1. Startseite
  2. Technologie
  3. Forschung
  4. Ernährung: Gefällig, gesund – und genverändert

ErnährungGefällig, gesund – und genverändert

Unternehmer polieren den Ruf der grünen Gentechnik auf. Sie entwerfen Nahrungspflanzen nun so, dass sie Konsumenten verführen. Ein Besuch bei dem US-Bauern, der den ersten genveränderten Apfel in die Regale bringt.Thomas Stölzel 16.02.2018 - 19:00 Uhr

Hightech statt grüner Daumen: Apfelbauer Neal Carter.

Foto: Presse

Ein Zaun gegen Rehe und Hirsche ist der einzige Schutz, den Obstbauer Neal Carter für seine drei Plantagen im US-Bundesstaat Washington braucht. Seine Äpfel unterscheiden sich äußerlich nicht von allen anderen, die in diesem riesigen Anbaugebiet nahe des Vulkans Mount Rainier wachsen. So können Umweltschützer sie nur schwer aufspüren. Das Besondere an Carters Arctic Apple zeigt sich, wenn man ihn aufschneidet: Das Fruchtfleisch färbt sich nicht braun. Carter muss seine Äpfel daher nicht aufwendig behandeln, bevor er sie in mundgerechte Stücke schneiden lässt und abgepackt in Plastiktüten verkauft – so wie konkurrierende Anbieter.

Der Arctic Apple ist der erste gentechnisch veränderte Apfel im Supermarktregal. Im Herbst hat das von Carter gegründete Unternehmen Okanagan nach 22 Jahren Entwicklung die ersten Exemplare an eine kleine Zahl von Läden in den USA ausgeliefert. Nach den ersten Erfolgen will Carter den Designerapfel auch in Kanada und Argentinien anbauen.

Der Ruf von Genfood ist miserabel. Organisationen wie Friends of the Earth und Greenpeace haben ganze Arbeit geleistet. Es liegt vor allem an ihren Kampagnen, dass viele Menschen fürchten, beim Verzehr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ihre Gesundheit zu riskieren.

Getuntes Erbgut: Ein aufgeschnittener normaler Apfel (links) und ein Arctic Apfel.

Foto: Presse

Vier von fünf Deutschen, so hat es eine Umfrage des Landwirtschaftsministeriums ergeben, wünschen sich eine Kennzeichnungspflicht. Sie soll verdeutlichen, ob Salat, Joghurt oder Tiefkühlpizzen frei von Gentechnik sind. Dabei betonen Wissenschaftler weltweit, dass Genfood die Gesundheit nicht gefährdet.

Neal Carter versucht nun auf seine Art, das Image der grünen Gentechnik aufzupolieren. Er will diejenigen überzeugen, die Obst und Gemüse essen – und nicht jene, die es anbauen. Wer bislang mit Gentechnik in der Landwirtschaft Geld verdienen wollte, der stärkte die Resistenz des Saatguts etwa von Mais oder Soja gegen Schädlinge und versprach den Bauern mehr Erträge. Carter geht einen anderen Weg: Er verändert das Erbgut und achtet darauf, dass sein Eingriff den Konsumenten nützt.

Gesünderes Fast Food

Und Carter steht nicht allein da. Eine Handvoll Unternehmen in den USA und Kanada baut auf gentechnisch veränderte Lebensmittel, die verbraucherfreundlich und gesund sein sollen. Wie die pinkfarbene Ananas, die eine Substanz erhält, um Krebs vorzubeugen. Wie die Kartoffel, die beim Frittieren nur noch wenig Acrylamid produziert, das vermutlich krebserregend ist. Und wie die Sojabohne, deren Öl beim Erhitzen keine Transfette mehr bildet, um das Herzinfarktrisiko zu vermindern. Selbst die fluffigen Brötchenhälften, zwischen die Fast-Food-Ketten ihre Buletten packen, sollen bald wichtige Ballaststoffe liefern, verspricht etwa das Start-up Calyxt aus dem US-Bundesstaat Minnesota: Es hat eine Weizensorte entwickelt, die dreimal mehr Ballaststoffe als normaler Weizen enthält.

