„Zucked – Waking up to the Facebook Catastrophe“ Tech-Bestseller rechnet mit Zuckerberg ab

Teils Biographie, vor allem aber eine Anklage gegen die Werbegeschäftsmodelle des Silicon Valley: Das kürzlich erschienene Buch von Roger McNamee klagt Facebooks Praktiken an. Quelle: imago images

Ein ehemaliger Mentor von Mark Zuckerberg hat ein Buch geschrieben. Es geht mit dem Facebook-Gründer hart ins Gericht. Doch wie glaubwürdig ist sein Autor?

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Eigentlich ist Roger McNamee an Facebooks Aufstieg schuld. Auf Seite 14 seines am Dienstag veröffentlichten und nicht nur im Silicon Valley herbeigefieberten Bestsellers „Zucked – Waking up to the Facebook Catastrophe“ beschreibt der einflussreiche Wagnisfinanzierer, wie ihn im Frühsommer 2006 der damals 22-jährige Gründer von Facebook aufsucht, um eine für ihn „existenzielle Krise“ zu diskutieren. Es ist die erste persönliche Begegnung der beiden. Bevor Zuckerberg – Spitzname Zuck – sein Problem überhaupt vorbringen kann, nimmt McNamee es vorweg. Microsoft oder Yahoo, so spekuliert er, hätten eine Milliarde Dollar geboten, um das soziale Netzwerk zu kaufen. Freunde, Verwandte, Mitarbeiter und Gesellschafter würden den jungen Gründer beschwören, die Offerte anzunehmen. Schließlich ist er auf einen Schlag 650 Millionen Dollar schwer. Echtes Geld, keine fiktive Zahl in der Kalkulation eines Investors.

Zuckerberg ist perplex. Genau das ist geschehen. Yahoo will Facebook kaufen. McNamee argumentiert dagegen: „Es ist Dein Unternehmen, aber ich denke, Du solltest nicht verkaufen. Ein Konzern wird Facebook verpfuschen. Ich glaube, dass Du das wichtigste Unternehmen seit Google vorantreibst und es nicht mehr lange dauern wird, bevor es größer ist als Google heute. Du hast zwei Vorteile gegenüber den früheren sozialen Medien Plattformen: Du bestehst auf realer Identität und gibst Konsumenten Kontrolle über deren Datenschutz-Einstellungen.“

Will Zuckerberg überhaupt verkaufen? „Ich will niemanden enttäuschen“, soll der Facebook-Chef entgegnet haben. Die Yahoo-Offerte wird abgewehrt. Auch weil das Unternehmen zu wenig bietet und Zuckerberg deshalb die verkaufswilligen Gesellschafter überstimmen kann.

In einem hat McNamee recht behalten. Yahoo hätte Facebook vermasselt. Im Sommer 2005 – ein Jahr vor dem Treffen der beiden – kaufte Medienzar Rupert Murdoch das soziale Netzwerk MySpace für 580 Millionen Dollar. MySpace ist zu dem Zeitpunkt größer und populärer als Facebook, das deshalb Probleme hat, Talente anzuwerben. Innerhalb weniger Jahre ruinieren Murdochs Manager MySpace, während Facebook durchstartet. Yahoo gibt es mittlerweile auch nicht mehr. Die kläglichen Reste werden gerade von der Telefongesellschaft Verizon gefleddert, genauso wie AOL. Wo sich McNamee allerdings getäuscht hat, ist die Sorgfalt von Facebook beim Prüfen von Identitäten und Zuckerbergs Umgang mit Privatsphäre.

Deshalb hat McNamee nun ein 336 Seiten starkes Buch verfasst. Es ist teils Biographie, vor allem aber eine Anklage gegen die Werbegeschäftsmodelle des Silicon Valley, allen voran Facebooks Praktiken. McNamee schildert aus Sicht eines Silicon-Valley-Insiders sehr anschaulich den Aufstieg der Internet-Branche. Wie Google das Prinzip von kostenlosen Diensten durchsetzt, angefangen mit seiner Suchmaschine. Die Nutzer zahlen, indem durch die Suchanfragen auf ihre Absichten geschlossen und diese durch Anzeigen vermarktet wird. Dank seines gratis Email-Dienstes lernt Google mehr über die Identität seiner Nutzer. Facebook hebt die Datenanalyse mit einer Art digitalem Einwohnermeldeamt auf eine neue Stufe, lernt so die Beziehungen der Internet-Nutzer untereinander kennen, ihre persönlichen Vorlieben und Interessen, später auch die Abneigungen. Zuckerberg nennt es Transparenz. Er denkt groß, will die ganze Welt vernetzen. Das unterscheidet ihn von anderen. Ob es der junge Programmierer, der Harvard abbricht, von Anfang so geplant hat oder nicht – aus der Transparenz wird eine Art Big Brother. McNamee hilft dem Wunderkind sogar, mit Sheryl Sandberg eine Topmanagerin von Google zu gewinnen. Sie baut das auf, woran es Facebook mangelt: Ein Geschäftsmodell, mit dem die gewonnenen Daten über die Nutzer verwertet werden. Das ist so erfolgreich, dass Facebook schließlich höhere Profitmargen als Apple ausweist.

