Westinghouse-Insolvenz Toshibas globaler Atom-Traum ist geplatzt

Milliardenverluste in der US-Atomsparte Westinghouse haben Toshiba an den Rand des Ruins gebracht. Nun schickt der Konzern sein Sorgenkind in die Pleite – und will sich mit einer Radikalkur gesundschrumpfen.

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Der Kraftwerksbauer Westinghouse wurde für Toshiba von der Wachstumshoffnung zum Milliardengrab. Quelle: Reuters

Tokio Der japanische Traditionskonzern Toshiba hat seinen Traum, der weltweit größte Atomkraftwerksbauer zu werden, zu Grabe getragen. Am Mittwoch beschloss der Vorstand in Japan, Gläubigerschutz für den Kern seiner AKW-Sparte, den amerikanischen Kraftwerksbauer Westinghouse, zu beantragen. Mitbetroffen ist Toshiba Nuclear Energy Holdings in Großbritannien.

Der dramatische Schritt ist politisch hochbrisant. Denn er stürzt wichtige Kraftwerksprojekte in den USA und Großbritannien in große Schwierigkeiten. Bisher ist noch unklar, wie sich Westinghouse sanieren kann. Aber die Toshiba-Chefs sah offenbar keine andere Möglichkeit, den überraschenden finanziellen Fall-out seines Atomgeschäfts zu begrenzen, der die Ikone der Japan AG an den Rand des Ruins gedrängt hat. Dabei hatte Toshibas globale Expansion im Atomgeschäft so hoffnungsvoll begonnen.

Daheim war der Konzern neben Hitachi und Mitsubishi Heavy ohnehin eine Stütze von Japans ambitionierter Atomstrategie. 2006 kaufte Toshiba dann Westinghouse hinzu, um zu einem globalen AKW-Anbieter zu werden. Westinghouse erfüllte die Erwartungen zuerst. Das Unternehmen gewann Aufträge in China und schnappte sich dann auch in seinem Heimatmarkt die ersten beiden Kernkraftwerk-Neubauten seit 30 Jahren in Georgia und South Carolina. Doch 2011 verwandelte die Atomkatastrophe in Fukushima die Wachstumshoffnung in ein Milliardengrab.

Daheim erstarb das Geschäft schlagartig. Und in den USA sorgten neue Sicherheitsvorschriften für Verzögerungen und steigende Kosten, die das Baukonsortium tragen musste. Über die Aufteilung der Summen gerieten Westinghouse und der Baukonzern CB&I Stone & Webster in Streit.

Die vermeintliche Lösung erwies sich nun als Selbstmord: Westinghouse kaufte 2015 den Partner und damit auch die finanziellen Probleme. Doch erst im Dezember kündigte Toshiba zur Überraschung der Aktionäre hohe Wertberichtigungen für die Tochter an. Mit sechs Milliarden Euro drohten sie das Eigenkapital auszulöschen. In seiner Not musste Toshiba mehrfach die Veröffentlichung seiner Quartalsbilanz verschieben, weil die Buchprüfer die Zahlen der immer neuen Rettungspläne nicht absegnen wollten.

Dieser beispiellose Vorgang unterstreicht, wie schlecht es Toshiba geht. Als erste Notoperation beschloss der japanische Traditionskonzern zuerst, einen Teil, später die gesamte lukrative Speicherchip-Sparte zu versilbern, um sich aus der drohenden Pleite zu befreien.


Verkauf der Chipsparte wird kein Selbstläufer

Die gute Nachricht: Die Bewerber stehen Schlange, denn Toshiba ist mit Samsung der Marktführer von Speichern für mobile Geräte. Nach Medienberichten hat Samsungs Lokalrivale SK Hynix am Mittwoch beschlossen, als Teil eines koreanisch-japanischen Konsortiums mitzubieten. Als Gebot stehen neun Milliarden US-Dollar im Raum. Toshiba hat den Wert seiner Sparte auf 13 Milliarden US-Dollar taxiert.

Die schlechte Nachricht: Der Verkauf wird kein Selbstläufer. Denn der japanische Wirtschaftsminister Hiroshige Seko hat am Dienstag angekündigt, jeglichen Deal „strikt unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit“ zu prüfen. Damit will die Regierung den Abfluss von Jobs und Knowhow ins Ausland verhindern und Japan eine Rolle als Chiphersteller für die kommende digitale Revolution sichern.

Mitte des Monats kündigte Konzernchef Satoshi Tsunakawa zudem die zweite Notoperation an: Er will die AKW-Sparte abtrennen, um Toshiba auf einen gesunden Kern zu schrumpfen. Das Toshiba sich mit dem Entschluss so schwer tat, lag zum einen an den hohen Kosten der Radikalkur.

