Innovationsmanagement Wie Kunden Unternehmen beim Erfinden helfen

Unternehmen mit gutem Innovationsmanagement sind erfolgreicher, aber die Ideen-Pipeline muss ständig gut gefüllt sein. Dabei spielen die Kunden eine immer wichtigere Rolle.

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Burgerkomponist McBrezel

Zum Auftakt kam in der letzten Juni-Woche der N.Y. CheeseBeef auf die Karte: mit Rinderbulette, Käse, Zwiebeln und verschiedenen Soßen. Anschließend der Just Stevinho mit Hähnchen, Rucola und Emmentaler, dann der McBrezel, diesmal mit Leberkäse, Röstzwiebeln, Kartoffelsalat und Bergkäse. Mit dem Tanja Grilled Chicken Barbecue mit Hähnchen, verschiedenen Salaten und Mais sowie dem Big Flavour mit Rindfleisch, Jalapeños und Bacon geht die Aktion am 27. Juli zu Ende.

Burger in sozialen Netzwerken?

Was in den vergangenen Wochen in den knapp 1400 McDonald’s-Filialen zwischen Flensburg und Passau zusätzlich zu Big Mac, Cheeseburger und Royal TS im Angebot war, sind Eigenkreationen aus dem Kreis der deutschen Kunden. Die durften Anfang des Jahres in der bundesweiten "Mein Burger"-Kampagne im Internet aus rund 70 vorgegebenen Zutaten ihren Wunschburger zusammenstellen und dafür in sozialen Netzwerken wie Facebook werben. Rund 115 000 Rezeptvorschläge gingen ein, etwa 1,5 Millionen Stimmen wurden abgegeben, die fünf erfolgreichsten Klopsbrötchen-Varianten kamen jetzt in den Test. „Wir sind begeistert von der Resonanz dieser Aktion“, sagt James Woodbridge, Marketing-Vorstand von McDonald’s Deutschland.

Der Marktführer unter den deutschen Gastronomiekettenbetreibern erreicht so nicht nur einen multimedialen Werberummel – die fünf siegreichen Burger-Komponisten mit ihren Kreationen wurden wochenweise im Fernsehen, in Hörfunk-Spots, Kampagnen auf Facebook oder YouTube und in den Restaurants beworben. Ganz nebenbei verschafft sich McDonald’s jede Menge Ideen und Anregungen zur Ausweitung des Sortiments und für künftige Produkte.

Nicht nur die deutsche Tochter des US-Burger-Braters nutzt Kreativität, Fantasie und Spieltrieb der eigenen Kundschaft, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Auch renommierte Autokonzerne, Kosmetikhersteller, Spielzeugfabrikanten, Handelsplattformen und sogar internationale Investitionsgüterproduzenten haben das Potenzial erkannt: "Die Einbeziehung der Kunden ist einer der Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Innovationsmanagement", sagt Kai Engel, Leiter des Bereichs Innovationsmanagement und Partner der Beratung A.T. Kearney. "Der intensive Dialog mit den Kunden und das systematische Sammeln von Kundenideen hilft Unternehmen, ihre Innovationspipeline ständig gut gefüllt zu halten."

Best innovator 2011web

Engel ist Initiator des jährlich von A.T. Kearney, WirtschaftsWoche, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und der Fraunhofer-Gesellschaft veranstalteten "Best Innovator"-Wettbewerbs. Innovation wird auch von den Anlegern honoriert: "Die durchschnittliche Aktienkursentwicklung aller seit dem Start des Contests 2003 gekürten börsennotierten Best-Innovator-Gewinner liegt deutlich über der Kursentwicklung des deutschen Aktienindex Dax", sagt Engel. "Exzellentes Innovationsmanagement ist einer der wesentlichen Treiber für nachhaltiges und profitables Wachstum."

Dabei spielt Open Innovation, wie die Zusammenarbeit von Unternehmen mit den Kunden im Rahmen von Innovationsprozessen auf Neudeutsch heißt, eine immer wichtigere Rolle.

