Politische Debatte Deutschland beutet Europa demografisch aus

Aus lauter Freude über die zuwandernden Fachkräfte aus Südeuropa verschließen wir die Augen vor den Folgeproblemen für die Herkunftsländer. Ein neuer innereuropäischer Konflikt könnte sich anbahnen.

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Die Spanier Daniel Marín Carmona (l) und Silvia Gómez Bernal in der Werkshalle der Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren. Quelle: dpa

Endlich kommen sie. Die Menschen, die sich die Deutschen als Einwanderer wünschen. „Immer mehr Akademiker unter den Neuzuwanderern“, meldet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“. Sie sind jung, haben studiert und stammen zu fast drei Vierteln aus Europa. 306 000 EU-Bürger kamen im ersten Halbjahr 2012 nach Deutschland, 24 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Die Masse von ihnen stammt aus Polen (89 000) und den anderen ost- und südosteuropäischen Staaten. Aber die Zuwanderung aus Südeuropa steigt besonders stark an. Aus Griechenland kamen im ersten Halbjahr 2012  fast 16 000 Menschen (78 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum), aus Spanien 11 000 (plus 53 Prozent) und aus Portugal kamen fast 6000 (plus 53 Prozent). Es spricht viel dafür, dass diese Zahlen auch künftig wachsen werden.

Trainieren für die Willkommenskultur

Denn die Zuwanderer aus Europa werden willkommen geheißen wie ein kollektiver Messias, der Deutschland vor dem Unheil erlösen soll. Das Unheil trägt den Namen: Fachkräftemangel. Unterstützt vom Wirtschaftsministerium und Wirtschaftsverbänden trainieren sich die Deutschen daher eine „Willkommenskultur“ an. Das Goethe-Institut in Madrid richtet neue Sprachkurse ein. Mittelständische Unternehmen stärken ihre „interkulturellen Kompetenzen“. Die deutschen Handelskammern werben längst aktiv in Südeuropa um Personal: „Die Unternehmen müssen nur sagen, wen sie mit welchem Profil suchen. Dann legen unsere Leute los“, verspricht der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann.

In der deutschen Politik und den Führungsetagen der Wirtschaft herrscht Einigkeit. Da die Deutschen sich selbst nicht genug reproduzieren und sie daran nichts ändern wollen, sollen Zuwanderer die Rettung bringen. Doch so wie vor vierzig Jahren kein Anwerber von Gastarbeitern daran dachte, was sein Handeln langfristig für die deutsche Gesellschaft bedeutete, denken auch heute die Förderer der Fachkräfte-Zuwanderung kaum über die Behebung des akuten Personalmangels hinaus.

Mit Master-Zeugnis im Gepäck

Allzu große Integrationsprobleme werden die Südeuropäer  - im Gegensatz zu anderen Einwanderergruppen - vermutlich nicht bereiten. 30-jährige Spanier oder Griechen mit Master-Zeugnis im Gepäck unterscheiden sich kulturell kaum von einheimischen Deutschen. Ein Problem wird diese Wanderung aber eines nicht allzu fernen Tages für die Herkunftsländer im Süden werden. Diese Länder leiden nämlich nicht nur an überbordender Staatsverschuldung, mangelnder wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und – noch – hoher Jugendarbeitslosigkeit, sondern an demselben demografischen Problem wie Deutschland.

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