Versicherer Die dubiosen Methoden der Volksfürsorge

Mit dubiosen Methoden drängt die fast 100 Jahre alte Versicherung ihre Kunden zu Policen, bei denen sie in vielen Fällen mehr verlieren als gewinnen. Ob die zweifelhafte Offensive das Überleben der Vertriebstruppe sichert, ist jedoch fraglich.

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Ein Versicherungsvertreter im Beratungsgespräch mit einer Kundin Quelle: dpa

Norbert F. sitzt in seinem heimischen Arbeitszimmer. Er will eigentlich schon jetzt nicht mehr, aber er muss. Einige Wochen zuvor hatte er als Vertriebsassistent im Außendienst der Volksfürsorge angefangen. Noch einmal atmet der Mittdreißiger tief durch und greift zum Hörer. Als an der anderen Seite der Leitung jemand abnimmt, spult er sein Programm runter: „Guten Tag, mein Name ist F. Ich bin Ihr Berater.“ Weiter kommt er nicht. „Wenn Sie noch einmal anrufen“, blafft ihn der Kunde an, „dann kündige ich alle Versicherungen bei der Volksfürsorge.“

Reaktionen wie diese musste Norbert F. an jenem Tag mehrfach über sich ergehen lassen. Die Kunden sind sauer, weil vor ihm schon viele andere Vertreter von der Volksfürsorge bei ihnen angerufen haben. Alle paar Monate melde sich ein anderer Berater. Mit jeder Abfuhr fällt es Norbert F. noch schwerer, sich zu einem weiteren Telefonat zu überwinden. Sechs Monate hielt er das aus, dann schmiss er hin – wie viele seiner Kollegen. Nach internen Unterlagen, die der WirtschaftsWoche vorliegen, sind von 100 Vertriebsassistenten bei der Volksfürsorge nach drei Jahren kaum noch welche hauptberuflich für das Unternehmen tätig.

Schwere Krise

Das Unternehmen mit dem wärmenden Namen steckt in einer schweren Krise. Eine gigantische Fluktuation macht die verbliebenen Mitarbeiter mürbe und frisst oft mehr Geld, als die Berater einbringen. Seit Jahresbeginn sind die Verkaufszahlen der Organisation in den Keller gerauscht. Nach Informationen der WirtschaftsWoche steuert das Unternehmen aus Hamburg erstmals seit seiner Umstrukturierung in 2009 auf einen Verlust zu. Die Volksfürsorge gab hierzu keine Stellungnahme ab. Schon fürchten Mitarbeiter, der Eigentümer, der italienische Versicherungskonzern Generali, könnte die Volksfürsorge dichtmachen, so wie sie es schon mit anderen Unternehmen der Gruppe gemacht hat.

Minusgeschäft für die Kunden

Um das zu verhindern, versucht der Vorstand der Volksfürsorge, die Verkäufertruppe mit Vorgaben auf die Erfolgsspur zu setzen, die für die Kunden oft von Nachteil sein dürften. Neuester Coup: Die Berater sollen ihre Kunden im Rahmen einer „Vertriebsoffensive“ zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen beraten. Weil viele Versicherte in wirtschaftlich unsicheren Zeiten solche langfristigen Verträge mit fixen monatlichen Beiträgen scheuen, haben sich die Volksfürsorger für diese etwas Perfides einfallen lassen: Kunden, die etwa ihre Kapitallebensversicherung beitragsfrei gestellt haben, soll vorgeschlagen werden, diese Verträge zu kündigen. Der Rückkaufwert, den sie dafür erhalten, wird auf ein Depot bei der Generali eingezahlt. Mit dem Geld soll dann ein Teil der Prämien für die neue Berufs- und Erwerbsunfähigkeitspolice bezahlt werden.

Das Problem: Wer Lebensversicherungen kündigt und sich den bis dahin aufgelaufenen Rückkaufwert ausbezahlen lässt, macht meist ein Minusgeschäft. Denn ein solcher Vertrag muss im Durchschnitt zwölf Jahre laufen, damit der Kunde überhaupt sein Kapital zurückerhält. Fein heraus sind bei dem Tauschgeschäft jedoch die Berater, die für die neu abgeschlossenen Verträge eine Provision kassieren.

Marktanteile in der Lebensversicherung nach verdienten Brutto-Beiträgen 2010 Quelle: Bafin

Extrem hoher Druck

Die Idee des Policen-Wechsels ist der jüngste Höhepunkt einer fragwürdigen Strategie, die der traditionsreiche Versicherer seit Jahren fährt. Das fast 100 Jahre alte Unternehmen hat schon lange seine gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Wurzeln gekappt. Spätestens mit dem Verkauf an die AachenMünchener 1988 und deren Übernahme durch den italienischen Versicherungskonzern Generali wurde die Volksfürsorge eine gewöhnliche Assekuranzfirma. Heute steht ihr Markenzeichen, eine stilisierte Sonne und der Werbespruch „Keine Sorge, Volksfürsorge“, nur noch für eine reine Vertriebsorganisation von Generali.

Damit ähnelt das Unternehmen Wettbewerbern wie MLP oder AWD. Nur dass die Volksfürsorge nicht wie MLP und AWD mit selbstständigen Handelsvertretern und einem breiten Angebot unterschiedlicher Anbieter arbeitet, sondern mit fest angestellten Beratern, die ausschließlich Policen der Generali-Gruppe verkaufen. Die Erträge der Volksfürsorge speisen sich somit nur aus Provisionen, die es für jede vermittelte Police gibt.

Obwohl Insidern zufolge Generali nicht von den Provisionen, sondern nur von den Verträgen profitieren will und von der Volksfürsorge keinen großartigen Gewinn erwartet, klagen Volksfürsorge-Mitarbeiter über extrem hohen Druck. „Der Vertrieb wird seit der Umstellung als Profitcenter gesehen“, sagt eine Führungskraft. „Es müssen ganz konkrete Ziele erfüllt werden.“ Inzwischen werden die Mitarbeiter von Existenzsorgen geplagt. „Wir haben Angst“, sagt eine Führungskraft, „dass die Volksfürsorge plattgemacht wird, wenn wir nicht genügend leisten.“

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