In vielen Chefetagen gibt es offenbar Zweifel, ob intern immer die richtigen Ideen ausgebrütet werden. Die besten Anregungen für neue Produkte kämen von außerhalb, sagten 84 Prozent aller vom US-Marktforscher Research & Technology Executive Council für eine aktuelle Studie befragten Technikvorstände. Fast drei Viertel glauben nicht, dass die eigenen Forschungsabteilungen strategisch richtig ausgerichtet sind. "Früher haben die Unternehmen entwickelt und der Kunde kaufte oder auch nicht", sagt Frank Piller, Professor der Universität Aachen und Spezialist für Innovationsmanagement. "Heute werden Kunden als Partner oder sogar als Treiber und Initiatoren eines Innovationsprozesses gesehen."

Die Liste der Unternehmen, die systematisch ihre Kunden anzapfen, ist lang. Der Autohersteller BMW etwa unterhält im Internet seit 2010 ein sogenanntes Co-Creation-Lab, um in aller Welt neue Ideen und Verbesserungsvorschläge einzusammeln. In der ersten Runde ging es noch um das eher allgemeine Thema "Zukünftige urbane Mobilität". Die Sieger aus Indien, Spanien und den USA reüssierten mit Vorschlägen zur Organisation von Mitfahrgelegenheiten und zur Parkplatzsuche.

Lego setzt Innovationen unmittelbar um

Die zweite Runde des Wettbewerbs war schon deutlich näher dran am Produkt: Diesmal ging es um Ideen zur Innenraumgestaltung künftiger BMW-Modelle. Rund 1200 Verbesserungsvorschläge gingen ein – etwa für eine Innenraumbeleuchtung mit unterschiedlicher Farbtönung. Damit ließe sich das Interieur des Autos auf Knopfdruck auf die Garderobe der Insassen abstimmen.

Andere Unternehmen setzen sogar einen Teil der Vorschläge sofort in neue Produkte um. Der Spielzeughersteller Lego zum Beispiel lässt im Internet neue Figuren für virtuelle Welten gestalten. Zudem werden regelmäßig Kunden eingeladen, um in Spiellabors aus vorhandenen Baukästen neue Modelle zu entwerfen. "Unsere Fans begeistern sich fürs Konstruieren", sagt Tormod Askildsen, bei Lego zuständig für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, "warum sollten wir deren kreatives Potenzial nicht nutzen?"

Lego ersetzt jedes Jahr 60 bis Quelle: dapd

Innovationsmanagement ist bei Lego Überlebensstrategie: Aufgrund der demografischen Entwicklung schrumpft der Spielzeugmarkt seit Jahren, Wachstum ist schwierig. Das hohe Innovationstempo des dänischen Klötzekonzerns lässt sich am Sortiment nachvollziehen: Jahr für Jahr werden 60 bis 70 Prozent aller Produkte durch neue ersetzt. Der durchschnittliche Lebenszyklus eines Baukastens liegt bei 18 Monaten. "Im Wettbewerb gilt es immer, etwas schneller mit den besseren Differenzierungsmerkmalen für sein Produkt erfolgreich am Markt zu sein", sagt Berater Engel. "Dann werden die Zeiträume, bis ein Produkt profitabel ist, die kürzesten im Wettbewerbsvergleich sein."

Was tun Swarovski, Tchibo & Co?

Virtuelle Wünsch-dir-was-Zirkel, wo die Kundschaft über die Zusammensetzung des Sortiments mitentscheidet, haben inzwischen viele Konsumgüterproduzenten und Händler. Beim Schmuckhersteller Swarovski durften die Anhänger des extrovertierten Geschmacks Uhren und Anhänger mit den kleinen Glitzersteinchen verzieren. Der Kaffeeröster Tchibo sammelt im Internet Ideen für sein wechselndes Warenangebot. Beiersdorf und Procter & Gamble entwickeln mithilfe ihrer Kunden neue Kosmetikprodukte oder Verpackungen. "Hier vollzieht sich der Wandel von der Industriegesellschaft hin zu einer vernetzten Wissens- und Kommunikationsgesellschaft", sagt Michael Bartl, Chef der Münchner Hyve, die Unternehmen beim Aufbau von Open-Innovation-Plattformen berät.

