Handelsblatt-Energietagung Hochspannung im Stromnetz

Wegen den witterungsbedingten Schwankungen von Solar- und Windkraft müssen die Stromnetzbetreiber immer häufiger eingreifen. So werden Engpässe und Überlastungen unterbunden. Die Rechnung dafür zahlen die Verbraucher.

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„Die dezentrale Einspeisung geht in diesen Wochen gegen null.“ Quelle: dapd

Berlin Um das Dilemma der Energiewende darzustellen, genügt Peter Franke ein einfaches Schaubild. Auf dem Chart sind zwei Kurven zu sehen. Die eine bildet den Stromverbrauch in Deutschland ab, die andere die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. In keiner Zeit des Jahres klaffen die beiden Linien weiter auseinander als Ende Januar, Anfang Februar.

Für den Vizechef der Bundesnetzagentur sind die nächsten zwei Kalenderwochen daher „besonders kritisch“ und arbeitsreich. „Es gibt keine nennenswerte Photovoltaik-Erzeugung in dieser Jahreszeit“, sagte Franke am Donnerstag auf der Handelsblatt-Energietagung in Berlin. Gleichzeitig könne auch die Stromproduktion durch Windkraft quasi zum Erliegen kommen. „Wir sehen, dass die dezentrale Einspeisung in diesen Wochen gegen null geht“.

Die Folge dieser Entwicklung: Um den witterungsbedingten Totalausfall von Solar- und Windenergie zu kompensieren, werden im ganzen Land Kohle- und Gaskraftwerke hochgefahren. Im Rest des Jahres zeigt sich meist das umgekehrte Bild: Weil die erneuerbaren Energien das Stromnetz fluten, werden im Gegenzug fossile Kraftwerke reihenweise abgeriegelt.

Beide Maßnahmen sind nötig, um das Stromnetz vor dem Kollaps zu bewahren. Und beide kosten viel Geld. So musste beispielsweise alleine der Netzbetreiber Tennet im vergangenen Jahr 700 Millionen Euro für Eingriffe ausgeben, die das Netz vor Engpässen oder Überlastungen schützen. Zum Vergleich: 2014 waren es noch 300 Millionen Euro.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel befürchtet, dass die sogenannten „Redispatch“-Kosten in diesem Jahr auf etwa eineinhalb Milliarden Euro ansteigen könnten. Die Rechnung dafür Zahlen die Verbraucher durch die Netzumlage. Der sozialdemokratische Vizekanzler äußerte deshalb diese Woche die Sorge, dass die Netzumlage und die Netznutzungsgebühren zum neuen „Preistreiber“ im Strommarkt werden.

Unbegründet ist Gabriels Befürchtung nicht. Tennet-Deutschland-Chef Urban Keussen kündigte auf der Handelsblatt-Energietagung schon einmal vorsorglich an: „Die Netzentgelte werden steigen.“ Der Grund: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien und des Netzes klafft immer dramatischer auseinander“, sagte Keussen. Während der Zubau von Solar- und Windenergie sowie Biomasse und Wasserkraft rasant voranschreitet – bereits ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms ist grün – hält der Netzausbau nicht Schritt. Um den Rückstand aufzuholen, sind milliardenschwere Investitionen nötig.


„Augenauswischerei“ bei der Kostenfrage?

Laut dem aktuellen Netzentwicklungsplan des Bundes gibt es einen Bedarf an „Optimierungs- und Verstärkungsmaßnahmen“ für bestehende Leitungen über eine Länge von 3.050 Kilometern sowie Neubauvorhaben mit einer Gesamtlänge von rund 2.750 Kilometern.

Damit Strom aus erneuerbaren Energien auch wirklich in jede Steckdose in Deutschland gelangen kann, braucht es vor allem neue, riesige Stromautobahnen vom Norden in den Süden. Denn Ökostrom wird in Deutschland eher in Bundesländern wie Schleswig-Holstein erzeugt. An den Küsten und auf dem Meer weht der Wind kräftiger und stetiger als im Süden.

Dummerweise wird aber gleichzeitig in Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg am meisten Strom verbraucht. Im Zuge der Energiewende müsse man diese „Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch“ schlichtweg in Kauf nehmen, erklärte Peter Franke. Aus Sicht des Vizepräsidenten der Bundesnetzagentur ist diese Entwicklung „unumkehrbar“.

Es sei deshalb „höchste Zeit, den Weg frei zu geben für die großen Gleichstrompassagen“, erklärte Hans Jürgen Brick. Der Chef des Netzbetreibers Amprion ist überzeugt, dass sich mit neuen, technischen Lösungen – etwa zur Spannungsstabilisierung –, die Kosten dämpfen ließen.

Andreas Cerbe hält das hingegen für wenig realistisch. „Wir gehen fest davon aus, dass die Kosten stark steigen“, sagte der Vorstand des Kölner Energieversorgers Rheinenergie. Alle anderslautenden Vorhersagen halte er für „Augenauswischerei“. Denn der Ausbau der Netze komme überhaupt nicht voran.

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