Finanzierung Mittelstand in der Dauerkrise

Die deutschen Mittelständler sind vorsichtig geworden. Die Angst vor einer neuen Krise macht sie misstrauisch. Investitionen bleiben aus, Kredite gelten vor allem als Risiko.

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Die Angst vor einer erneuten Wirtschaftskrise lähmt den deutschen Mittelstand. Investitionen werden verschoben oder abgeblasen, aus Angst vor Schulden will kaum jemand Kredite aufnehmen. Quelle: dpa

Siegfried Gänßlen hat seine Lektion aus der Wirtschaftskrise gelernt. Der Chef des Armaturen- und Brausenherstellers Hansgrohe aus Schiltach im Schwarzwald will in Zukunft vor allem flexibel bleiben. „Wir sind mit einem blauen Auge aus der Wirtschaftskrise gekommen, seitdem haben wir dazu gelernt“, sagt der bodenständige Schwabe. Statt fünf Jahren plant er nun höchstens drei Jahre im Voraus, die Zahlen aus dem letzten Geschäftsmonat liegen nun bereits am vierten Arbeitstag des Folgemonats auf seinem Schreibtisch und alle paar Monate stellt er mit seinen Kollegen verschiedene Szenarien für die Geschäftsentwicklung auf und überlegt, wie im jeweiligen Fall zu reagieren wäre. Vorsicht ist oberstes Gebot. Risiken und Unsicherheiten versucht er soweit wie möglich auszuräumen. „Die Zyklen werden immer kürzer, deshalb müssen wir blitzschnell reagieren können und dürfen trotzdem niemals unüberlegt handeln“, sagt Gänßlen.

So wie ihm geht es im Moment vielen mittelständischen Unternehmern in Deutschland. Die Angst vor einer neuen Wirtschaftskrise hält sie seit Monaten in Schach. Die täglich neuen Schlagzeilen zur Griechenland-Rettung und die Warnungen anerkannter Ökonomen treiben den Unternehmern Sorgenfalten auf die Stirn. Sie scheuen jede Art von Risiko und ringen lange mit sich selbst, bevor sie eine Investitionsentscheidung treffen. Die Allgegenwärtigkeit der Krise ist für viele Unternehmen zur Normalität geworden. Zu diesem Ergebnis kommt auch die neue Mittelstandsstudie, die die Commerzbank am Montag veröffentlichte. Von 4000 befragten Unternehmen klagten knapp drei Viertel über wachsende Planungsunsicherheit in ihrem Geschäftsfeld. 88 Prozent planen ihren Finanzbedarf nur noch für das laufende Jahr. 73 Prozent fürchten  eine unvorhergesehene Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Und das, obwohl nur 34 Prozent aktuell leerere Auftragsbücher haben.

Die Angst vor dem Risiko

Die täglich neuen Schlagzeilen zur Eurorettung verunsichern die deutschen Mittelständler. Weil die Krise allgegenwärtig ist, wollen sie kein Risiko mehr eingehen. Quelle: dpa

Trotzdem: Gute Unternehmensplanung bedeutet für die meisten, auf Sicht fahren, kurzfristig handeln und flexibel entscheiden. Vor allem das Wort Schulden ist bei Mittelständlern inzwischen ein rotes Tuch. Obwohl Geld im Moment so günstig zu haben ist wie selten zuvor, scheuen die Betriebe jede Art von Fremdfinanzierung. 78 Prozent der befragen Unternehmen denken dabei zuerst an die erhöhten Risiken. „Schulden gelten als Belastung für Inhaber und Nachfolger und als Einengung der unternehmerischen Freiheit“, heißt es in der Studie. „Die Ergebnisse zeigen, dass der Mittelstand versucht, durch den Einsatz von Eigenmitteln flexibel zu bleiben.“ Drei Viertel aller Unternehmen finanzieren ihre Investitionen aus Gewinnen und Rücklagen oder aus ihrem Cash Flow.

Mittelständler misstrauen den Banken

Wer sich doch mal zur Fremdfinanzierung durchringen kann, der greift zu konservativen Instrumenten wie dem guten alten Bankkredit. Von einer Finanzierung über den Kapitalmarkt, zum Beispiel über Unternehmensanleihen oder Private Equity lassen die meisten die Finger. So auch Hansgrohe-Chef Siegfried Gänßlen. „Wir haben keine Fremdfinanzierung und keine Kredite“, sagt der Mittsechziger. Trotzdem hält er Kontakt zu seinen Banken. „So eine Griechenlandkrise kann keiner vorhersehen“, sagt er. In Spanien und Portugal spüre das Unternehmen aktuell die direkten Folgen der Euro-Krise.

Dass sich die deutschen Mittelständler so risikoscheu verhalten, hängt laut der Studie auch damit zusammen, dass sich manche bei der Einschätzung der Lage selbst unsicher sind. So waren 35 Prozent der Befragten besorgt, die zukünftigen Marktentwicklungen falsch einzuschätzen.

Frühwarnsysteme entwickeln

Trotz aller Flexibilität rät die Studie dazu, konkrete Ziele zu formulieren. Quelle: dpa

Hinzu kommt ein Misstrauen gegenüber Banken und deren Beratern. In der Studie heißt es: „Eine klare Botschaft an Banken und Sparkassen ist, dass schlechte Beratung durch Finanzinstitute aus Sicht von immerhin 61 Prozent der Unternehmen eine typische Schuldenfalle im Mittelstand ist.“ Siegfried Gänßlen kann das nachvollziehen, auch wenn er bisher nur einmal schlechte Erfahrungen mit einer Bank gemacht. Seitdem schaut er ganz genau hin. Je besser das Angebot erscheint, desto kritischer ist er. „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“

Wichtig sei, ein eigenes Frühwarnsystem zu entwickeln sagt er. Seit der Krise hört er sich verstärkt bei großen Kunden, bei Mitarbeitern und Kollegen um. Außerdem wälzt er Zahlen zur Einkommensentwicklungen und den Autozulassungen in den Absatzländern der Firma. „Wenn die Leute sagen, mein Auto tut’s noch länger, dann tun es für die auch andere Dinge noch länger“, glaubt Gänßlen.

Konkrete Ziele sind wichtig

Seit zwei Jahren entwickelt er auf dem Papier auch immer wieder verschiedene Krisenszenarien. „Wir überlegen was passiert, wenn die Aufträge um 10 Prozent, um 20 Prozent oder um 25 Prozent zurückgehen“, sagt er. In vier Fünftel aller Fälle hätten sich seine Prognosen als richtig herausgestellt.

Eine Möglichkeit, Unsicherheiten zu verringern, die auch die Studie mittelständischen Unternehmen empfiehlt. „Es ist ganz offensichtlich ein Erfolgsfaktor, auch unsichere Entwicklungen im Planungsprozess abzubilden und zu berücksichtigen – etwa indem man unterschiedliche Szenarien entwickelt und durchspielt.“ Bei aller Flexibilität sei aber ebenso wichtig, sich konkrete Ziele zu stecken.

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