Künstliche Intelligenz Wie Algorithmen betrügerische Mitarbeiter entlarven

Für Mitarbeiter ist es leichter geworden, ihre Unternehmen zu täuschen. Künstliche Intelligenz soll jetzt dabei helfen, fingierte Spesen zu entlarven.

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Ein Mitarbeiter eines US-Unternehmens belastete die Firmenkreditkarte mit Yoga-Kursen, die er als Unterhaltung von Kunden deklarierte. Künstliche Intelligenz entlarvte den Betrugsversuch. Quelle: Imago

New York Mitarbeiter großer US-Unternehmen fingieren immer wieder auf kuriose Weise Spesen. Ein Geschäftsreisender zum Beispiel hat seinen Hund in ein Tierheim gebracht – und stellte dies als Hotelkosten in Rechnung. Ein anderer Mitarbeiter belastete die Firmenkreditkarte mit Yoga-Kursen, die er als Unterhaltung von Kunden deklarierte. Ein dritter, der ein kleines Vermögen in einem Striptease-Club ausgegeben hatte, reichte die Kosten als Geschäftsessen in einem Steakhouse ein.

Durchgekommen sind die Beteiligten mit ihren Tricks nicht. Denn ihre Absichten wurden durch Algorithmen der künstlichen Intelligenz entlarvt. In Sekundenschnelle können sie betrügerische Forderungen und gefälschte Belege aufspüren. Für menschliche Prüfer sind diese oft nicht erkennbar – zumindest nicht ohne stundenlange mühselige Arbeit.

AppZen, ein 18 Monate altes KI-Bilanzierungs-Start-up aus San Jose, hat bereits große Unternehmen Amazon als Kunden gewonnen. Bisher konnte die kalifornische Firma diesen Kunden nach eigener Aussage 40 Millionen Dollar an gefälschten Kosten sparen.

AppZen und traditionelle Unternehmen wie Oversight Systems sagen, ihre Technologie vernichte bisher keine Arbeitsplätze, sondern entlaste die Prüfer. Denn diese könnten dank künstlicher Intelligenz zweifelhafte Forderungen genauer unter die Lupe nehmen und die Mitarbeiter über Reise- und Spesenrichtlinien aufklären können.

„Die Leute haben nicht die Zeit, sich jeden einzelnen Ausgabenposten anzusehen“, sagt AppZen-Chef Anant Kale. „Wir wollten, dass KI es für sie tut und Dinge findet, die dem menschlichen Auge möglicherweise verborgen bleiben.“

US-Unternehmen möchten aus Angst um ihren Ruf nicht öffentlich sagen, wie viel Geld sie jedes Jahr durch Ausgaben-Betrug verlieren. In einem im April veröffentlichten Bericht gab die Non-Profit-Organisation „Association of Certified Fraud Examiners“ an, dass sie von Januar 2016 bis Oktober 2017 2700 Betrugsfälle analysiert habe. Diese hätten zu Verlusten von 7 Milliarden US-Dollar geführt.

Die weltweit größte Betrugsbekämpfungsorganisation hat herausgefunden, dass Reise- und Ausgaben-Veruntreuung in der Regel etwa 14 Prozent des Betrugs durch Mitarbeiter ausmacht. Rechnungen zu fälschen ist durch Websites wie „Fakereceipts“ einfacher geworden.

Forensische Wirtschaftsprüfer wie Tiffany Couch, die Gründerin von Acuity Forensics, mussten jahrelang jede Quittung einzeln unter die Lupe nehmen. Dabei war sie durchaus erfolgreich. So wies Couch drei Autoteile-Managern nach, bei einer zügellosen Wochenendreise nach Kanada Tausende von Dollar an Firmengeld verprasst zu haben.

Trotz derartiger Erfolge sei der Einzug künstlicher Intelligenz längst überfällig. „Es ist der schlimmste Albtraum eines Wirtschaftsprüfers, die Auslagenerstattung zu durchforsten“, sagt Couch.

Kreative Betrugsfälle

AppZen-Gründer Kale entdeckte, wie rückständig die firmeneigenen Kostensysteme sind und gründete daraufhin seine Firma. Nur etwa 20 Prozent der Forderungen seien vorher geprüft worden – In den meisten Fällen versuchten die Prüfer lediglich, den Betrag auf der Quittung mit den eingereichten Kosten abzugleichen.

AppZen könne 100 Prozent der Anträge in Echtzeit prüfen. Dafür lässt das Start-up Belege über einen Algorithmus laufen, der nach Duplikaten, Unstimmigkeiten oder überhöhten Ausgaben sucht. Das System erstattet legitime Aufwendungen von Mitarbeitern am selben Tag und leitet zweifelhafte Ansprüche an menschliche Prüfer weiter.

Der Algorithmus kann die durchschnittlichen Kosten eines Fluges von New York nach Chicago mit dem in Rechnung gestellten Betrag vergleichen. Erscheint der Preis übertrieben oder hat der Mitarbeiter ein Upgrade in die erste Klasse gebucht, schlägt das System Alarm. Es erkennt außerdem, wenn eine auf einer Quittung aufgeführte Firma nicht existiert.

Die Algorithmen haben bereits einige kreative Betrugsfälle aufgedeckt: So hängten einige Mitarbeiter Wodka-Flaschen an ihre „Arbeitsessen“-Rechnung an. Andere kauften Starbucks-Geschenkkarten im Wert von 3000 US-Dollar und führten dies als „Kaffee mit einem Geschäftspartner“ auf.

Eine Mitarbeiterin wollte die Kosten ihrer Büro-Abschiedsparty von 900 Dollar als Ausgaben geltend machen und reichte einen Antrag ein, der eine Foto-Animation ihres Gesichts anstelle von Quittungen enthielt - was zeigte, wie ernst sie die Prüfer nahm.

Technologie könnte Arbeitsplätze verdrängen

Das in Atlanta ansässige Unternehmen Oversight Systems hat bereits vor einigen Jahren eine frühe Version von KI eingesetzt. Mit seinen Technologien des maschinellen Lernens können Millionen von Transaktionen in Echtzeit unter die Lupe genommen werden.

Laut Oversight sind 30 Prozent der Ausgabenaufstellungen der Mitarbeiter bedenklich, verschwenderisch und möglicherweise betrügerisch. „Sie würden staunen, was die Leute versuchen und auch machen“, sagt Chief Executive Officer Terrence McCrossan.

Guido van Drunen, Leiter der Betrugsbekämpfung von KPMG, geht davon aus, dass die Technologie einige gering qualifizierte Arbeitsplätze verdrängen wird. Es sei aber ausgeschlossen, dass KI alle Betrugsversuche aufspüren könne.

Van Drunen berichtet von einem Fall, in dem ein Mitarbeiter eine lebendige Python-Schlange in Rechnung gestellt hatte. „Alle hielten das für Betrug“, sagt er. Nach weiteren Untersuchungen entdeckte van Drunen, dass der im Vertrieb tätige Mitarbeiter die Boa Constrictor als Marketing-Gag für die Einführung eines neuen Produkts namens Python gekauft hatte.

Zwar konnte der Kauf der Schlange gerechtfertigt werden, aber nicht die erworbenen Steaks im Wert von 1200 Dollar, die der Mitarbeiter als Schlangenfutter angegeben hatte. Pythons fressen nur lebende Beute. „Die Python war eine legitime geschäftliche Auslage“, sagt van Drunen. „Aber die Steaks waren für den Familien-Grillabend.“

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