte auf den Druck der rotgrünen Vorvorgängerregierung dem Auslaufen der Kernenergie in Deutschland bis 2022 zugestimmt, war danach aber unablässig gegen den sogenannten Atomkompromiss angerannt.

Gefesselter Boss Quelle: Michael Dannenmann für WirtschaftsWoche

Ausschließlich ein Grund zum Feiern ist die Verlängerung um im Schnitt zwölf Jahre aber trotzdem nicht. Denn das vorangegangene Gerangel hatte allen voran Anlegern und Investoren endgültig klargemacht: Die Branche ist fast vollständig von der Politik abhängig, fast schon geknebelt. Das Mantra „Energiekonsens“, wie immer er aussieht, ist keine Garantie für sichere Extragewinne. Eine mögliche rot-grüne Bundesregierung nach 2013 dürfte die Laufzeitverlängerungen zurückdrehen. Lange galten der Import und die Verteilung von Erdgas in deutschen Landen bei den Energieriesen als Lizenz zum Gelddrucken. Dafür stand vor allem Ruhrgas. E.On durfte das Unternehmen vor zehn Jahren sogar nur übernehmen, weil der damalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller – entgegen dem Bundeskartellamt – eine „volkswirtschaftliche Notwendigkeit“ darin sah und über seinen Staatssekretär die Erlaubnis erteilte. Unter dem damaligen Vorstandschef Hartmann sorgte Ruhrgas zeitweise dafür, dass der E.On-Gewinn dank Ruhrgas um zwei, drei Milliarden Euro höher war.

Abschied von Gasgewinnen

Doch das „Leuchtturmunternehmen Ruhrgas“, wie Müller einst schwärmte, erodiert gerade mächtig. In den kommenden zwei Jahren wird Ruhrgas im langfristigen Geschäft mit Industriekunden, Kraftwerken und Stadtwerken keine nennenswerten Beträge an die Konzernmutter E.On überweisen können. Schuld daran sind die Lieferverträge mit dem russischen Gazprom-Konzern, an die Ruhrgas Jahre gebunden ist. Manager der E.On-Tochter glauben sogar an Verluste von Oktober 2010 an, ebenso im Jahr 2011, wahrscheinlich sogar 2012. Das hat es in der Branche noch nie gegeben. Grund ist eine Erdgasschwemme in Europa verbunden mit niedrigeren Preisen an den Spotmärkten. Von ihnen kann Ruhrgas aufgrund alter Verträge nicht mehr profitieren. Die Rechnung ist einfach: Bei E.On-Ruhrgas zahlt der Kunde für die Kilowattstunde Gas 2,3 Cent. An den Spotmärkten liegt der Preis aber nur bei 1,8 Cent. Folge: Die Kunden laufen E.On-Ruhrgas in Scharen davon, das Geschäftsmodell ist keines mehr.

Unsichere Alternativenergie

Vor diesem Hintergrund wirken auch die von RWE-Chef Großmann angekündigten Investitionen in die Pipeline Nabucco, die Erdgas aus dem Nordirak, Turkmenistan und Aserbaidschan nach Westeuropa leiten soll, wie ein Anachronismus. Nicht mehr, sondern weniger Gas brauchen die westeuropäischen Märkte – zumal auch noch verflüssigtes Gas für E.On demnächst in einem eigens gebauten Terminal in Rotterdam anlanden wird.

Atom, Gas, Kohle – „das ist für die deutsche Energiewirtschaft ein einziges Vietnam“, sagt ein amerikanischer E.On-Manager, der sich in den verlorenen Stellungskrieg der USA vor 40 Jahren in Indochina versetzt fühlt. Solche drastischen Bilder waren früher nicht branchentypisch.

Doch das Paradies werden auch die erneuerbaren Energie für die Stromproduzenten nicht. Ihr Ausbau, die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit sind alles andere als ein Kinderspiel.

Gefesselter Boss Quelle: Laif

Vor allem aber die Kosten der erneuerbaren Energie sind nach gegenwärtigem Stand kaum zu kalkulieren und könnten sich schlimmstenfalls als schleichende Wohlstandskiller erweisen.

