Birkenstock-Chef Oliver Reichert „Die Universalmatratze ist eine Marketing-Lüge“

Rabattschlachten, Preisabsprachen: Kaum ein Markt ist so gnadenlos wie der für Matratzen. Ausgerechnet hier will Hersteller Birkenstock, dessen Sandalen mittlerweile Kultstatus erreicht haben, einsteigen. Geht das gut?

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Birkenstock bietet jetzt auch komplette Schlafsysteme an: Betten, Lattenroste und Matratzen. Quelle: dpa

Düsseldorf Casper, Emma, Eve, Nuun, Smuud und wie sie alle heißen: Mit Einheitsmatratzen haben die Start-ups den Markt aufgemischt. Für Oliver Reichert sind sie ein Reizthema, der Geschäftsführer von Birkenstock muss an sich halten: „Sorry, jetzt mal ganz im Ernst. Eine Matratze für alle – wie soll das gehen?“´

Dabei sind die Matratzen-Start-ups nur ein Teil dessen, was das Traditionsunternehmen aus Neustadt (Wied) auf dem neuen Markt erwartet, den es sich selber ausgesucht hat. Birkenstock-Sandalen sind in den vergangenen Jahren zu Kult-Tretern mutiert. Stars wie Heidi Klum und Jessica Alba tragen sie. Das Ökoimage von einst hat der Hersteller aus Rheinland-Pfalz längst abgelegt. Von 2012 bis 2016 hat der Konzern seinen Umsatz verdreifacht. Jetzt will Birkenstock die Marke erweitern und Betten samt Lattenroste und Matratzen anbieten.

Auf den ersten Blick ein attraktiver Markt: Mit wenigen Produkten gibt es so viel Geld zu verdienen wie mit Matratzen. Der Umsatz in Deutschland ist jenseits der Milliarden-Marke. Die Gewinnmargen liegen bei bis zu 300 Prozent. Doch gleichzeitig sind auch wenige Märkte so brutal. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, selbst Start-ups überziehen sich gegenseitig mit einstweiligen Verfügungen. Händler werben mit Rabatten jenseits der 50 Prozent – die in der unverbindlichen Preisempfehlung schon einkalkuliert waren.

Jahrelang war die Branche von illegalen Preisdiktaten geprägt, mit denen die Hersteller unliebsame Konkurrenz auf Abstand hielten. 2014 verhängte das Kartellamt deswegen Millionenstrafen. Dann brach das Oligopol der Hersteller auf: Es stiegen Start-ups mit eigenen Produkten in das Geschäft ein, die sich seitdem munter bekämpfen. Und auf sogenannten Fake-Testseiten wird in der Bewertung getrickst, was das Zeug hält: Da wird jeder mal zum angeblichen Testsieger, um die Umsätze in die Höhe zu treiben Und ausgerechnet Birkenstock will in dieses Haifischbecken springen?

Zumindest an Angriffslust mangelt es Birkenstock-Chef Oliver Reichert nicht. Zur Einheitsmatratze für jedermann, für die viele Start-ups aktuell so laut trommeln, meint er: „Die Universalmatratze ist eine Marketing-Lüge. Perfekt ist eine Matratze dann, wenn sie möglichst gut auf den einzelnen Menschen abgestimmt ist und individuell ergonomisch richtiges Liegen unterstützt.“ Dass jemand, der 50 Kilo wiegt, die gleiche Matratze benötigt wie jemand, der 100 Kilo wiegt, bezweifelt er.

Mit Matratzen sei das wie mit Schuhen, meint der Mittvierziger: „So wie Schuhe eine gute Passform haben sollten, muss auch die Matratze auf denjenigen abgestimmt sein, der auf ihr schlafen möchte.“ Körperbau, Gewicht, Schlafgewohnheiten – all das stelle unterschiedliche Anforderungen an eine Matratze. Birkenstock bietet deshalb Matratzen aus Naturlatex, Kaltschaum und Mikro-Taschen-Federkern an, jeweils in drei Härtegraden. Alles aus eigener Produktion, in Kooperation mit dem österreichischen Möbelhersteller Ada.

Damit sind die Neustädter der Gegenpol zu den Start-ups, die mit ihren One-Fits-All-Produkten nach eigenen Angaben so großen Erfolg haben. Auch preislich sind die Unterschiede enorm. Bei dem aggressiv werbenden US-Unternehmen Casper kostet die Matratze je nach Größe zwischen 400 und 800 Euro, bei Birkenstock liegt der Preis zwischen 800 und 1.400 Euro, die speziellen Lattenrosten kosten nochmal 450 bis 900 Euro.

