Doppelinterview Recaro: Mark Hiller und Mark Putsch „Das Innere der Kabine ist das, worüber Airlines sich noch differenzieren können“

Recaro-Spitze: Martin Putsch, Chef der Mutter Recaro Holding, wechselt in den Beirat, Mark Hiller soll die Gesamtleitung des Spezialsitzeherstellers übernehmen. Quelle: PR

Der Weltmarktführer für Spezialsitze wechselt die Führung. Mark Hiller, bisher Chef der Tochter Recaro Aircraft Seating, leitet ab 2022 die gesamte Gruppe. Außerdem steigt er als Gesellschafter ein. Über die Gründe – und den Wert einer Familienverfassung.

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Das Zentrum der gepflegten Bequemlichkeit liegt in Schwäbisch Hall. Dort hat Recaro Aircraft Seating seinen Sitz. Rund 1000 Mitarbeiter arbeiten hier tagtäglich an Flugzeugsitzen, egal ob Economy oder Business Class. Gerade in letzterem Bereich investieren die Baden-Württemberger seit einiger Zeit, trotz Luftfahrtkrise. Doch um neue Sitzmöglichkeiten soll es nicht gehen, als der Chef der Mutter Recaro Holding, Martin Putsch zum Gespräch bittet. Neben ihm sitzt Mark Hiller, geschäftsführender Gesellschafter von Recaro Aircraft Seating. Der Anlass: Das Traditionsunternehmen mit über 100-jähriger Geschichte stellt seine Führung und Gesellschafterstruktur von Grund auf um.

WirtschaftsWoche: Herr Putsch, Sie scheiden zum Jahresbeginn als CEO der Recaro Holding aus. Sind Sie mit 55 Jahren nicht noch ein wenig jung für den Ruhestand?
Martin Putsch: Ich ziehe mich ja nicht zurück, sondern bleibe Recaro in anderer Funktion erhalten. Ab 2022 werde ich unseren Beirat führen, also aus einer operativen in eine Aufsichts-Rolle wechseln. 

Aber warum gerade jetzt? 
Putsch: Wir haben gemeinsam mit dem Beirat an einer erfolgversprechenden Gesamtaufstellung für das Unternehmen gearbeitet. Der Zeitpunkt dafür ist jetzt ideal, da wir die schwere Zeit der Coronapandemie gut überstanden haben. Das Wachstum zieht nun wieder an, weswegen wir den Wechsel jetzt vollziehen. Mein Kollege Mark Hiller soll künftig die Gesamtleitung übernehmen.

Herr Hiller, Sie waren bisher Geschäftsführer der Recaro Aircraft Seating, eine Position, die Sie trotz Ihrer Beförderung auch in Zukunft ausfüllen werden. Warum diese Doppelrolle?
Mark Hiller: Weil Aircraft Seating nach wie vor unser mit Abstand größtes Geschäftsfeld ist. Ich will weiter dabei sein, wenn es darum geht, diesen Sektor auf die Zukunft auszurichten. Deswegen wird auch unser neuer Holding-CFO Peter Müller, der bisher bei Aircraft Seating die Finanzen managt, eine solche Doppelrolle einnehmen.

Wie sieht denn diese Neuausrichtung bei Aircraft Seating aus? Der Luftfahrtmarkt dürfte ja in den kommenden Jahren angesichts umfassender Transformationen ein schwieriges Pflaster bleiben.
Hiller: Das sehe ich nicht so. Die großen nationalen Märkte wie China und die USA sind schon wieder auf Vorkrisenniveau. Lediglich bei internationalen Flügen stockt es noch. Es zeigt sich: Wo die Menschen wieder fliegen dürfen, tun sie das auch gerne. 
Putsch: Die Luftfahrtbranche wird auch in den kommenden Jahren wieder stark wachsen. Zum einen durch die Nachholeffekte, zum anderen aber durch neue Märkte, die noch längst nicht so erschlossen sind. Denken Sie etwa an Afrika oder Indien. Außerdem werden Nachhaltigkeitsvorgaben dazu führen, dass Flugzeuge leichter werden müssen. Neue Sitze sind da ein guter Weg, um Gewicht zu sparen.

Und all das soll mit Recaro-Sitzen geschehen?
Hiller: Absolut. Wir sind bei Economy-Class-Sitzen ganz klar Marktführer. Und nun investieren wir auch in den Business-Class-Bereich, dort sehen wir noch große Wachstumschancen. Auch weil immer mehr Airlines in dem Bereich investieren. Denn das Innere der Kabine ist letztendlich das, worüber sie sich noch differenzieren können. 



