Autonomes Fahren Lidl und die brennende Altstadt von Bad Wimpfen

Lidl in Bad Wimpfen Quelle: imago images

Der Discounter Lidl plant einen computergesteuerten Shuttle-Bus für die Mitarbeiter seiner neuen Zentrale. Doch das sieben km/h schnelle Gefährt löst schon vor dem Bau Bedenken aus. Über eine deutsche Innovationsposse.

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Ein paar Cafés, Touristenshops und kleinere Geschäfte säumen den historischen Kern von Bad Wimpfen. Bald schon werden hier wieder die Choräle der Turmbläser erklingen und die Buden auf dem traditionsreichen Weihnachtsmarkt Glühwein und Lebkuchen verkaufen. Doch von einem geruhsamen Start in die Adventszeit ist die beschauliche Kurstadt derzeit weit entfernt: Lidl erhitzt die Gemüter.

Der Discounter baut in Bad Wimpfen gerade seine neue Deutschlandzentrale und investiert einen dreistelligen Millionenbetrag, um ein terrassenförmiges Gebäudeensemble für rund 1300 Mitarbeiter hochzuziehen. Damit die entspannt zur Arbeit kommen und weil das Areal etwas entfernt vom Bahnhof liegt, ist auch ein Busshuttle für die Lidl-Mitarbeiter geplant.

Schön wäre es, so dachten es sich Bad Wimpfens Bürgermeister Claus Brechter und die Manager des Discounters, den innovativen Neubau mit einem innovativen Verkehrskonzept zu krönen und Lidls Mitarbeiter künftig auch per autonom fahrendem Shuttle-Bus zu ihren Büros zu bringen. Er halte das für einen „vielversprechenden Ansatz“, um zu einer „klimafreundlichen Mobilität“ zu gelangen, sagte Brechter der „Heilbronner Stimme“. Geplant ist der Einsatz eines computergesteuerten Gefährts, das jeweils zehn bis 15 Personen zur Lidl-Zentrale gondeln soll.

So sollen die neuen Zentralen von Lidl, Aldi, dm und Co. aussehen
An der Eckenbergstraße im Essener Stadtteil Kray entsteht gerade der neue "Aldi Nord Campus" – und zwar an der Stelle, an der einmal das ehemalige Logistikzentrum des Discounters stand. 2021 soll der Campus fertiggestellt werden und dann auf einer Fläche, die so groß sein soll wie 14 Fußballfelder, Raum für bis zu 800 Mitarbeiter bieten. Bei Bedarf lasse sich die Anlage, die aus der Luft betrachtet an das Aldi-„A“ erinnern soll, auf bis zu 2.000 Arbeitsplätze erweitern, verspricht der Einzelhändler. Quelle: BAID 2018 / eyebee visual media
Für das Aussehen der neuen Zentrale von Aldi Nord ist die BAID Architektur GmbH aus Hamburg verantwortlich. Die Architekten haben in Essen schon unter anderem Gebäude für die DB Schenker entworfen, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn. Teil des Aldi-Baus soll auch eine sogenannte Plaza mit drei Etagen und Glasdach sein. Dank offenen Bereichen und großzügigen Rückzugsräumen sollen die Mitarbeiter am neuen Standort „echte Start-up-Atmosphäre“ vorfinden – heißt es bei Aldi Nord. Quelle: BAID 2018 / eyebee visual media
Auch Aldi-Konkurrent Lidl rüstet gebäudetechnisch auf: Im beschaulichen Bad Wimpfen, rund acht Kilometer von der bisherigen Zentrale im baden-württembergischen Neckarsulm entfernt, entsteht derzeit der neue Firmensitz des Discounters. Im nächsten Jahr sollen die ersten von insgesamt 1500 Mitarbeiter einziehen können – so zumindest der Plan. Quelle: Lidl
Lidl Neubau Quelle: Lidl
Bereits im Januar hat der Bio-Händler Alnatura nach drei Jahren Bauzeit in Darmstadt seinen neuen Firmensitz bezogen. Ganz im Sinne von Aldi ist auf einem ehemaligen Kasernengelände in der hessischen Großstadt ebenfalls ein „Campus“ entstanden. Alnaturas neues Firmengelände ist 55.000 Quadratmeter groß und bietet 500 Mitarbeitern Platz. Das Bürogebäude ist laut dem Unternehmen Europas erstes, dessen Außenfassaden aus Lehm gebaut sind. Verantwortlich für den neuen Firmensitz von Alnatura ist das Stuttgarter Architekturbüro „haascookzemmrich“. Quelle: Roland Halbe
Neben den Fassaden verstärken auch einige Einrichtungen im und am Campus das Image von Alnatura: Ein öffentlicher Waldorfkindergarten in freier Trägerschaft, ein vegetarisches Bio-Restaurant sowie zahlreiche Schul- und Erlebnisgärten sind Teil des neuen Firmengeländes. Zusätzlich sollen Geothermie- und Photovoltaikanlagen den Bau mit Wärme und Strom versorgen. Quelle: Eduardo Perez
Auch dm, Alnaturas ehemaliger und langjähriger Partner, baut an einer neuen Unternehmenszentrale. Ebenfalls mit begrünten Dächern und mehreren Gebäuden entsteht diese zurzeit im Karlsruher Stadtteil Durlach. Planmäßig sollen noch in diesem Jahr 1800 Mitarbeiter ihre Büros beziehen können. Mehr als 120 Millionen Euro lässt sich die Drogeriekette den neuen Standort kosten. Quelle: dm-drogerie markt GmbH + Co. KG