Doch das Befragen der Kunden reicht nicht immer: "Hätte man damals die Postkutscher befragt, hätten die sich vermutlich schnellere Pferde gewünscht", sagt A.T.-Kearney-Mann Engel. "Besser ist es, seine Kunden zusätzlich genau zu beobachten, um früh neue Bedürfnisse erkennen zu können." Der Burger-Konzern McDonald’s macht das mit Erfolg: Die für eine Imbisskette gediegen designten McCafé-Abteilungen mit ihrem Kaffee-, Kuchen- und Sandwichangebot entstanden dank der Erkenntnis, dass immer mehr Kunden auswärts frühstücken. Und weil sie dabei gern per Laptop ihre E-Mails checken, installierte McDonald’s dort Hotspots für drahtlosen Internet-Zugang.

Richtig gut funktioniert die Methode allerdings nur bei bekannten Marken. Beispiel Apple: Die als Apps bezeichneten kleinen Anwendungsprogramme für iPhone oder iPad werden von Nutzern für Nutzer entwickelt. No-Names haben es ungleich schwerer, ihre Kunden zum Dialog zu ermuntern. Ähnliche Probleme haben Unternehmen, deren Produkte kaum einer kennt, weil sie weiterverarbeitet werden – Rohstofflieferanten etwa. "Für Unternehmen, die ganz am Anfang von Wertschöpfungsketten stehen, ist Open Innovation sehr viel komplexer, da über eine Vielzahl von Wertschöpfungsstufen bis zum Endkunden geschaut werden muss", sagt Engel. "Gleichzeitig muss mit den B2B-Kunden passend zusammengearbeitet werden."

"Ecomagination als Wachstumstreiber"

Auch für Investitionsgüterhersteller ist die Einbeziehung Außenstehender in Innovationsprozesse aufwendiger. General Electric (GE) mit seinem Ecomagination-Projekt für neue, umweltschonende Technologien und Produkte ist ein Beispiel, wie es trotzdem gelingen kann. Das Unternehmen, bei der Windenergie eher ein Nachzügler, hat Umweltschutz zum Geschäftsmodell für die Zukunft erklärt – und greift damit einen gesamtgesellschaftlichen Trend auf. Über Internet-Foren, Diskussionsrunden und Dialogveranstaltungen werden nicht nur Kunden einbezogen, sondern auch Umweltgruppen, Politiker, Analysten und Investoren. "Ecomagination hat sich für uns zu einem bedeutenden Wachstumstreiber entwickelt", sagt GE-Chef Jeffrey Immelt.

Bis 2015 will GE zehn Milliarden Dollar in die Entwicklung sogenannter Clean-Tech-Produkte zur Ressourcenschonung, zur Luft- und Wasserqualitätsverbesserung und zur Energieeffizienz investieren. Bereits im Startjahr 2010 wurden mit 22 neuen Produkten und Dienstleistungen aus diesem Bereich 18 Milliarden Dollar umgesetzt. Dazu gehören endverbrauchernahe Produkte wie neue Ladestationen für Elektroautos, aber auch Infrastrukturkomponenten wie Technologien zur drahtlosen Übertragung von Strom.

"Die erfolgreiche Einbeziehung großer Stakeholder-Gruppen in den Innovationsprozess setzt eine explizite Fragestellung voraus, die sich aus der Innovationsstrategie ableiten sollte", erklärt Engel das Verfahren. Teil des GE-Projekts ist zum Beispiel das sogenannte Homebuilder-Programm. Dort geht es um die Senkung von Energieverbrauch und Schadstoffausstoß in Privathaushalten. Die thematische Fokussierung begrenzt das Risiko, mit Neuerungen total danebenzuliegen – Flops können bei Investitionsgüterherstellern im Extremfall die Existenz gefährden.

So schlimm kam es beim Otto-Versand zwar nicht, das Handelsunternehmen ist aber ein Beispiel dafür, wie schnell die Kontrolle bei Open-Innovation-Prozessen verloren gehen kann. Ende vergangenen Jahres hatte Otto seine Kunden auf Facebook dazu eingeladen, sich als "Gesicht der Otto Fanpage" zu bewerben.

Die meisten Stimmen bekam Brigitte aus Koblenz: in Wirklichkeit der 22 Jahre alte Student Sascha, der sich aus Jux beworben hatte – geschminkt und als Frau verkleidet.

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