Handel Amazons Mut wird belohnt

Gründer Jeff Bezos hält die Marke simpel, innovativ und frisch – mit hohem Risiko.

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Amazon-Gründer Jeff Bezos wollte ursprünglich den Namen Cadabra.com Quelle: AP

Wie hätte sich Amazon.com wohl entwickelt, wenn Gründer Jeff Bezos auf seinem Wunschnamen Cadabra.com beharrt hätte? Allein – die magischen Assoziationen wollten sich beim Anwalt des Unternehmers nicht einstellen. Bei einem Telefongespräch mit Bezos verstand er nur „irgendwas mit Kadaver“. So wählte der Gründer für seinen Online-Buchhandel den Namen Amazon, in Anlehnung an den mächtigen südamerikanischen Strom mit seinen Hunderten Nebenarmen. Heute steht das Onlinekaufhaus Amazon für eine der einprägsamsten Marken der Welt.

Das Beratungsunternehmen Interbrand führt Amazon auf der Liste der 100 wichtigsten Marken auf Rang 26 mit einem Wert von 12,7 Milliarden Dollar. Im vergangenen Jahr hat der Wert um 32 Prozent zulegt, noch mehr schaffte nur Apple.

Was vor achtzehn Jahren in einer umgebauten Garage in Seattle mit der Vision vom „größten Buchhändler der Welt“ begann, ist inzwischen tatsächlich so etwas wie der Amazonas des World Wide Web: Ein mächtiger Strom, der Waren durch Nordamerika und Europa transportiert, ein Logistik-Imperium und das mächtigste E-Commerce-Unternehmen der Welt. Das Sortiment an Waren und Dienstleistungen wächst ständig: von Büchern, Zeitschriften, Videos, Heimelektronik, Windeln, Seife, Kleidung bis hin zu Möbeln. Parallel agiert Amazon noch als Logistik-Dienstleister für Hunderte von Online-Händlern, vermietet seine Rechenzentren an Web-Seitenbetreiber und verändert mit seinem Buchlesegerät Kindle die Art und Weise, wie Bücher konsumiert werden.

Trotz dieses Dschungels an Angeboten und Dienstleistungen hat sich die Marke Amazon in den Augen der Kunden offenbar etwas Freundliches, Einfaches und Intuitives bewahrt – vor allem in Deutschland. Dort steht sie schlicht für den Einkauf im Internet und verwies mit dieser klaren Aussage in einer Umfrage der US-Agentur Siegel+Gale unter deutschen Internet-Nutzern sogar Google auf den zweiten Rang. „Amazon – das klappt, diese Botschaft wollen wir rüberbringen“, bekräftigt Deutschland-Geschäftsführer Ralf Kleber. Das Deutschland-Geschäft gilt als Vorbild im gesamten Konzern: Dank der guten Infrastruktur sowie der Investition in demnächst acht eigene bundesweite Verteilzentren funktioniert die Waren-Zustellung in vielen Fällen innerhalb eines Tages.

Mehr noch: Die Popularität des Lesegerätes Kindle, das wachsende Angebot an herunterladbarer Musik, Büchern, Zeitschriften und Videos hat Amazon jenen Hauch von Magie verliehen, der bislang Apple vorbehalten war. Tatsächlich ist Amazon.com derzeit das einzige Unternehmen, das Apple beim Verkauf von digitalen Medien die Stirn bieten kann. Gleichzeitig hat Amazon neue Chancen für aufstrebende Autoren geschaffen. Die können nun ganz ohne Verlag ihre Werke digital über den Online-Händler anbieten, der dafür eine Provision kassiert.

Glaube an Vision

Chef Bezos sieht sich regelrecht auf einer Mission. „Missionare machen bessere Produkte, weil sie sich stärker persönlich verantwortlich fühlen“, sagte er dem US-Magazin „Forbes“ in einem seiner raren Interviews. Schon wird der für seine Detailversessenheit berüchtigte Amazon-Lenker mit Steve Jobs verglichen. Genau wie einst der Apple-Gründer sieht Bezos Amazon als sein Lebenswerk.

