WirtschaftsWoche: Herr Doser, Sie haben herausgefunden, dass die Entscheider in den Unternehmen zugeschüttet werden mit Zahlenmaterial aus ihrem Haus, aber mehr als die Hälfte von ihnen nicht mal die Zeit haben, diese Fakten anzuschauen. Was sind die Folgen?
Torge Doser: Viele Unternehmen treffen ihre Entscheidungen aufgrund unvollständiger Informationen und verfehlen dadurch häufig ihre Ziele. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Bekommt ein Manager mit Produktverantwortung keine aussagekräftigen, zukunftsorientierten Informationen über Markttrends und Kundenverhalten als Grundlage für seine Entscheidung, riskiert das Unternehmen, dass es Produkte und Services am Kundeninteresse vorbei entwickelt. Oder: Ein Bankmanager, der nicht erfährt, weshalb Kunden ihre Einlagen abziehen, dreht bei seinen Gegenmaßnahmen daraufhin womöglich an den ganz falschen Stellschrauben. Damit beschleunigt er sogar noch den Einlagenverlust, statt ihn zu stoppen.
Passiert das oft, wie groß ist das Problem im Unternehmensalltag?
Wir haben bei einer Befragung von über 250 Managern bis hoch zur CEO-Ebene herausgefunden, dass nur 26 Prozent der Manager durch die Reports relevante und vollständige Informationen bekommen. 57 Prozent von ihnen sagen sogar, dass sie Reporte und Berichte bekommen, die sie nicht betreffen, 56 Prozent lesen sie gar nicht. Die Lieferung von rein finanztechnischen Zahlenfriedhöfen, die häufig lediglich die Vergangenheit und keine Trends und Wettbewerbsdaten abbilden, ist also Normalität. Das ist ungefähr so, als wenn Unternehmenslenker ein veraltetes Navigationssystem nutzen, das auf altes Kartenmaterial - statt auf aktuelle Bewegungsdaten - zugreift. Irgendwie kommt er damit wahrscheinlich irgendwann auch zum Ziel, aber das veraltete Navi sieht keine Staus und Umgehungsstraßen, er hat Zeitverlust.
Aber warum ist die Qualität der hausinternen Berichte so schlecht?
Erstens: Viele Reportings sind historisch gewachsene Datenfriedhöfe, die Zahlenkolonnen sind nicht grafisch aufbereitet, Kennzahlen nicht eindeutig definiert, häufig redundant. Es ist schwer, auf einen Blick die wesentlichen Informationen zu erfassen. Das führt zu Fehlinterpretationen und zu Missverständnissen. Fast nichts ist schlimmer als zwei Kennzahlen mit demselben Namen und unterschiedlichen Werten. Zweitens: Viele gucken nur nach innen, statt auf Marktzahlen und Konkurrenzanalyse: Nabelschau. Drittens: Die Performance wird nicht betrachtet: operativer Blindflug Die Folge: Viele Reports bieten keinen Mehrwert für das Management: helfen gar nicht
Bei welchen Entscheidungen Vorstände und Aufsichtsräte nicht für Unternehmensschäden haften müssen
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, die durch Prognosen und damit durch nicht justiziable Einschätzungen gekennzeichnet ist.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie auf der Grundlage angemessener Information getroffen wurden. Eine rein formale Absicherung durch Einholung externen Rats reicht nicht.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie die Ertragskraft des Unternehmens langfristig stärken und dessen Wettbewerbsfähigkeit sichern wollten. Dies trifft nicht zu, wenn mit der Entscheidung in völlig unverantwortlicher Weise Risiken falsch bewertet und eingegangen werden.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn sie mit der Entscheidung keine eigenen Interessen verfolgt haben.
Vorstände und Aufsichtsräte müssen nicht für Unternehmensschäden haften, wenn der Vorstand in gutem Glauben gehandelt hat – also die Informationsgrundlage nicht evident unzureichend und die Entscheidung nicht objektiv vollkommen unvernünftig und damit offensichtlich ungeeignet war, um das Wohl der Gesellschaft zu fördern.
Und trotzdem ändert keiner etwas an diesen Missständen. Wieso lassen es die Top-Manager zu, dass sie auf Grundlage unvollständiger Fakten entscheiden? Wollen sie sich lieber auf Ihre Bauchentscheidungen verlassen?
Die Manager wollen schon harte Informationen – aber, der Aufwand, um im Reporting etwas zu ändern, ist sehr groß. Oft fehlen auch das Budget, ein entsprechendes Projekt aufzusetzen oder die notwendige Entscheidungskompetenz. Und an einigen Stellen fehlen die Erfahrung und das Personal, ein modernes Reporting mit den entsprechenden organisatorischen und systemtechnischen Voraussetzungen zu entwickeln
…kein Hahn kräht danach?
Doch, aber es ist eben auch bequem, das zu nutzen, was bereits vorhanden ist und sich ansonsten um das operative Geschäft zu kümmern. Und: Wir beobachten oft, dass es keine Kommunikation zwischen Berichteschreiber und den Managern gibt und der Reportende gar nicht weiß, dass sein Bericht nicht weiterhilft.
Und mit dem Missstand fahren alle immer noch so gut, dass man ihn belässt?
Es gibt viele Gründe an dem festzuhalten, was vorhanden ist. Unternehmenszentralen, die sich darum kümmern müssten, das Reporting zu erneuern, sind heute nach diversen Kostenrunden häufig knapp besetzt. Ihnen fehlen Budgets, Zeit, Know-how, Fokus und die Bereitschaft, dieses Thema anzugehen.
Das Fazit ihrer Studie ist also, dass die Unternehmen nicht einmal daraus lernen wollen?
Jedenfalls wird weiterhin ungenau berichtet und geplant, Planungsfehler und falsche Grundannahmen sind Normalität.