Zuckerberg leidet am Midas-Effekt

Facebook steigt zu einem der wertvollsten und mächtigsten Unternehmen der Welt auf. McNamee verdient dabei als Investor Hunderte Millionen Dollar und hält nach eigenem Bekunden noch heute Facebook-Aktien.

Im Frühjahr 2016 will dem einstigen Zuckerberg-Mentor klargeworden sein, dass das soziale Netzwerk eine Art Überwachungskapitalismus zum neuen Vorbild gemacht hat und dabei ist, Demokratie und Privatsphäre zu zerstören. Er interveniert bei Zuckerberg und Sandberg, „die Einzigen, die etwas ändern könnten“, aber die sehen keine Probleme. Das ist, als alle Welt noch annimmt, dass Hillary Clinton die Präsidentschaft gewinnen wird, der Datenskandal um Cambridge Analytica noch unbekannt ist, ebenso wie die Rolle der Russen im US-Wahlkampf.

Ist ausgerechnet jemand wie McNamee, der mit Facebook Hunderte Millionen Dollar verdient hat, in diesem Konflikt glaubwürdig? Oder ist es nur ein Versuch, die drohende Regulierung der Tech-Branche so zu lenken, dass die Silicon-Valley-Elite keinen Schaden nimmt, vielleicht sogar davon profitiert? Warum sollte ausgerechnet einer der am besten vernetzten Investoren Nestbeschmutzer spielen?

Doch McNamee nimmt kein Blatt vor den Mund, geht radikal mit der Tech-Branche zu Gericht und macht deutlich, dass nicht nur die Geschäftspraktiken von Facebook, sondern auch die von Google problematisch sind. Und dass diese angepackt werden müssen, bevor der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz durch maschinelles Lernen eine Gesellschaft hervorbringt, die nicht nur überwacht und kontrolliert, sondern auch bewusst unterdrückt.

McNamee liefert Ideen, wie sich die Gefahr von digitalen Plattformen eindämmen lassen könnte. Dass die Nutzer selber aufwachen und die Vermarktung ihrer persönlichen Daten boykottieren, daran glaubt auch er nicht.

Da die Verbraucher aber betrogen werden, weil ihre Daten viel mehr wert sind, als sie dafür im Gegenzug in vermeintlichen Dienstleistungen erhalten, sollten Plattformen wie Facebook, Google und auch Amazon als Monopole deklariert und aufgebrochen werden, argumentiert er. Das Verwerten von Daten müsste drastisch eingeschränkt werden, auch wenn Dienste dadurch kostenpflichtig werden sollten.

Es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet ein Investor aus dem Silicon Valley und Verfechter der freien Marktwirtschaft nun darauf hofft, dass Politiker den Schlamassel beseitigen. Glaubt man McNamee, gibt es nur eine Person, auf die Zuckerberg wirklich hört: Den deutschstämmigen Investor Peter Thiel, seinen ersten Geldgeber. Thiel, der an „gute Monopole“ glaubt, wenn diese für Fortschritt eingesetzt werden – beispielsweise autonomes Fahren oder längeres Leben – wird jedoch keine Aufspaltung propagieren.

McNamees Buch ist lesenswert, auch wenn streckenweise seine Eitelkeit durchkommt. Hätten Zuckerberg und Sandberg auf ihn gehört, so seine Botschaft, hätte Facebook heute nicht sein Glaubwürdigkeitsproblem, das mittlerweile in eine existenzielle Krise ausgeartet ist.  Hätten seine Partner bei der Beteiligungsgesellschaft Silver Lake nicht versucht, ihn auszubooten, dann hätten sie heute mit ihm gemeinsam ein Unternehmen mit dem Megastar und U2-Sänger Bono.

Hätten seine früheren Partner auf ihn gehört und das Angebot von Steve Jobs wahrgenommen, 18 Prozent von Apple aufzukaufen und dabei ein Aufsichtsratsmandat für McNamee zu ergattern, wären diese und vor allem er noch viel reicher.

Aber vielleicht ist das McNamees Glück. Dass Zuckerberg und sein Team so wirklichkeitsfremd agieren, so erklärt er in seinem Buch, liegt am „Midas-Effekt“. Weil sie wirtschaftlich so erfolgreich sind, „glauben sie, dass alles was sie tun richtig ist, immer das Beste und ohne Frage gut für die Menschheit.“

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