Dafür sollen die Birkenstock-Matratzen dann auch der Mercedes unter ihresgleichen sein. „Fragen Sie mal jemanden: Was ist die beste Matratze? Da werden Sie keine Antwort bekommen“, meint Reichert. Birkenstock will diese Antwort sein. Für das ambitionierte Ziel forschte und entwickelte das Unternehmen zweieinhalb Jahre zusammen mit Ada und Spezialisten vom Ergonomie Institut München. Lattenroste und Matratzen sind nun geschwungen, wie die Sohle der Sandalen.

Zu den Entwicklungskosten schweigt das Unternehmen. Dafür erzählt Reichert, dass Birkenstock bei der Entwicklung alleine auf den Kunden geschaut habe. Den Markt habe man bewusst ignoriert – dabei hat der es in sich.


Was der große Birkenstock-Vorteil ist

Pierre Haarfeld ist Partner bei der Unternehmensberatung Etribes und Experte für den Online-Möbelmarkt. Was die Aussichten für Birkenstock betrifft, ist er sich zwiegespalten. Im wichtigen Online-Geschäft sieht er beispielsweise Probleme auf Birkenstock zukommen.

Alleine im vergangenen Jahr gab es im Online-Markt für Matratzen 15 Markteintritte. Dementsprechend hart ist der Kampf um die Umsätze. Durch den Wettbewerb entstehen hohe Marketingkosten, einige Start-ups haben fast keinen Deckungsbeitrag mehr. Ein neuer Player hat es da schwer. „Im Online-Geschäft sind Start-ups wie Casper um Jahre weiter“, sagt Haarfeld.

Allerdings hat Birkenstock einen großen Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Sie sind eine Marke – die im Ausland übrigens deutlich moderner wahrgenommen wird als in Deutschland. Bei Matratzen und Möbeln besteht bei den Kunden nur ein geringes Markenbewusstsein. „Birkenstock steht bei den Kunden dagegen für Qualität, Funktion und Gesundheit“, beobachtet Haarfeld. Die Kunden kauften Birkenstocks, weil sie ein qualitativ hochwertiges Produkt wollen. Rund 20 Millionen Schuhe verkaufte Birkenstock im Jahr 2016 und verfügt damit über eine ebenso große wie treue Kundschaft, die auch als Matratzenkäufer in Frage kommt. Einen entsprechend großen Effekt könnte Birkenstock erzielen, wenn sie es schaffen, ihre bisherigen Kunden – etwa durch Paketeinleger – auch auf das erweiterte Sortiment aufmerksam zu machen.

Kurzfristig sieht Haarfeld aber Birkenstocks Stärke im stationären Handel mit den kompletten Schlafsystemen – also mit Betten, Matratzen und Lattenrost. „Da hat Birkenstock mit Ada einen starken Partner und kann auf ein funktionierendes Vertriebssystem und Händlernetzwerk im stationären Handel zugreifen“, sagt Haarfeld. „Da kann der flächendeckende Ausbau gut gelingen.“ So habe die Möbelhauskette Porta umgehend die Birkenstock-Schlafsysteme ins Programm aufgenommen. Das garantiert ein schnelles Wachstum.

Langfristig kommt das Wachstum allerdings aus dem Online-Geschäft. Schwierigkeiten könnten sich für Birkenstock in Deutschland ergeben, wenn das Unternehmen in ein paar Jahren die Kooperation mit den stationären Händlern zu Gunsten der eigenen Online-Aktivitäten zurückzufahren will. Es droht ein sogenannter Log-In-Effekt. Bei starken eigenen Online-Aktivitäten könnten die stationären Händler mit einer Auslistung von Birkenstock drohen, erklärt Haarfeld.

Birkenstock selbst gibt sich entspannt. Konkrete Umsatzziele mit seinen Matratzen verfolgt das Unternehmen nach eigenen Aussagen nicht. Doch Oliver Reichert ist vom Erfolg überzeugt, der Atem muss nur lang genug sein. „Wir werden keine dreistelligen Millionenumsätze machen, aber es muss doch möglich sein, dass auf dieser riesigen Speisekarte, auch ein oder zwei Produkte stehen, die wirklich gut sind“, sagt Reichert. Um diesen Platz wird Birkenstock allerdings kämpfen müssen.

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