Sorgen um Feuerwehreinsätze und Weihnachtsmarkt

Mit gemächlichen sieben Kilometern pro Stunde und ohne Fahrer durch Teile der Altstadt? Einigen Einwohnern der künftigen Discounter-Kapitale scheint das offenbar zu gewagt. Schon bevor das Konzept im Gemeinderat vorgestellt wurde, regte sich Widerstand gegen das Tempo-7-Shuttle: „Klar ist, dass massiv in die Altstadt eingegriffen werden soll“, kritisierte die Ratsfraktion Wise auf ihrer Facebookseite. „Was passiert zum Beispiel bei einem Brand in der Altstadt, die autonomen Busse bleiben stehen und die Feuerwehr kommt nicht durch? Test gescheitert? Altstadt abgebrannt?“ Und ja, auch das „Altstadt-Pflaster, muss ersetzt werden“.

Aber „was wäre Wimpfen ohne Pflaster!!!“, kommentiert ein Nutzer. Ein anderer sorgt sich um die Zukunft des Weihnachtsmarktes angesichts der Shuttle-Bedrohung und überhaupt, den Lidl-Bus „braucht kein Mensch...“

Es ist eine Diskussion, wie sie so oder ähnlich wohl fast überall in Deutschland geführt werden würde. Egal, ob beim Ausbau der Windenergie, der Installation von 5G-Funkmasten, oder beim Bau neuer Stromtrassen – wo immer heute Projekte in Planung sind, formiert sich Protest, teils aus guten Gründen, teils aber schlicht, weil ihre Umsetzung Veränderung bedeuten würde.

Doch es gibt auch die anderen Stimmen: „Leute, seid mal weniger verbohrt und offen für neue Technologien. Wenn das funktioniert, profitieren doch alle davon“, empfiehlt ein Nutzer bei Facebook in Sachen Shuttle-Bus. „Zukunft wird von Machern gestaltet, nicht von Bedenkenträgern.“

Der letzteren Meinung hat sich am Donnerstagabend schließlich auch der Gemeinderat angeschlossen und das Mobilitätskonzept positiv aufgenommen, inklusive des autonom fahrenden Busses. „Die Idee steht noch am Anfang, wird jetzt aber weiterverfolgt“, sagt eine Sprecherin der Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören.

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