Früher fuhren Kunstinteressierte nicht in Industriegebiete mit ihren Stahlwerken, Zechen und ausgedehnten Einheitssiedlungen. Dass Essen eine Ausnahme bildet, verdankt die Stadt der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Der Name geht zurück auf den letzten Krupp, der 1967 verstarb. Und er erinnert an jene Firma, die bis 1945 Europas führender und gefürchteter Hersteller von Panzer- und sonstigen Kanonen war, darunter der Mörser namens „dicke Bertha“ aus dem Ersten Weltkrieg.
Heute gehört die Krupp-Stiftung zu den größten Stiftungen des Landes. Sie breitet ihre Wohltaten über viele Felder des öffentlichen Lebens aus, über Kultur, Gesundheit und Sport. Das Geld dafür stammt aus den Dividenden des ThyssenKrupp-Konzerns, an dem die Stiftung 25,33 Prozent hält: 53 Millionen Euro waren es 2011, obwohl ThyssenKrupp 1,8 Milliarden Verlust schrieb. Für die Überweisung sorgte Stiftungschef Berthold Beitz, 98. Der große alte Mann kannte kein Pardon.
Der Patriarch nahm als Stiftungsvorsitzender eine unangefochtene Stellung in Stiftung und Unternehmen ein. Da er selbst von niemandem kontrolliert wurde, agierte er zum Unmut vieler Manager im Konzern wie ein Familienunternehmer und zitierte Vorstände zum Rapport auf den Essener Hügel, dem Sitz der Stiftung. Jeden Montagmorgen um halb zehn Uhr wurde ihm berichtet, was im Unternehmen passiert ist. Die Stiftung lebt im Konzern als größter Einzelaktionär einen ungehemmten Machtwillen aus. Über Chefkontrolleur Gerhard Cromme, der bis März 2013 als stellvertretender Stiftungsvorsitzender fungierte, war sie zudem engstens mit dem Aufsichtsrat verbandelt.
Handfeste Sonderrechte garantierten der Krupp-Stiftung und damit dem Tandem Beitz/Cromme den vollen Durchgriff bei ThyssenKrupp. Die Stiftung kann drei Mitglieder des Aufsichtsrates ernennen. Ein Beschluss aller Aktionäre auf der Hauptversammlung ist dazu nicht nötig.
Das Prestige als Stütze
Die Bedeutung des Kuratoriums reicht aber weiter. Offiziell sollen nur Förderprogramme besprochen werden. Doch dem Gremium gehört traditionell auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen an, aktuell Hannelore Kraft (SPD). Dadurch gilt die Stiftung als der Himmel von Rhein und Ruhr und eine Mitgliedschaft im Kuratorium als Auffahrt eben dorthin. Dass in dem Gremium außer Beitz (und Cromme) faktisch niemand viel zu sagen hatte, ist Nebensache. So galt es als große Geste, dass Beitz den vorherigen ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz in die Stiftung bat, obwohl dieser sich bei Thyssen und nicht bei Krupp hochgedient hatte. Schwer wog der Verstoß aus dem Gremium, weil Schulz die Verluste aus dem US-Stahlgeschäft angelastet wurden.
Beitz stützte sich in seinem Prestige, das er im Ruhrgebiet genoss, vor allem auch auf seine Rolle während der Nazizeit. Als Ölmanager in der heute ukrainischen Stadt Boryslaw rettete er Juden vor der Ermordung und erhielt dafür von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“. Zudem konnte er sich seit dem Tod von Alfried Krupp als allerletzter Krupp fühlen, da der Verstorbene ihn zum Testamentsvollstrecker gemacht hatte. Daraus leitete Beitz den Auftrag ab, bei ThyssenKrupp zu bestimmen, was im Sinne des Krupp-Erbes ist und was nicht. Widerspruch war darin nicht vorgesehen.
Die wohltätigen Aufgaben der Krupp-Stiftung sind Legende. So fördern die Hügelaner das weit über Essen hinaus bekannte Folkwang-Museum. Das Alfried-Krupp- Krankenhaus gehört ebenfalls zur Stiftung, ein Großkomplex mit 2000 Mitarbeitern, zwei Standorten in Essen und 18 Einzel-Fachkliniken. Seit 1986 wird der Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer vergeben, sie erhalten aus der Hügel-Kasse eine Million Euro für ihre Forschung.
Und ganz oben, in Travemünde an der Ostsee, liegt die grün schimmernde ehemalige Yacht der Familie, die Germania VI. Diese ließ Alfried 1963 – zum Kummer altgedienter Stahlfetischisten – ganz aus Aluminium zusammenschweißen. Sie bietet Jugendlichen die Chance, das Regattasegeln zu lernen. Das war Krupps Lieblingssport. Die Familie hatte die Begeisterung für den Hochseesport in den Genen. Aber auch Turn- und Kickervereine in den Malochervierteln Essens profitierten von dem Mann von der Ruhr.