Kalle Wo es um die Pelle geht

Der Wiesbadener Wursthüllenhersteller gehört schon dem dritten Private-Equity-Investor. Für die Kalle Gruppe hat sich das bisher rentiert. Steht nun ein Börsengang bevor?

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Wurst: Kalle-Kunstdärme liefert Pelle von Wiesbaden aus 20-mal um den Äquator. Quelle: Fotolia

Einmal im Monat trifft sich in dem Verwaltungsbau der Wiesbadener Kalle Gruppe eine illustre Runde.

Neben Unternehmenschef Carsten Heldmann und vier Mitgliedern der Geschäftsführung kommen fünf Vertreter des Eigentümers, der Londoner Private-Equity-Gesellschaft Silverfleet: zwei fliegen von der britischen Hauptstadt ein, drei aus der Münchner Deutschlanddependance.

Erster Punkt der Sitzungen in einem Konferenzsaal mit Rheinblick ist stets der Bericht zur Arbeitssicherheit. Die meiste Zeit aber geht es um die Wurst, genauer gesagt: um deren Pelle. Denn Kalle ist in Deutschland und den USA die Nummer eins bei der Herstellung industriell hergestellter Wursthüllen.

Die Kalle-Karriere

Sieben Jahre schon dauert die vertraute Liaison zwischen den Finanzinvestoren und dem Lebensmittelzulieferer. Im vergangenen Herbst kam das Gerücht auf, Silverfleet wolle Kalle an die Börse bringen. Deutschlandchef Guido May äußert sich dazu nur sibyllinisch: „Es ist bei einer Beteiligungsgesellschaft vollkommen üblich, zum gegebenen Zeitpunkt über einen möglichen Exit nachzudenken.“

Silverfleet ist der dritte Finanzinvestor, dem Kalle gehört. Denn Kunstdärme für Würste sind zwar unsexy, jedoch ein sicheres Geschäft auf einem globalen Zwei-Milliarden-Markt, der Jahr für Jahr um rund drei Prozent wächst und sich vom Auf und Ab der Konjunktur kaum stören lässt. „Wurst essen die Leute immer“, sagt Kalle-Chef Heldmann. Eine solche Firma lässt sich mit den richtigen Geldgebern gut weiterentwickeln, wissen Investoren in den Finanzzentren.

Die Top 10 der Weltmarktführer im deutschen Mittelstand

Die Londoner Private-Equity-Gesellschaft Silverfleet übernahm Kalle 2009 von Montagu, einem anderen Londoner Finanzinvestor. Das Investment kommt damit in die Phase, in der Finanzinvestoren in der Regel überlegen, wie sie ihre Beteiligung gewinnbringend weiterreichen können. Heldmann bereitet der Gedanke an einen Eigentümerwechsel kein Kopfzerbrechen: „Ein möglicher Exit von Silverfleet stellt auch wieder eine gute Möglichkeit dar, um das Wachstum für Kalle fortsetzen zu können.“

Seit 1997 hat Kalle den Umsatz verdoppelt

Geschadet haben die bisherigen Besitzerwechsel dem Kunstdarmhersteller nicht. Seit dem Einstieg der ersten Private-Equity-Gesellschaft CVC Capital 1997 hat Kalle den Umsatz auf 265 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Der Auslandsanteil, damals 30 Prozent, beträgt nun 70 Prozent. Jede zweite Wurst in Kunstdarm, die in Deutschland gegessen wird, steckt heute in einer Kalle-Hülle. 800.000 Kilometer Kunstdarm beträgt die Jahresproduktion, der Wurstschlauch könnte sich 20-mal um den Äquator winden.

Seinen Aufstieg verdankt Kalle einem Mann, der früh die Chancen nutzte, die Private Equity bot: Walter Niederstätter, seit 1991 Chef des Wursthüllenmachers. Der Südtiroler, der vor wenigen Wochen verstorben ist, gilt als Retter des Wiesbadener Mittelständlers. Kalle war damals noch ein Teil von Hoechst (heute Sanofi), galt aber als Stiefkind des längst zerlegten Chemiekonzerns.

Kampf um mehr Selbstständigkeit

Bis zu sieben Unterschriften musste Niederstätter in den Führungsebenen sammeln, um eine Maschine zu kaufen. Der letzte Unterschriftsberechtigte – in der Hierarchie weit oben – habe keine Ahnung gehabt von dem, was er da unterschrieb, erzählte Niederstätter später. Der promovierte Physiker kämpfte als Kalle-Chef um mehr Selbstständigkeit. Die Entscheidung des damaligen Hoechst-Chefs Jürgen Dormann, sich von allen Nebenaktivitäten des Konzerns zu trennen, führte dann 1995 zur Ausgründung.

Eine Loslösung zu günstigem Zeitpunkt. Denn damals begann die Private-Equity-Industrie in größerem Stil auch deutsche Firmen zu kaufen. 1997 stieg die Luxemburger Gesellschaft CVC Capital Partners bei Kalle ein, obgleich der Wursthüllenmacher noch rote Zahlen schrieb. Dabei hatte Niederstätter zu Beginn seiner Investorensuche nicht einmal gewusst, dass es Private Equitiy überhaupt gab. Nun war er, dank der neuen Finanzierungsform, Chef eines mittelständischen Unternehmens.

