Summer School Abläufe aufdröseln - jetzt auch als Podcast

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Dass Kühn und Christmann solche Zahlen überhaupt kennen, war vor ein paar Jahren undenkbar. Es spricht Bände über die Fortschritte der mit mehr als 90 000 Mitarbeitern massigsten Sozialbehörde bei der Verbesserung ihrer Prozesse. Auf welchem Leistungsstand war welche Arbeitsagentur? „Dies galt es damals erst herauszufinden“, erinnert sich BA-Personalchef Kühn, der das Reformprojekt – unterstützt von der Unternehmensberatung McKinsey – federführend vorantrieb. Keine leichte Übung – wo doch Leistung nie gemessen und erst recht nie verglichen worden war. „Früher wurde gesagt ‚Man kann dieses Arbeitsamt nicht mit dem anderen Arbeitsamt vergleichen‘“, sagt Kühn. Der eine Bezirk im ländlichen Raum hatte vielleicht viele Langzeitarbeitslose, während das andere Amt in der Stadt vor allem kurzfristig jobsuchende Fachkräfte zählte. Heute messen sich Arbeitsagenturen mit vergleichbaren Arbeitsmarktbedingungen. Sie konkurrieren hinsichtlich eines Katalogs aus 15 Kennzahlen wie Dauer der Arbeitslosigkeit oder Vermittlungsquoten. „Wir haben eine große Transparenz geschaffen“, sagt Kühn. „Dafür haben wir zuvor alle Prozesse in Teilschritte zerlegt.“ Spielten Ziele in der alten BA keine Rolle, werden heute nach ihnen die Budgets bemessen und die Mitarbeiter beurteilt. Für die Agenturleiter gelten die Vorgaben individuell – mit ihnen schließt die BA auf bis zu fünf Jahre befristete Arbeitsverträge. „Die Agenturleiter geben Prognosen über die Zahl der Arbeitslosen in den verschiedenen Kategorien, der vermittelten Kunden oder die für Maßnahmen aufgewendeten Mittel“, erläutert Kühn. Schon während des Jahres wird gecheckt, ob die Agentur den eigenen Zielen gerecht wird. Und falls nicht, wie sie dies schaffen könnte. „Wenn ein Agenturleiter seine Ziele permanent verfehlt, muss er gegebenenfalls die Konsequenzen tragen“, sagt Kühn. Die Mitarbeiter werden an Teamzielen gemessen. Ihre „Kunden“ gruppierte die BA in Segmente: Marktkunden, die sich auf dem Arbeitsmarkt selbst helfen können, Beratungskunden, denen der Berater mehr Orientierung vermitteln und Förderung angedeihen lassen muss, sowie Betreuungskunden mit größeren Schwierigkeiten. Bei ihnen muss der Arbeitsvermittler herausfinden, ob er sie mehr fördern oder ihnen mehr abfordern muss. Für die Kategorisierung der Arbeitslosen gibt die Software eine Empfehlung. „Die Entscheidung trifft aber immer der Mitarbeiter“, sagt Kühn. „Der gleiche Fall kann je nach Region anders beurteilt werden.“ Die Technik leitet heute auch die Kundenströme der BA. Angefangen beim telefonischen Auswahlmenü, das Anrufer je nach Anliegen vorsortiert, über die automatische Ansage mit Bitte um Rückruf nach zwei oder drei Minuten Wartezeit bis zur vollautomatischen Rufumleitung. Läuft eine zu große Zahl von Anrufern auf, landen einige davon im nächsten Service-Center. „Unsere Kunden merken es gar nicht, wenn sie mal nach Montabaur umgeleitet werden“, sagt Christmann. Selbst den Weg zu einer anderen Agentur können die Mitarbeiter dort notfalls beschreiben. „Jeder hat Zugriff auf Informationen zu sämtlichen Arbeitsagenturen und ihren Zweigstellen.