Martinshorn Mittelständler kämpft um die Polizeisirene

Tatü tata ist zu leise: Das Bundesverkehrsministerium bringt das Alarmsignal in Verruf, mit dem ein kleiner deutscher Weltmarktführer international Einsatzfahrzeuge ausrüstet.

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Unternehmer-Ehepaar Brender Quelle: Dominic Jan Geis für WirtschaftsWoche

Will man den sonst seelenruhigen Unternehmer Martin Brender auf 180 erleben, muss man ihn bloß darauf ansprechen, dass die deutsche Polizei künftig auch mit amerikanischen Heulsirenen unterwegs sein darf. Die sollen besser zu hören sein als das bekannte Tatü-Tata. Das Bundesverkehrsministerium hat nach einem Beschluss der Länder-Innenminister eine entsprechende Verordnung auf den Weg gebracht.

„Das ist Rufmord an unserem Produkt“, schimpft Brender. Gemeinsam mit seiner Frau Viola ist Brender Inhaber und Chef der Deutschen Signal-Instrumentenfabrik Max B. Martin im baden-württembergischen Philippsburg, die weltweit die Rechte an der Wortmarke Martin-Horn hat. Die möchte Brender vor Schaden bewahren und weiß nun gar nicht, wo er mit den Richtigstellungen anfangen soll. Es geht schließlich um den guten Ruf eines typischen deutschen Hidden Champions – eines Mittelständlers mit 40 Mitarbeitern, der im Markt der kompressionsbetriebenen akustischen Signal- und Warnanlagen ein globaler Riese ist.

„Wenn die Polizei unsere Anlagen auf dem Dach hätte, dann hätte sie kein Problem, sich Gehör zu verschaffen auf der Straße“, sagt der 56-Jährige: „Dann müsste sie auch nicht nachrüsten.“ Bei der Feuerwehr sei das ja auch kein Problem.

Angriff auf das Martinshorn: Im Ausland bewährte Warnsignale statt dem typisch "Tatü-Tata" könnten bald über die deutschen Straßen heulen. Eine Kostprobe.

In der Tat: Deutsche Feuerwehren haben zu über 80 Prozent Brenders Signalhörner auf dem Dach, bei denen komprimierte Luft durch vier silbern glänzende Trompeten gepresst wird. 1000 bis 1500 Euro kostet so eine Anlage pro Fahrzeug.

Auch in den Signalbalken auf deutschen Polizeiautos wird die Tonfolge a-d-a-d erzeugt – aber elektronisch. Rund 200 bis 400 Euro pro Auto kostet solch eine akustische Signalanlage. Für einen kompletten Dachbalken mit optischen und akustischen Signalen etwa vom Lippstädter Autozulieferer Hella sind je nach Ausstattung und Bedienelementen 1000 bis 2700 Euro fällig.

Es ist ein Kampf der Systeme. Das elektronische Tatü-Tata klinge nicht so durchdringend, erklärt Brender die Vorliebe der Feuerwehr für die klassische Martin-Horn-Lösung. Mit der Überlappung von Ober- und Untertönen erzeugten Pressluft-Fanfaren einen Tremoloeffekt, der alle Verkehrsteilnehmer erreiche. Die elektronische Konkurrenz („das Quiek-Ding“) dagegen werde eher überhört.

Elektronik löst Tradition ab

Die wertvollsten deutschen Marken
Eine Mitarbeiterin zeigt im Produktionswerk der Beiersdorf AG in Hamburg eine Nivea-Dose. Quelle: dpa
Porsche Boxter S Quelle: REUTERS
Logo der Allianz-Versicherungen Quelle: dpa
Der Vorstandsvorsitzende der adidas AG, Herbert Hainer Quelle: dapd
Das Audi-Logo von einem Audi A8 Quelle: dpa
Ein Mitarbeiter der Volkswagen AG poliert im VW-Werk in Wolfsburg ein Logo am Kühlergrill Quelle: dpa
Der Schriftzug des Technologiekonzerns Siemens Quelle: dpa

Das „Quiek-Ding“ lässt Hella nicht auf sich sitzen: „Die Wirksamkeit der Warnung hängt vom Schalldruckpegel ab, und der liegt bei unseren Produkten deutlich über den gesetzlichen Anforderungen“, sagt Manager Peter Wagner. Hella biete zudem ein der Pressluft-Fanfare entsprechendes elektronisches Signal an: „Nur Fachleute können den Klang unterscheiden.“ Eigentlicher Grund für die Umrüstung auf den amerikanischen Yelp-Ton und zusätzliche rote Lichtsignale sei der Wunsch der Polizei, vorausfahrende Fahrer leichter stoppen zu können. Aber auch bei der Feuerwehr sieht Wagner einen „Trend zum Dachbalken“ mit integrierten Licht- und Tonsignalen.

Die werden bei Martin nicht hergestellt. Brenders Angst vor Rufschädigung ist also verständlich. Profitieren von der Umrüstung kann er keinesfalls, da die jaulenden US-Signale elektronisch erzeugt werden und längst zu den 30 unterschiedlichen Signalen in den Dachbalken der deutschen Hersteller gehören. Neben Hella sind das vor allem Pintsch Bamag im nordrhein-westfälischen Dinslaken und Hänsch im niedersächsischen Herzlake. 30 bis 35 Millionen Euro werden pro Jahr in Deutschland mit akustischer und visueller Warnsignaltechnik umgesetzt. Davon entfallen vier bis fünf Millionen laut Brender auf die Pressluft-Produktpalette aus Philippsburg.

Der Betrieb startete 1880 mit Jagdhörnern und Kavallerie-Trompeten. 1932 entwickelte Viola Brenders Großvater Max B. Martin zusammen mit Feuerwehr und Polizei das seitdem verbindliche Warnsignal, das umgangssprachlich schnell Martinshorn hieß. Inzwischen produziert das Unternehmen auch Warnanlagen für Fabriken, Hafenanlagen und Hochöfen.

Martin-Horn-Varianten gibt es viele: Das Modell 2097HM für die Schweiz wird mit der Tonfolge cis-cis-gis-gis ausgestattet, was etwa wie tata-tütü klingt. Die Version für die Niederlande liegt mit fis-fis-h-h klanglich tiefer. Und die für Schweden hat dieselbe Tonfolge wie die deutsche – dauert aber eine Sekunde länger.

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