Es kommt selten vor, dass Manager sich öffentlich von Produkten aus dem eigenem Haus distanzieren. Umso bemerkenswerter ist die Aussage von Joe Belfiore, der bei Microsoft die Entwicklung der Betriebssysteme leitet. Ein Twitter-Nutzer fragte ihn am Sonntag, ob es Zeit sei, künftig auf Windows 10 Mobile zu verzichten – also die Software für Smartphones. Die Antwort des Managers dürfte Fans schockieren.
Der Konzern will zwar weiter Fehler ausbessern und Sicherheitslücken schließen, aber neue Funktionen und neue Hardware seien „nicht im Fokus“, erklärte Belfiore. Die Weiterentwicklung von Windows 10 Mobile endet also. Er selbst nutze bereits eine andere Plattform, ließ der Manager wissen, wegen der Auswahl bei Apps und Hardware. „Choose what’s best 4 u“, schob er in der üblichen Abkürzung hinterher: Sucht euch das aus, was am besten für euch ist.
Besonders überraschend ist die Aussage nicht: Microsoft ließ in den vergangenen Jahren immer weniger Ehrgeiz erkennen, das eigene Betriebssystem für mobile Geräte weiterzuentwickeln, und investierte zeitgleich in Apps für die Plattformen iOS von Apple und Android von Google. Auch neue Hardware war Mangelware. Doch so deutlich hat sich bislang keine Führungskraft des Konzerns geäußert.
Eines der größten Probleme ist nach Einschätzung von Belfiore das geringe Angebot an Apps. Microsoft habe zwar versucht, den Entwicklern Anreize zu geben – der Konzern habe ihnen Geld gezahlt und sogar die Mini-Programme für sie entwickelt –, ,„aber die Zahl der Nutzer ist für die meisten Firmen zu niedrig, als dass sie investieren würden“. Es ist ein Teufelskreis: Ohne attraktive Apps halten sich die Käufer zurück. Aber ohne Käufer lohnt sich die Entwicklung von Apps nicht.
Die Vereinheitlichung mit Windows 10 hat offenbar wenig geholfen. Die neue Version des Betriebssystems nutzt auf allen Plattformen den gleichen Kern, von der interaktiven Tafel Surface Hab über Notebooks und Smartphones bis zur Datenbrille Hololens. Damit ist es für Entwickler möglich, Anwendungen mit geringem Aufwand anzupassen – PC-Programme etwa für Smartphones. Doch auch das half wenig: Der Marktanteil von Windows lag 2016 bei weniger als einem Prozent.
Auch Partner verloren den Glauben an das Betriebssystem. Nur noch wenige Hardware-Anbieter nutzen das System noch. Erst vor wenigen Tagen erklärte der größte PC-Hersteller HP, dass er künftig nicht mehr mit dem mobilen Betriebssystem arbeiten werde. Microsoft habe eine neue Strategie beschlossen und unterstütze die Software nicht mehr, begründete ein Manager den Schritt.
Microsoft selbst übernahm 2014 für 9,5 Milliarden Dollar den Handyhersteller Nokia, konnte sich aber mit den Lumia-Modellen nicht gegen die Konkurrenz durchsetzen. Der Konzern stricht in der Folge Tausende Stellen und schrieb die Firmenwerte ab. Auch mit früheren Betriebssystemen für mobile Geräte wie Windows Mobile konnte sich der Konzern nicht behaupten.
Microsoft-Chef Satya Nadella forciert stattdessen die Entwicklung von Apps für andere Plattformen. Nach seinem Amtsantritt 2014 gehört es zu seinen ersten Ankündigungen, das Office-Paket auch fürs iPad anzubieten – sein Vorgänger Steve Ballmer hatte das verhindert, um das eigene Tablet-Modell Surface zu stärken. Auch andere Dienste und Programme wie Onedrive, Skype oder Outlook laufen auf iPhones und Android-Geräten. Jüngst kündigte der Konzern an, seinen Browser Edge für Android anzupassen. Kurz gesagt: Windows hat längst nicht mehr Vorrang.
Microsoft wird Windows für Smartphones nicht abrupt aufgeben. „Viele Firmen stellen die Software ihren Mitarbeitern noch zur Verfügung, und wir werden sie unterstützen“, erklärte Belfiore. Es ist aber absehbar, dass der Konzern über kurz oder lang die Unterstützung für Windows 10 Mobile einstellen und damit auch keine Updates mehr herausgeben wird.
Trotzdem könnte es weiter Windows auf Smartphones geben. Medienberichten zufolge arbeitet Microsoft unter dem Codenamen „Andromeda OS“ an einem Betriebssystem, das auf allen Geräten laufen soll, auch auf Smartphones. Mit ersten Geräten sei aber nicht vor 2018 zu rechnen, schreibt die Microsoft-Spezialistin Mary Jo Foley vom Technologieblog ZD-Net.