Schon jetzt sagt das Unternehmen für das Ende März auslaufende Bilanzjahr einen negativen Bilanzwert von 110 Milliarden Yen (920 Millionen Euro) und einen Reinverlust von 390 Milliarden Yen (3,3 Milliarden Euro) voraus. Durch das Insolvenzverfahren könnte der Reinverlust nun auf 1,01 Billionen Yen (8,4 Milliarden Euro) ansteigen. Auch die Kapitallücke explodiert, bis endlich die Chipsparte verkauft sein wird. Immerhin steht schon ein Sponsor für die Rehabilitation bereit: Nach Medienberichten hat Koreas nationaler Stromkonzern Kepco Interesse an Toshibas britischen AKW-Projekt NuGen angemeldet.

Dennoch ist unklar, was die neue Situation für Toshibas gefährdeten Verbleib an der Börse bedeuten wird. Bis zum 11. April muss der Konzern nun seine Bilanz vorlegen. Schon ein negativer Firmenwert könnte dazu führen, dass Toshiba zumindest in die zweite Sektion der Tokioter Börse absteigen muss. Doch auch von anderer Seite droht Gefahr.


Ein Konzern wird zur Resterampe

Seitdem 2015 Toshiba einen Bilanzskandal eingestehen musste, droht die Börse Tokio mit einem Rauswurf des Konzerns. Am 15. März musste Toshiba der Börse abschließend berichten, wie das Management die Corporate Governance verbessern will. Das Urteil der Börse steht noch aus. Aber mit der wiederholten Verschiebung der Bilanz stellte sich Toshiba selbst ein schlechtes Zeugnis aus.

Zweitens fiel Toshiba der Abschied von der AKW-Sparte auch psychologisch schwer. Denn der Konzern wird damit endgültig von einem strategisch wichtigen Unternehmen der Nation zur Resterampe. Im Jahr 2017 wird Toshibas Umsatz durch die Abtrennung der zwei Sparten nach Schätzungen des Unternehmens um 31 Prozent auf 3850 Milliarden Yen (32 Milliarden Euro) fallen. Das ist nur noch halb so viel wie im Bilanzjahr 2007.

Auch der Gewinn wird leiden, wenn die Chipsparte fehlt. Das Unternehmen sagt bisher für 2017 einen Betriebsgewinn von 70 Milliarden Yen (585 Millionen Euro) voraus, 70 Prozent weniger als ohne die bevorstehende Dekonsolidierung von Westinghouse und der Chipsparte. Die wichtigsten Sparten sind dann nicht mehr ganz so prestigeträchtig wie bisher.

Der größte Anteil entfällt auf den Bereich „Soziale Infrastruktur“ mit Registrierkassen für Supermärkte, Fahrstühlen, Klimaanlagen oder Abwasserreinigung im großen Maßstab. Deutlich dahinter reiht sich dann das Geschäft mit Anlagen für Thermal-, Wasser- und Sonnenkraftwerke sowie Brennstoffzellen und industrielle Großakkus ein. Dahinter folgen elektronische Bauteile und Geräte sowie Software und Dienstleistungen für die kommende digitale Revolution der Industrie.

Die große Frage bleibt, wie Toshiba den Neubeginn finanzieren will. Eine Kapitalerhöhung an der Börse ist erst möglich, wenn diese das Sorgenkind wieder als vollwertiges Mitglied aufnimmt. Anleihen verbieten sich. Denn die Ratingagenturen stufen Toshibas Bonds als hochspekulativen Ramsch ein.

Standard & Poor’s warnte vor zwei Wochen, dass Toshiba in den kommenden sechs Monaten entweder Probleme bekommen könnte, alle Rechnungen zu bezahlen, oder die Banken um Umschuldungen bitten müsse. Denn auch mit der Abspaltung von Westinghouse bleibt Toshiba finanziell für einen Teil der Verbindlichkeiten, Strafen und andere Kosten in der Pflicht. Banken dürfte es damit schwer haben, neue Kredite zu rechtfertigen.

Toshiba und seinen Aktionären droht damit auch in den kommenden Monaten eine spannende Gratwanderung. Am 30. März werden sie die Möglichkeit haben, dem Management ihre Meinung zu sagen. Dann wird das Unternehmen eine in Tokio eine außerordentliche Aktionsversammlung abhalten, um die Rettungspläne absegnen von den Anteilseignern absegnen zu lassen.

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