Vielfach überwiegt Hoffnung das konkrete Geschäft. RWE etwa hat deswegen das Projekt Desertec – den Plan gigantischer Solarkollektoren in den Wüsten Nordafrikas – nicht auf Vorstandsebene angesiedelt. Bei E.On ist bisher kein einziger Ingenieur mit Desertec beschäftigt. Es gibt noch kein Solarkraftwerk in der Wüste, das in nennenswerten Mengen Strom erzeugt, geschweige denn Strom über die einzige Leitung bei Gibraltar nach Europa exportiert. Immerhin soll in Marokko 2012 die erste Pilotanlage gebaut werden.

Offen ist auch, welchen Weg der Ausbau der Windenergie nimmt. Die Investition in Windräderparks bis zu 80 Kilometer weit vor den Küsten sind gigantisch und technisch noch überhaupt nicht erprobt. „Das geht nicht so schnell“, sagt Teyssen über Windstrom von hoher See. „Wir kommen da nicht wie Phönix aus der Pfütze.“

Was ist der Ausweg?

Zu hoch sind die Kosten, als dass die Stromriesen auf die Elektrizität hinterm Horizont abfahren. Allein die erforderlichen Seekabel werden internen Schätzungen der Energiebranche zufolge gut zwei Milliarden Euro kosten. Bei E.On bezifferte kürzlich Teyssens Vorgänger Wulf Bernotat die nötigen Investitionen auf rund 20 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass die Einspeisung des Windstroms neuartige Fern-Übertragungsnetze nötig macht. Sie müssen den elektrischen Saft von den Küsten in die Industriereviere des Westens und Südens, zu Thyssen, Daimler oder BASF unterbrechungsfrei und hoch belastbar durchleiten können.

Dabei gilt es, Spannungsabfälle bei Windflauten schnell aufzufangen und Strommassen flexibel hochfahrbarer Gaskraftwerke abzufedern. Solche Netze müssen überall im Land überhaupt erst gebaut werden.

Auch dagegen keimt Bürgerprotest, sind Blockaden von Häuslebesitzern und Anwohnern zu erwarten. So entzündeten am vergangenen Wochenende wütende Bauern im niedersächsischen Kreiensen 300 Strohballen, die weithin in den Nachthimmel loderten. „Vorsicht Freileitung“ stand auf Protestschildern. Die Landwirte forderten Erdkabel tief unter ihren Äckern – unsichtbar, vor allem viel teurer als Masten. Die konkreten Mehrkosten würden das 20-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, von dem Bernotat sprach, „noch einmal um fünf bis sieben Milliarden erhöhen“, schätzt ein E.On-Manager. Eine Überlandleitung kostet pro Kilometer etwa 1,8 Millionen Euro. Erdkabel werden pro Kilometer auf 4,2 Millionen Euro taxiert. Nicht nur Erdkabel, auch Gaspipe-lines sind schwer in Verruf. In Brandenburg müssen öffentliche Anhörungen zu Pipelineprojekten häufig polizeilich abgeriegelt werden. Der Andrang derjenigen, die das „Gas aus der Tiefe“ fürchten. wird immer größer.

Auch für E.On, RWE und Co. gibt es kein Patentrezept gegen die Malaise. Die Energiewirtschaft wird sich neu erfinden müssen. Ein möglicher Weg wäre der Umbau der Giganten in kleinere Einheiten. Kraftwerksbetreiber würden sich auf ihre Meiler, Vertriebler auf den Stromverkauf, Ökos auf Windanlagen und Infrastruktur-Unternehmen auf den Bau optimaler Netze konzentrieren. Die Stromriesen „müssen sich aufspalten und in kleineren Einheiten auftreten – wie Schnellboote, aber nicht mehr als Großkampfschiffe“, sagt ein Analyst. Ein schöner Nebeneffekt wäre mehr Wettbewerb, der die ständigen Strompreiserhöhungen im Gleichklang verhindern würde.

Das Zauberwort für die Branche aber heißt Energieeffizienz. Mit ihm könnten die Versorger als Berater endlich das Verhältnis zu ihren Kunden verbessern. Das Thema brandmarkte Teyssen-Vorgänger Bernotat noch als „nicht konzerntauglich“. Es sei eher ein Geschäftsfeld für den Mittelstand. Die Energieeffizienz-Firma des früheren TV-Managers und Premiere-Gründers Georg Kofler wurde ironisiert. Falsch, Herr Bernotat, Ihr Nachfolger Johannes Teyssen weiß es besser. „Wir setzen auf Energieeffizienz“, sagt Teyssen, der auch Mitglied des Weltenergierates ist.

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