WirtschaftsWoche: Herr Neckermann, wann haben Sie das letzte Mal etwas beim Versandhaus Neckermann bestellt?
Neckermann: Das ist noch gar nicht so lange her. Ich habe bis zuletzt Artikel aus dem Katalog bestellt, Anzüge waren dabei, Hemden und Hosen. Mein ganzer Schrank ist voller Kleidung von Neckermann. Teilweise steht da noch der alte Neckermann-Schriftzug drauf, der inzwischen längst verschwunden ist, so gut war die Qualität.
Bald könnte der Unternehmensname ganz verschwinden. In der vergangenen Woche hat die von Ihrem Vater gegründete Firma Insolvenz angemeldet.
Die Entwicklung ist tragisch. Die Familie ist vor einigen Tagen noch in Frankfurt zusammen gekommen, um bei der Eröffnung des Neckermann-Archivs in Dreieich bei Frankfurt dabei zu sein. Wir wussten, dass es schlecht steht um das Unternehmen. Aber dass die Insolvenz ansteht, hat mich schon überrascht.
Haben Sie versucht, mit dem Eigentümer, dem Finanzinvestor Sun Capital, Kontakt aufzunehmen?
Das hatte ich versucht. Mein Winterquartier ist in Florida und Sun Capital sitzt im Grunde nur 15 Meilen entfernt von dort. Ich habe denen vor einiger Zeit mal geschrieben, aber der Kontakt verlief im Sande. Dann habe ich dem Neckermann-Chef Henning Koopmann geschrieben, aber da kam auch nichts zurück.
Woran ist Neckermann gescheitert?
Es fehlten einige Millionen Euro bei der Finanzierung des Sanierungskonzeptes und der Eigentümer hat in amerikanischer Manier den Geldhahn zugedreht. Ich kann und will mir aber nicht vorstellen, dass das jetzt das endgültige Aus für Neckermann ist, dass die Firma aufgegeben und geschlossen wird.
Das Unternehmen schreibt seit Jahren rote Zahlen. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass es weiter geht?
Der Name zieht doch immer noch. Es wäre doch Wahnsinn, wenn man diese Marke aufgibt. Zu den Hochzeiten Mitte der Siebziger Jahre gab es mal einen Markenvergleich zwischen Volkswagen, Mercedes, BMW und Neckermann. VW lag ganz vorne in der Publikumsgunst und Bekanntheit, danach kam aber auch schon Neckermann.
Auch wenn der frühere Glanz sicherlich etwas verblasst ist, bin ich überzeugt, dass die Marke nach wie vor ein gutes Image hat. Ich wohne ja seit vielen Jahren in Florida, aber wann im ich irgendwo in Deutschland bin, fragt jeder: ‚Haben Sie etwas mit dem Unternehmen zu tun?‘ Die Bekanntheit des Namens ist immer noch ganz phantastisch.
Hätten Sie denn selbst Interesse daran, Neckermann zu übernehmen?
Dafür bräuchte ich erst einmal das nötige Kleingeld, es geht ja um Millionenwerte.
Gravierende Fehler
Ihre Familie hat Neckermann in den Siebziger Jahren an Karstadt verkauft. Da sollte die Finanzierung doch kein Problem sein.
Wir haben damals fast alles verloren, das Unternehmen stand ja auf der Kippe. Sicherlich hatten wir noch genug Geld zum Leben, aber die Millionen waren fort. Ich musste meinen Lebensstil ändern und war dann Angestellter bei Neckermann. Das persönliche Kapital war weg und wir mussten uns einschränken. Zum Glück hatten wir keine Schulden. Wenn uns damals noch Hypotheken oder Kredite belastet hätten, wäre alles sehr viel schwieriger geworden – auch der Neuanafang in den USA.
Was ist damals schief gelaufen bei Neckermann?
Es wurde ein gravierender Fehler gemacht: Wir sind durch einen Jubiläumsverkauf ins Minus gerutscht. Wir haben zehn Prozent Rabatt auf alles gegeben, die Nachfrage war enorm. Zugleich hatte der Einkauf aber nicht richtig mitgezogen. Kurz: Wir hatten die von den Kunden bestellte Ware nicht auf Lager und mussten teuer nachordern. Da sind einige Millionen Mark den Bach runter gegangen. Nach heutigem Stand war es gar nicht so viel. Aber uns hat es das Genick gebrochen, zumal sich der Übernahmeprozess durch Karstadt hinzog und das Bundeskartellamt sehr lange prüfte. Unsere Kunden bestellten in der Folge entsprechend vorsichtig. Dadurch sind dann die wirklichen Verluste aufgelaufen.
