Medikamentenhersteller Pharmariesen vor Gericht

Wegen dubioser Marketingmethoden müssen die großen Produzenten Strafzahlungen in Milliardenhöhe leisten. Häufig geht es um unerlaubte Doppelvermarktung. Den Unternehmen droht ein massiver Vertrauensverlust.

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Marktmacht der Pillen: Immer größere Summen müssen die Produzenten nach verlorenen Justizverfahren zahlen. Quelle: dpa

Frankfurt Vertrieb und Marketing bilden traditionell den größten Kostenblock für die Pharmabranche. Doch nicht nur die direkten Kosten für Außendienstler, Werbung und Fachinformationen treiben den Aufwand im Pharmamarketing nach oben. Indirekt werden die Vertriebsbudgets inzwischen auch durch einen Faktor belastet, um den man sich bis Mitte des letzten Jahrzehnts wenig Gedanken machen musste: milliardenschwere Strafzahlungen an die US-Justiz.

Amerikanische Bundesstaaten und das Washingtoner Justizministerium gehen immer heftiger gegen gesetzeswidrige Vermarktungsmethoden und andere Rechtsverstöße der Branche vor. Am Dienstag einigte sich der amerikanische Konzern Merck & Co mit dem US-Justizministerium auf Strafzahlungen von 950 Millionen Dollar. In diesem Fall geht es um gesetzeswidrige Vermarktungsmethoden beim Schmerzmittel Vioxx, das der Konzern schon 2004 vom Markt nahm. Vioxx erzielte mehr als zwei Milliarden Dollar Jahresumsatz, bevor Studien aufdeckten, dass der Wirkstoff mit erhöhten Herzinfarktrisiken verbunden war.

Für zivile Schadensersatzklagen und Prozesskosten musste der US-Konzern in den vergangenen Jahren bereits mehr als sechs Milliarden Dollar aufbringen. Die nun verhängte Strafzahlung von knapp einer Milliarde Dollar bezieht sich vor allem auf den Vorwurf, dass Merck das Mittel Anfang des vergangenen Jahrzehnts auch als Medikament gegen Rheuma vermarktete, obwohl man für diesen Einsatzbereich noch keine Zulassung hatte.

Das Verfahren ist kein Einzelfall. Vor wenigen Wochen verständigte sich der britische Pharmakonzern Glaxo-Smithkline mit dem US-Justizministerium auf die Zahlung der Rekordsumme von drei Milliarden Dollar, um diverse Straf- und Zivilverfahren beizulegen. In erster Linie ging es um die Vermarktung des Diabetesmittels Avandia, das ebenfalls mit erhöhten Infarktrisiken verbunden war. Allein die Zahlungen von GSK und Merck & Co werden dafür sorgen, dass die Einnahmen der US-Justiz aus Verfahren gegen die Pharmabranche 2011 auf das Rekordniveau von über vier Milliarden Dollar steigen. Die einstigen Vertriebserfolge verwandeln sich im Nachhinein in eine Bürde für die Bilanzen.


Findige Verkaufsstrategien der Hersteller wurden ihnen zum Verhängnis

Fast alle namhaften Pharmahersteller waren in den letzten Jahren in derartige Verfahren verwickelt. Dreistellige Millionensummen für Rechtsstreitigkeiten und Schadensersatz fielen im Vorjahr unter anderem bei Astra-Zeneca, Novartis und Pfizer an. Betroffen waren 2010 auch die deutschen Hersteller Bayer, Boehringer und Merck mit Summen zwischen 136 und 280 Millionen Dollar. Meist geht es um nicht erlaubte Vertriebsmethoden, teilweise auch um fehlerhafte Abrechnungen gegenüber staatlichen Einrichtungen wie der Medicare-Versicherung für ältere Menschen.

Als juristische Falle für die Pharmafirmen entpuppte sich vor allem die Strategie, den Einsatz der Medikamente auch für die Behandlungen von Krankheiten zu empfehlen, für die sie keine Zulassung haben. Dieser sogenannte Off-Label-Einsatz ist oft ein wichtiger Faktor hinter den kräftigen Umsatzsteigerungen bei einzelnen Wirkstoffen.

Einschließlich der jüngsten Fälle dürften sich die Straf- und Ausgleichszahlungen an die US-Justiz inzwischen auf etwa 20 Milliarden Dollar addieren. Rein finanziell ist das für die hochprofitable Branche in aller Regel leicht zu verkraften. Sowohl Merck & Co als auch Glaxo-Smithkline hatten bereits 2010 Rückstellungen für die Verfahren gebildet und trotzdem ordentliche Gewinne ausgewiesen. Im Durchschnitt dürften die Strafzahlungen die Nettogewinne der Branche um etwa zwei Prozent gedrückt haben.

Härter als die finanziellen Belastungen könnte aus Sicht der Hersteller der indirekte Schaden für die künftigen Vertriebsstrategien ausfallen. Denn mit der US-Justiz im Nacken müssen sie vorsichtiger im Marketing agieren. Der Umsatzanstieg bei vielen neu zugelassenen Medikamenten fällt bereits schwächer aus als in der Vergangenheit.

Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma KPMG betrachtet die Strafzahlungen und den Vertrauensverlust als eine der wesentlichen Herausforderungen für die Branche. „Eine Überprüfung der Corporate Governance ist notwendig, um diese Risiken zu minimieren und das Vertrauen der Konsumenten zurückzugewinnen“, heißt es in einer Studie von KPMG.

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