Einen Fehler, den Science-Fiction-Autoren gerne mal begehen, ist es, ihre Zukunftsvisionen mit einem festen Datum zu versehen. Zum Beispiel „I, Robot“: der Film spielt im Jahr 2035, doch bereits heute kann man recht sicher prognostizieren, dass vieles dort beschriebene nicht so bald eintreten wird. Die titelgebenden Roboter sind da sicherlich das prägnanteste Beispiel. Aber auch die selbstfahrenden Autos, die der Protagonist rundheraus ablehnt, scheinen aktuell nicht realistisch, zumindest nicht in den kommenden 13 Jahren und auf Vollautomatisierungslevel 5 – auch wenn manche Köpfe in der Autoindustrie optimistischere Prognosen abgeben. Laut einer Prognos-Studie werden voll autonome Autos wohl frühestens 2040 verbreitet sein.
Deutlich schlauer wäre es vielleicht gewesen, hätten die Autoren statt selbstfahrenden Autos auf selbstfahrende Kehrmaschinen gesetzt. Zugegebenermaßen ist das nicht sexy, allerdings dafür bis 2035 deutlich realistischer. Zumindest, wenn man Jussi Iltanen glaubt. Er ist Chief Marketing Officer bei Bucher Municipal. Die Firma aus Niederweningen bei Zürich stellt Kommunalfahrzeuge her, also Kanalreiniger, Winterdienstmaschinen – und eben Kehrmaschinen. „Die Kehrmaschinen sind deutlich langsamer unterwegs als Pkw“, erklärt Iltanen. Entsprechend sei es deutlich einfacher, sie sicher autonom fahren zu lassen.
Bei Bucher sind sie überzeugt, dass die selbstfahrenden Kehrmaschinen die Zukunft bestimmen werden. So sehr, dass sie im Oktober dieses Jahres dafür sogar zugekauft haben. Seitdem gehört das deutsche Start-up Enway zu 100 Prozent Bucher Municipal und soll dabei helfen, die voll autonomen Straßenreiniger in wenigen Jahren Realität werden zu lassen.
Womit sich allerdings zwei große Fragen stellen: Wollen die Reinigungsunternehmen das überhaupt? Und was bedeutet das für deren Mitarbeiter?
Zunächst ist festzuhalten: Serienreif ist auch die autonome Kehrmaschine von Bucher noch nicht. Die Schweizer haben gemeinsam mit Enway einen Piloten entwickelt, der seit Anfang 2022 in Singapur auf öffentlichen Straßen seine Runden dreht. Das tut er etwa einmal pro Woche. Das ist immerhin ein Anfang, und zwar ein so erfolgreicher, dass Bucher Municipal Enway nun übernommen hat. „Klar, wir hätten die entsprechenden Software- und Robotikfähigkeiten auch selbst aufbauen können“, sagt Iltanen, der Fusionen und Übernahmen verantwortet: „Aber das hätte viel länger gedauert.“ Bucher Municipal sei eben ein klassischer Maschinenbauer, die Kultur sei eine andere als in Firmen, die Komponenten fürs autonome Fahren entwickeln.
„Autonom fahren und autonom sauber machen, das funktioniert“
Für die selbstfahrenden Kehrmaschinen integriert Bucher Kameras und Sensoren in die bestehenden Fahrzeuge, außerdem einen Bordcomputer, der mit einer Umgebungskarte ausgestattet ist. Damit ist auch klar: Je komplexer die Umgebung, desto größer ist die Herausforderung für die Maschine. „In geschlossenen Bereichen ist das mit dem autonomen Fahren deutlich einfacher umzusetzen“, sagt Iltanen. Dabei geht es um Firmengelände, um Tunnel, Häfen, große Parkplätze oder Freizeitparks. Aber die Königsdisziplin bleibt die Straßenreinigung. Die bringt neben der anspruchsvollen Umgebung noch ein weiteres Problem mit sich: Die Kunden sind meist kommunale Unternehmen, Flughäfen und Industriebetriebe. „Und die sind zwar interessiert an autonomen Maschinen, aber naturgemäß auch sehr vorsichtig“, so Iltanen.