Der Niedergang von Neckermann.de
Aus der Neckermann Versand AG wird Neckermann.de. Die Umbenennung steht für den neuen Fokus auf Online-Versandhandel.
Das Unternehmen wird mehrheitlich an den US-Investor Sun Capital verkauft, ein Stellenabbau folgt.
Nach der Pleite des KarstadtQuelle-Nachfolgers Arcandor übernimmt Sun Capital auch die übrigen Anteile an Neckermann.de. Der Versandhändler hat sich nach Verlusten mit einem starken Wachstum im Online-Geschäft wieder berappelt.
Das Unternehmen will mehr als jede zweite Stelle streichen, verabschiedet sich aus dem schrumpfenden Kataloggeschäft und will nun voll auf den Online-Handel setzen. Es war 2011 Berichten zufolge zurück in die Verlustzone gerutscht. 1380 Jobs sollen entfallen, der größte Teil am Stammsitz in Frankfurt. Das Logistikzentrum in Frankfurt, das vor allem Textilien ausliefert, soll dichtgemacht, das Eigentextilsortiment und die Kataloge sollen eingestellt werden. Gewerkschaft Verdi und Betriebsrat reagieren entsetzt. Sie wollen in Verhandlungen mit der Unternehmensleitung möglichst viele Arbeitsplätze erhalten.
Der Betriebsrat legt ein grobes Konzept zum Erhalt Hunderter Arbeitsplätze vor. Er will entgegen den Plänen der Geschäftsleitung am eigenen Textilangebot festhalten. Das Logistikzentrum in Frankfurt könne zum Online-Dienstleister für stationäre Textilketten werden. Geschäftsleitung und der Finanzinvestor Sun Capital lehnen das Alternativkonzept nach Angaben der Gewerkschaft jedoch ab.
Die Gewerkschaft Verdi verlangt einen Tarifvertrag, in dem ein Sozialplan und eine Beschäftigungsgesellschaft geregelt sind. Eine erste Verhandlungsrunde mit dem Unternehmen endet ergebnislos. Die Beschäftigten reagieren mit Streiks.
Neckermann.de stellt Insolvenzantrag. Der Eigentümer, der US-Finanzinvestor Sun Capital, stellt keine weiteren Mittel für die Finanzierung zur Verfügung. Der Investor hält eine nach schwierigen Verhandlungen erzielte Lösung zwischen Management und Gewerkschaft Verdi zum geplanten Stellenabbau für nicht tragfähig.
Wie unterscheidet sich die damalige Situation von der heutigen?
Mein Vater hatte alles daran gesetzt das Unternehmen zu retten und ohne große Entlassungen durch die Krise zu kommen und dabei auch persönliches Vermögen verloren. Viele Mitarbeiter haben sich umso stärker mit Neckermann identifiziert – das war die eigentliche Stärke des Unternehmens. Das hat sich bis in die heutigen Tage bei vielen Mitarbeitern gehalten. Ich arbeite für Neckermann, ich bin ein Neckermann. Insofern tut mir die Entwicklung ganz besonders leid. Auf der anderen Seite muss man auch einsehen, dass es keinen Sinn hat, ein Unternehmen so weiterlaufen zu lassen, wenn es wirtschaftlich keinen Erfolg hat.
Wenige Jahre nach dem Verkauf sind Sie in die USA ausgewandert. Was läuft dort anders?
In den USA ist eine Pleite nichts Besonderes, sondern gehört zum Geschäftsalltag dazu. Die Insolvenz ist hier nichts, worüber man sich schämen muss. Wenn in Deutschland jemand eine Pleite hinlegt, dann muss er sich ins Mauseloch verkriechen und darf nie mehr rauskommen. So war es zumindest lange Zeit. Scheitern galt als Schande. In den USA ist mit Donald Trump einer der größten Pleitiers zugleich einer der prominentesten Unternehmer – das zeigt das andere Extrem.
Was würden Sie einem Investor empfehlen, der Interesse an Neckermann hat?
Ich glaube, auf den gedruckten Katalog muss das Unternehmen verzichten. Da führt kein Weg dran vorbei.
Vergrault man damit nicht Stammkunden wie Sie, die noch immer gerne im Katalog blättern?
Ich vertrete zwar tatsächlich noch die Kataloggeneration. Aber schon meine Kinder zählen zur Internetgeneration, die können mit Katalogen nichts mehr anfangen. Meine Enkel erst recht nicht. Es gibt noch die Spezialversender, die Kataloge brauchen, aber für Universalisten wie Neckermann ist das Kataloggeschäft ein Auslaufmodell.