Das sind Deutschlands erfolgreichste Mittelständler
Platz 20: Schöck AGUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 119,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 14,1 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 13,3 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 33,1 ProzentDie Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) hat die Mittelständler mit dem größten Wachstum bei Umsatz und Erträgen in den letzten fünf Jahren gekürt. Die Top 20 eröffnet die Schöck Aktiengesellschaft aus Baden-Baden, einem Spezialisten für Fertigbauteile zur Wärme- und Lärmdämmung für Tritte.Quelle: Munich Strategy Group: "TOP 100 Ranking des Mittelstands 2015 - Deutschlands Wachstums-und Ertragsstars" Für ihr jährliches Unternehmensranking hat die Unternehmensberatung MGS rund 3.500 Mittelständler mit Umsätzen von 15 bis 600 Millionen Euro analysiert, um daraus die wachstums- und ertragsstärksten Unternehmen herauszufiltern.Das Ranking ergibt sich aus einem Score, der sich aus durchschnittlicher Ertragsquote, durchschnittlichem Ertragswachstum und durchschnittlichem Umsatzwachstum im Zeitraum 2010 bis 2014 ergibt. Ertragsquote und -wachstum fließen mit je 25 Prozent in den Gesamtscore ein, das Umsatzwachstum wird mit 50 Prozent gewichtet. Quelle: Presse
Platz 19: HeinzmannUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 72,8 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 16,1 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 10,8 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 36,1 ProzentHeinzmann baut, entwickelt und betreut Verbrennungsmotoren, Generatoren und Turbinen, die etwa in Lokomotiven und Schiffen eingesetzt werden.  Quelle: Screenshot
Platz 18: Vemag Maschinenbau GmbHUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 86,5 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,2 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 12,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 33,1 ProzentDie Vemag Maschinenbau GmbH stellt Maschinen und Geräte für die Nahrungsmittelindustrie her. Dazu zählen Würstchenfüller und Teigportionierer. Einen Schwerpunkt bildet hier die Entwicklung eines Convenience Systems, das dem Anwender ein flexibles System zum Portionieren und Formen von Produkten bietet. Quelle: Presse
Platz 17: Wenglor Sensoric GmbHUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 55,9 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,8 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 12,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 43,9 ProzentWenglor entwickelt, produziert und vertreibt seit 30 Jahren Produkte zur berührungslosen Objekterkennung. Das Produktspektrum umfasst Sensoren, Bildverarbeitungsprodukten, Barcode-Scanner und Sicherheitstechnik. Zu den Kunden zählen kleine und mittelständische Unternehmen wie auch internationale Industriekonzerne. Quelle: Presse
Platz 16: DeloUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 57,9 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 20,0 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 15,4 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 21,7 ProzentDas Unternehmen aus Windach bei München ist mit Spezialklebstoffen erfolgreich. So hat Delo etwa ein Verfahren entwickelt, um RFID-Chips zu verkleben. Die elektrischen Signale werden dabei zuverlässig weitergeleitet. Quelle: Presse
Platz 15: HAZET-WERKUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 79,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 12,8 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 13,0 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 178,6 ProzentDie Hazet-Werk Hermann Zerver GmbH & Co. KG ist ein deutscher Werkzeughersteller mit Sitz in Remscheid. Der Markenname Hazet steht verkürzt für die Anfangsbuchstaben Ha und Zett des Namens des Gründers Hermann Zerver.
Platz 14: Getriebebau NordUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 460,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,4 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 11,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 80,2 ProzentDie Getriebebau Nord ist einer der größten Getriebemotoren-Hersteller der Welt. Das Unternehmen ist international für seine mechanische und elektronische Antriebstechnik bekannt. Quelle: Presse

Die neuen Eigentümer ließen dem Manager mit Unternehmergeist freie Hand. Zuerst krempelte er die Forschung und Entwicklung um. Die Kunden, von der kleinen Metzgerei bis zum internationalen Lebensmittelkonzern, wurden zu den wichtigsten Ideengebern.

Raum für Neuentwicklungen gab und gibt es reichlich. Einige Kunstdärme lassen Dampf und Wasser passieren, andere müssen dicht sein. Die einen sind glatt, die anderen zeigen die körnige Struktur der Wurst. Kalle erzielt heute ein Viertel des Umsatzes mit Innovationen aus den vergangenen zehn Jahren.

CVC finanzierte Kalle-Gründer Niederstätter die Internationalisierung nach Südamerika, Asien und Europa. Den Ausbau des US-Marktes begleitete dann aber von 2004 an Nachfolger Montagu, unter dem Kalle für 20 Millionen Dollar ein Werk in der Nähe von Chicago errichtete. Insgesamt gab Montagu während der fünf Jahre bei Kalle nach Branchenschätzungen noch einmal so viel für Investitionen aus wie für die Firma selbst. Schließlich verkaufte Montagu Kalle für stattliche 213 Millionen Euro an Silverfleet.

Seitdem aber steigerte Kalle den Umsatz um mehr als 25 Prozent und wächst profitabel weiter, vor allem in den USA. Dort verzehnfachte sich das Geschäft seit 2009, der unter Silverfleet übernommene US-Anbieter Jif-Pak hat seinen Umsatz verdoppelt.

Keine Angst vor veganer Ernährung

Für Kalle-Chef Heldmann, der seit zwei Jahren an der Spitze des Unternehmens steht, sieht die Welt gut aus: Der globale Markt für Wursthüllen wachse stetig. Mit seinen neuen Kunstdärmen, die die Wurst würzen oder räuchern helfen, besitze Kalle einen Wettbewerbsvorteil. Auch der Trend zu vegetarischer und veganer Nahrung macht Heldmann keine Sorge. „Unsere Hüllen lassen sich auch mit Käse, Tofu oder Saitan füllen.“

Obwohl in der Hand eines Finanzinvestors, fühlt sich Heldmann fast wie bei einem mittelständischen Familienunternehmer. „In einer Aktiengesellschaft müssen Sie mit einer größeren Anzahl von Shareholdern sprechen, um zum Beispiel eine größere Akquisition umzusetzen“, sagt Heldmann, „jetzt spreche ich mit einem Entscheider.“

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