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Interessiert an der Entwicklung ist etwa Fabian Fehn. Er leitet die Geschäftseinheit Reinigung bei der Stadtreinigung Hamburg, von seinen etwa 1000 Mitarbeitern bedient etwa jeder Fünfte in seinem Arbeitsalltag Maschinen. Er begrüßt den technologischen Fortschritt. „Die Arbeit wird effizienter, die Energieauslastung besser, und menschliches Versagen fällt weg“, sagt er. Entsprechend nimmt er gerne jedes Pilotprojekt mit, an dem sich die Hamburger beteiligen können. Sein Eindruck von diesen ist bisher aber durchwachsen: „Autonom fahren und autonom sauber machen, das funktioniert.“ Aber andere Aspekte würden bei autonomen Reinigungsmaschinen oft nicht mitgedacht. „Jede Maschine nimmt etwas auf, das aber irgendwann auch wieder raus muss.“ Diese Funktionen seien oft noch nicht autonom. Und die Abfallablageorte seien oft weit von den eigentlichen Reinigungsbereichen weg. „Das Problem hat auch noch niemand behoben.“
Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee
In den Fünfzigerjahren prägte ein Forschungspapier den Begriff künstliche Intelligenz (KI) erstmalig. KI sollte „die Art von Problemen lösen, wie sie bislang nur für Menschen vorgesehen sind“. Bis heute ist der Begriff jedoch umstritten. Offen ist, was Intelligenz genau umfasst – und inwiefern es dafür eines eigenen Bewusstseins bedarf.
Bei dieser Spielart der künstlichen Intelligenz erzeugt das System aus großen Datenmengen Wissen – indem es etwa anhand von Fotos selbst erlernt, wie eine Katze aussieht. Einige Experten sehen in dieser Mustererkennung jedoch noch kein intelligentes Verhalten.
Für viele Anwendungen, darunter die Bilderkennung, brachten die Methoden des Deep Learning den Durchbruch. Dabei werden die neuronalen Netze des Gehirns mit ihren vielen Knotenpunkten digital nachempfunden.
Kommerzialisiert haben insbesondere amerikanische IT-Konzerne wie Google, Microsoft, IBM oder Amazon KI-Anwendungen. Sie finden sich etwa in der Spracherkennung in Smartphones, selbstfahrenden Autos oder als Chatbots, die mit Kunden auf Shopping-Seiten kommunizieren.
Aber selbst wenn diese Probleme behoben werden sollten, ist nicht klar, ob kommunale Unternehmen für die autonomen Maschinen Schlange stehen werden. Denn natürlich gefährden diese Arbeitsplätze. Fehn hört durchaus von Existenzängsten in seiner Belegschaft. Er sagt aber auch: „Die autonomen Kehrmaschinen erfordern mehr mechanische Ausbildung, das macht den Job interessanter.“ Gibt es demnächst also Kehrmaschinenfachleute mit Ingenieursausbildung? Wohl eher nicht. „Ich kriege keinen Ingenieur, wenn ich ihn wie einen Feger bezahle“, so Fehn: „Da werden wir ein Ausbildungsproblem bekommen.“ Und für höhere Gehälter fehlt den Betrieben oft das Geld. Momentan investieren die Unternehmen eher in umweltfreundlichere Antriebe, stellen die Fahrzeuge auf Elektro oder Wasserstoff um. „Die kosten dann aber auch deutlich mehr als die klassischen Antriebe“, sagt Fehn.
Noch sind Kehrmaschinen gesetzlich Pkw gleichgestellt
Ein Trend, der Bucher Municipal nicht unbedingt Angst machen muss. Denn die Schweizer stecken natürlich nicht ihr gesamtes Entwicklungsbudget ins autonome Fahren. Auch bei Elektroantrieben sind sie dabei, laut eigenen Angaben einer der führenden Hersteller elektrifizierter Kehrfahrzeuge. Laut Iltanen ist Elektrifizierung auch „Enabler für autonome Operationen“. Er sagt: „Elektrisch angetriebene Kehrmaschinen müssen nicht tanken und können selbständig und durchgehend autonom arbeiten, inklusive Batterieladung.“
Bis zur endgültigen Verbreitung gilt es ohnehin noch, regulatorische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Denn bisher sind Kehrmaschinen vor dem Gesetz Pkw gleichgestellt, inklusive aller nötigen Sicherheitsvorschriften. Das möchte Bucher gerne geändert sehen, schließlich seien die kleineren, langsameren Kehrmaschinen deutlich weniger risikobehaftet als die größeren Pkw. Sollte das geklärt sein, dann könnte es mit den selbstfahrenden Maschinen schnell gehen. „Als Option werden wir zügig einige neue Assistenzsysteme im Angebot haben, in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich“, sagt Iltanen. Vollautonom könnten die Maschinen dann in etwa fünf Jahren unterwegs sein, zumindest in geschlossenen Bereichen. Und somit die „I, Robot“-Vorhersage zumindest ein wenig wahr werden lassen.
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