“ Mit Fotos, Anfahrtsweg und Karte. „Wir verwenden die gleiche Informations- und Kommunikationstechnik wie private Firmen“, sagt Kühn. Mit der Mammutbehörde von früher ist die BA nur entfernt vergleichbar. Zum ersten Mal seit 21 Jahren erwirtschaftete sie 2006 einen Überschuss von sechs Milliarden Euro. Schon 2005 war mit 397 Millionen Euro Minus deutlich erfolgreicher, als 2004, in dem die BA 4,1 Milliarden Euro Verlust machte. Zum Plus tragen zwar auch die gute Konjunktur und der anziehende Arbeitsmarkt bei. So sank die Zahl der Arbeitslosen zuletzt auf 3,69 Millionen, das ist eine Quote von 8,8 Prozent. Aber auch die effizienteren Abläufe wirken. Die Kosten sanken etwa für die Vermittlung eines Arbeitslosen von durchschnittlich 5123 Euro 2003 auf 4800 Euro 2005. „Die neue Gesamtausrichtung hat wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg der BA beigetragen“, ist Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln überzeugt. Und dazu, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung 2006 um 2,3 Prozentpunkte auf 4,2 Prozent sinken konnte. Weitere Kürzungen, die gut für die Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und damit gut für die Konjunktur sind, gibt es 2008. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit international zu verbessern, machen sich auch Finanzdienstleister verstärkt an die Prozessoptimierung. Vergleichsweise spät: „Die Banken stehen am Anfang der Industrialisierung“, sagt Martin Engstler vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. „Verglichen mit der Automobilindustrie hat die Finanzbranche rund 15 Jahre aufzuholen“, sagt auch Wolfgang König, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Frankfurt. Als Branchenvorreiter gilt die Deutsche Bank. Schon vor Jahren begann sie, ihre Prozesse in den Bereichen IT, Wertpapierabwicklung und Zahlungsverkehr neu zu strukturieren. Anlass waren mehrere Übernahmen anderer Banken, darunter der Kauf der Privat- und Investmentbank Bankers Trust Mitte 1999. Das hatte zur Folge, dass die Deutsche Bank den weltweiten Zahlungsverkehr über 18 verschiedene lokale Systeme abwickeln musste. „Damals ergriffen wir die Chance, sämtliche lokalen Prozesse zu bewerten, zu vereinheitlichen und zu verschlanken“, sagt Wolfgang Gaertner, Chief Information Officer der Deutschen Bank. Die IT-Spezialisten ersetzten die alten Großrechnersysteme durch moderne Netzwerktechnologie und installierten modulare Programme mit intuitiv zu bedienenden Benutzeroberflächen. „Diese ermöglichen uns ein schnelleres Reagieren auf neue Kundenwünsche und Markttrends“, sagt Gaertner. Gesteuert wird die neue Transaktionsplattform von vier zentralen, über die Zeitzonen verteilten Verarbeitungszentren. Papier benutzen die Mitarbeiter kaum noch. Die Bank will einen möglichst hohen Grad an Automatisierung erreichen. Dafür nutzt sie auch die Six-Sigma-Methode, ein in der Prozessoptimierung gebräuchliches statistisches Verfahren des Qualitätsmanagements, das Fehler beseitigen hilft. Ziel ist, die Zahl der manuellen Korrekturen zu reduzieren. So wurden zum Beispiel im indischen Zahlungsverkehr Schecks mit maschinenlesbaren Barcodes versehen, um die Zuverlässigkeit der Abwicklung zu erhöhen. „Die Verantwortlichen müssen den Prozess bis in die Haarspitzen definieren, dann optimieren und wiederholen“, sagt Wissenschaftler König, „und anschließend am besten in Software gießen.“ Die Prozessoptimierung betrachtet Gaertner als nicht endenden Prozess. „Wir müssen durch eine stetige, intensive Analyse der Wertschöpfungskette Wege finden, effizienter zu produzieren“, sagt er. „Dabei bedarf es eines intelligenten Abwägens, ob man die besten Effekte im Alleingang oder mithilfe zuverlässiger Partner erreicht.“ Die kontinentaleuropäischen Rechenzentren lagerte die Deutsche Bank 2002 an IBM aus. Standardprozesse in der Wertpapierabwicklung gab die Bank an einen Spezialdienstleister ab. Für komplizierte Zusatzdienstleistungen sind nach wie vor bankinterne Spezialisten zuständig. „Diese individuellen und komplexen Produkte sind für uns eine Kernkompetenz, durch die wir uns im Wettbewerb differenzieren“, sagt Gaertner. Wer welche Aufgabe erfüllt, entscheidet sich bei der Prozessverbesserung im Idealfall an dieser Frage.

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