Deshalb ist der Multimilliardär noch immer Vorstandschef, in alle Belange stark involviert und besitzt noch zwanzig Prozent der Aktien. Unbeirrt von nörgelnden Aktionären investiert er konsequent in neue Produkte und Dienstleistungen.

Mut zum Risiko

Nach dem Absturz der Amazon-Aktie musste Bezos 1300 Mitarbeiter entlassen und ein Abfertigungszentrum schließen - aber danach ging es wieder steil bergauf Quelle: dpa

Derzeit wird der asketisch wirkende Gründer mit Lob überschüttet, doch das war beileibe nicht immer so. 2001 – kurz nach dem Platzen der Dot.com-Blase – stand Amazon kurz vor dem Ruin. Das Bargeld war knapp, die Gläubiger nervös. Zu ungestüm hatte Bezos in den Blütezeiten des Dot.com-Booms investiert und dabei fast drei Milliarden Dollar an Verlusten angehäuft. 1999 vom US-Nachrichtenmagazin Time noch als „Person des Jahres“ geehrt, rückten ihn Wall-Street-Analysten plötzlich in die Nähe eines Scharlatans. Nach dem Absturz der Amazon-Aktie musste er 1300 Leute entlassen und ein Abfertigungszentrum schließen.

Den ehemaligen Finanzanalysten rettete nur, dass er in besseren Tagen weitblickend Schuldverschreibungen von mehr als einer Milliarde Dollar ausgegeben hatte. Zudem stützten Bezos der Glaube an seine Vision und der Mut zum Risiko. Ein Durchbruch war die zunächst umstrittene Entscheidung, die Infrastruktur seines Unternehmens gegen Gebühr auch konkurrierenden Online-Händlern zu öffnen. Was damals als verrückt verlacht wurde, entpuppte sich als kluger Schachzug. Amazon stieg dank der Preistransparenz zur ersten Einkaufsadresse im Internet auf. Später legte Bezos mit Innovationen wie einem Liefer-Jahresvertrag zum Festpreis sowie Spar-Abos für häufig georderte Produkte nach.

Nachdem Amazon.com haarscharf an der Pleite vorbeirutschte und im September 2001 nur noch 2,7 Milliarden Dollar wert war, ist es mit einem Börsenwert von 81 Milliarden Dollar heute eins der am höchsten bewerteten Internet-Unternehmen weltweit. Und es ist heute doppelt so viel wert wie zu den Blütezeiten der Dot.com-Blase.

Eindruck von Vielfalt

Aus dieser Position der Stärke kauft Bezos kräftig zu, fast ausschließlich im Aktientausch, etwa den für seinen guten Rücknahme-Service bekannten Schuhhändler Zappos – in Deutschland durch Zalando kopiert – oder den Windel- und Seifeverkäufer Quidsi (Diapers.com und Soap.com). Die Neuerwerbungen lässt Bezos weitgehend autonom agieren, um deren Firmenkultur zu bewahren und bei den Kunden den Eindruck von Markenvielfalt zu erwecken. Das birgt allerdings auch Gefahren. Im Januar musste Zappos zugeben, dass Hacker in seine Datenbanken eingedrungen waren und Kundendaten geklaut hatten. Für Amazon, als einen der größten Infrastrukturdienstleisters des Web, ist der Einbruch mehr als peinlich.

Mark Zuckerberg, Gründer des sozialen Netzwerks Facebook, hält Bezos für „einen der größten Unternehmer“, weil er trotz aller Kritik sich nie beim Aufbau von Amazon hat beirren lassen. „Jeff musste viele Jahre damit leben, dass Leute ihn für verrückt hielten“, sagte Zuckerberg kürzlich dem „Wall Street Journal“.

Den eigenen Erfolg erklärt der Unternehmer so: „Langfristig denken, damit zu leben, von anderen missverstanden zu werden und der Wille, Dinge zu versuchen, auch wenn das Risiko hoch ist, dass sie nicht funktionieren.“ Mit dieser Philosophie hat sich Amazon seine Magie bewahrt. Ganz ohne Cadabra.

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