Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

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Mehr gefangene, weniger U-Haft

Der Düsseldorfer Anwalt Marcus Mosiek berichtet von einem Unternehmer in U-Haft, der für einen Transport – auf direktem Weg wäre es eine 700-Kilometer-Tour gewesen – neun Tage unterwegs war, mit acht Übernachtungen in unterschiedlichen JVAs. „Er war besudelt vom Erbrochenen eines anderen Häftlings“, sagt Mosiek, „bekam keine frische Kleidung, manche Zellen waren kalt und feucht, an einem Morgen kam er mir dreckig und in Schuhen ohne Strümpfe entgegen.“ Zwar können Gefangene für einen dreistelligen Euro-Betrag auf eigene Kosten einen Einzeltransport im Pkw beantragen. Wenn die JVA-Leitung aber kein Personal frei hat, berichtet Mosiek, „wird der Antrag eben abgelehnt“.

Grundsätzlich findet Nürnbergs JVA-Chef Welzel die U-Haft bedrückender als die Strafhaft, weil die Insassen in dieser Zeit seltener die Zelle verlassen dürfen. Denn im Gegensatz zu den anderen Gefangenen haben Untersuchungshäftlinge in der Regel keine Arbeit, der sie nachgehen könnten, sondern endlos Zeit zum Grübeln.

Welzel verordnet manchem Häftling deshalb trotz des Anspruchs auf eine Einzelzelle den Umzug in einen Gemeinschaftshaftraum. Das erzwungene Miteinander mindert die Suizidgefahr, die, so Welzel, unmittelbar nach Antritt der Untersuchungshaft besonders hoch sei: „Dann gibt es, etwa wegen des plötzlichen Eingesperrtseins und der Trennung von den Angehörigen ohne Chance auf spontanen Kontakt, eine höhere Neigung zu Eigenverletzungshandlungen.“ Aber auch abgelehnte Haftbeschwerden, die Zustellung der Anklageschrift oder die Urteilsverkündung sowie private Probleme, etwa die Scheidung vom Ehepartner, sieht Welzel als besondere Krisenauslöser während der Haft.

Manager machen sich hinter Gittern nützlich

Sind Manager erst einmal zu Freiheitsstrafen verurteilt, haben sie bessere Chancen auf Hafterleichterungen und auf sinnvollere oder anspruchsvollere Arbeiten als gewöhnliche Kriminelle. Nicht weil sie aufgrund ihres Status per se bevorzugt würden, sondern weil sie bessere Voraussetzungen mitbringen, um Hafterleichterungen zu erlangen. „Viele Ex-Führungskräfte entwickeln – aus der Not heraus – erstaunliche Fähigkeiten, sich chamäleonhaft anzupassen“, sagt Strafverteidiger Mosiek. Viele machen sich nützlich. Der Erlanger Rechtsanwalt Martin Reymann-Brauer aus der Kanzlei Bissel + Partner, derzeit Verteidiger des Ex-Siemens-Managers Johannes Feldmayer im Nürnberger AUB-Prozess, weiß von einem verurteilten Sparkassendirektor, der in der JVA Bamberg „eine ganze Werkstatt neu organisiert hat“. Ex-Comroad-Chef Schnabel arbeitete als Häftling am PC an MTU-Teilen für Airbus-Jets.

„Es gibt in Deutschland keinen Manager-Knast“, betont der Nürnberger JVA-Chef Welzel. Aber in der Anstalts-Realität sind viele Ex-Manager schlicht die leichter zu handhabenden Fälle. Sie bringen meist den erforderlichen Job mit, den sie vorweisen müssen, um außerhalb der Haftanstalt arbeiten zu dürfen. Wichtig ist dabei, dass die Tätigkeit nichts mit der Straftat zu tun hat. Auf diese Weise erhalten verurteilte Wirtschaftskriminelle oft sehr schnell den Status des Freigängers.

Sehr strenge Voraussetzungen für den Freigänger-Status

Bevor Anlagebetrüger Sommer den offenen Vollzug antreten konnte, musste er rund zwei Wochen in der „gesicherten Zugangsabteilung“ der JVA verbringen, also hinter Schloss und Riegel. Während dieser Zeit überprüft die JVA, ob der externe Job des Häftlings geeignet ist, ob der Häftling alle Voraussetzungen für den Freigänger-Status hat und stellt einen Vollzugsplan auf. Seit rund einem halben Jahr lebt Sommer in einem Zwei-Mann-Raum in Haus 4 auf dem freundlich begrünten Campus der JVA in Euskirchen. Er bezahlt 89,10 Euro pro Monat als Haftkostenbeitrag an die JVA – vor allem für die Unterkunft. Essen und Kleidung muss er sich selber kaufen. Vom restlichen Einkommen geht jeder Cent oberhalb der Pfändungsgrenze an seine Gläubiger. Natürlich ist Sommer untersagt, ein Unternehmen zu führen und sich beruflich mit Geldanlage zu befassen.

Seine täglichen Ausgänge sind streng reglementiert. Verstößt Sommer massiv gegen die Anstaltsregeln, geht es zurück hinter Gitter. JVA-Angestellte rufen ihn stichprobenartig auf seinem Handy an und fordern ihn auf, sofort von einem Festnetztelefon zurückzurufen. Das dient dazu, Sommers Aufenthaltsort zu kontrollieren. Auch bekommt er im Büro unangemeldet Besuch von seinem JVA-Wohngruppenleiter. Kehrt Sommer in seinen Haftraum zurück, muss er sein Handy im Auto lassen. An der JVA-Pforte sitzen Beamte, die ihn im Computersystem morgens aus- und abends einbuchen. Sommer beschreibt sich als unruhig: „Sonntags schaue ich dreimal auf den Urlaubsschein, ob da als Rückkehrzeit wirklich neun Uhr drauf steht.“ Manchmal seien die Erwartungen von Ehefrau, Kindern, Arbeitgeber und die JVA-Regeln kaum vereinbar. Ein Häftling habe ihm mal prophezeit: „Du wirst Momente haben, in denen du dich nach der Ordnung des geschlossenen Vollzugs sehnst.“

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