Sie füllen künftig also nicht nur eine Doppelrolle aus, es stehen auch große Veränderungen in Ihrer wichtigsten Sparte an: Haben Sie keine Angst vor dem Mehraufwand?
Hiller: Deswegen stocken wir die Führung von Recaro Aircraft Seating auch auf. Es kommen zwei neue Mitglieder in die Geschäftsleitung, eine Verantwortliche für Supply Chain und einer für Entwicklung. Außerdem haben wir nun bald eine Werksleiterin an unserem Hauptstandort, das hat bisher die Geschäftsleitung mit verantwortet.

Dass der alte Chef nun zum Aufseher wird, ist oft eine konfliktträchtige Konstellation. Wie wollen Sie Auseinandersetzungen verhindern?
Putsch: Wir arbeiten nun seit annähernd 20 Jahren zusammen, immer in Konstellationen, in denen jeder seinen eigenen Aufgabenbereich hatte. Das hat stets funktioniert, weil wir immenses Vertrauen zueinander haben. Die Recaro Gruppe ist bewusst dezentral aufgebaut, die einzelnen Geschäftsbereiche haben unternehmerischen Freiraum. Mir als zukünftigem Beiratsvorsitzenden ist klar, dass ich nun eine neue Rolle habe, und ich gedenke, diese auch anzunehmen.

Ist damit auch eine Aufnahme in den Gesellschafterkreis der Holding verbunden?
Putsch: In der Tat. Die Familie Hiller wird ab dem nächsten Jahr an der Recaro-Gruppe beteiligt. Wir haben dann gewissermaßen zwei Familienstränge, einer macht die Exekutive, einer die Aufsicht. Recaro soll weiter ein Familienunternehmen bleiben.

Gerade in Familienunternehmen mit mehreren Familienzweigen gibt es aber oft Streit um die Ausrichtung. Wie wollen Sie das verhindern?
Putsch: Wir haben es uns bei diesem Prozess nicht einfach gemacht und einen umfassenden Gesellschaftervertrag aufgesetzt und eine Familienverfassung. Da haben wir für unsere und die kommende Generation vieles geregelt: Meinungsbildungsprozesse, Abstimmungen und Entscheidungen sollen klaren Regeln folgen, die wir uns selbst gegeben haben.
Hiller: Natürlich basiert diese Entscheidung auf großem gegenseitigen Vertrauen und Erfahrungen über die vergangenen 20 Jahre. Aber dank dieses Vertrages sind wir nun auch auf schwierige Situationen gut vorbereitet. 

Zur Person:
Mark Hiller arbeitet seit 2003 bei Recaro. Er begann als Head of Synergy Management für die Holding, ging dann zur Flugzeugtocher Aircraft Seating. Dort war er zunächst verantwortlich für die Kundenbetreuung, später wurde er COO, schließlich CEO und Gesellschafter. Hiller hat Wirtschaftsingenieurwesen in Kaiserslautern studiert.

Martin Putsch führt die die Recaro Holding in vierter Generation. Seit 1998 ist er Geschäftsführer des Unternehmens. Zuvor war er für die US-amerikanische Tochter von BMW tätig. Putsch hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Augsburg studiert und einen MBA der University of Rochester.

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Zum Unternehmen:
Recaro wurde 1906 gegründet, damals als Stuttgarter Karosseriewerk Reutter & Co. Zunächst baute die Firma Automobilkarosserien, nach dem Krieg vor allem für Porsche. Mit dem Verkauf dieser Sparte konzentrierte sich Recaro ab 1963 vor allem auf Autositze. In späteren Jahren kam die Fertigung von Flugzeug- und Kindersitzen hinzu, seit 2018 auch der Bereich Gaming. Die Holding-Töchter Recaro Aircraft Seating und Recaro Gaming agieren heute operativ unabhängig. Die Automobilsitze werden mittlerweile in Lizenz beim Automobilzulieferer Adient gebaut, die Kindersitze ebenfalls beim Kinderbedarfshersteller Artsana. 

Mehr zum Thema: Ein beispielhafter Schulterschluss mit der Belegschaft sorgt dafür, dass der Flugzeugsitzhersteller Recaro trotz Coronapandemie die Kurve kriegt. Abweichungen vom Tarifvertrag machen es möglich.

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