Gentechnik in der Landwirtschaft

Die Schöpfung der Superkuh

Kühe, die weniger Treibhausgase ausstoßen, kaum noch Antibiotika benötigen, mit weniger Wasser auskommen. Wie die Rinderindustrie sich neu erfindet und warum die Tiere bald auch wieder durch unsere Wälder ziehen werden.

Gezielt Verbraucher ansprechen und von den Vorteilen der Gentechnik überzeugen – das hat vor vielen Jahren schon einmal funktioniert: bei Insulin. Wissenschaftlern war es in den Achtzigerjahren gelungen, Kolibakterien zu verändern. Sie produzieren ein Insulin, das identisch mit dem ist, das auch Menschen ausschütten. Zuvor mussten sich Diabetiker mit Insulin aus Schweine- und Rindermägen versorgen. Viele vertrugen das tierische Hormon schlecht. Beim gentechnisch hergestellten Insulin gab es dagegen keine Nebenwirkungen. Heute gibt es kaum noch ein anderes zu kaufen.

McDonald’s wartet ab

Der Obstproduzent Del Monte will diesen Erfolg nun mit einer pinkfarbenen Ananas wiederholen – und hat dafür bereits die Zulassung der US-Lebensmittelaufsicht. Pink wird die Frucht laut Patent durch ein Pigment namens Lycopin. Das steckt auch in Tomaten und sorgt für die rote Farbe. Die Wirkungsweise wird rege erforscht, einigen Studien zufolge könnte der Stoff das Wachstum bestimmter Krebszellen bremsen.

Für die rosa Ananas hat Del Monte eines der Gene im Erbmaterial herkömmlicher Ananas gewissermaßen deaktiviert. In der veränderten Frucht wird die Ausschüttung eines Enzyms gehemmt, das in herkömmlicher Ananas das rote Pigment Lycopin in das gelbe Pigment Beta-Carotin verwandelt. Das Ergebnis ist eine süße Partyattraktion, die Food-Blogger bereits begeistert – und die nebenbei vor Krebs schützen soll.

Falsche Vorstellungen der Verbraucher

Die Kehrseite des Bio-Booms

Auch J. R. Simplot setzt auf die farblichen Vorzüge von Genfood. Und darauf, dass es gesünder ist. Von den Aufsichtsbehörden in Japan, Kanada und den USA hat der amerikanische Agrarkonzern bereits die Zulassung für die Designerkartoffel Innate erhalten. Die wird nach dem Aufschneiden nicht braun und produziert beim Frittieren kaum Acrylamid. Nach Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit steigert ein erhöhter Verzehr von Acrylamid das Krebsrisiko. Deshalb hat die EU kürzlich eine Verordnung erlassen, die Restaurants eine Acrylamid-reduzierte Zubereitung von Kartoffeln vorschreibt. Die Politik verleiht dem Geschäft mit dem gesunden Genfood dadurch indirekt Schwung. Das, was Restaurants und Supermärkte nicht anbieten, kann schließlich auch keiner kaufen.

Gleichwohl: Bis es Genfood in die Regale schafft, braucht es langwierige Genehmigungsverfahren und viel Überzeugungsarbeit. Apfelbauer Carter hat Okanagan deshalb vor drei Jahren an den Biotechkonzern Intrexon verkauft, der auch genetisch veränderte Moskitos in Umlauf bringt, um in Südamerika das Zika-Virus zu bekämpfen. Nur so, sagt Carter, habe es sein Arctic Apple letztlich in den Supermarkt geschafft. „Bei Konsumenten verpuffen die Vorbehalte gegenüber Genfood, solange ein Produkt appetitlich aussieht“, sagt Carter. Viel schwieriger sei es, die großen Supermarktketten zu überzeugen: „Die fürchten Demonstranten mit Anti-Genfood-Plakaten vor ihren Läden.“

Der Widerstand von Aktivisten ist nach wie vor groß, selbst in den USA. Im Fall der niemals braun werdenden Kartoffel, die auch vor Krebs schützen soll, ist es den Kritikern sogar gelungen, McDonald’s auf ihre Seite zu ziehen: Die Innate kommt vorerst nicht in seine Küche, ließ der Burgerbrater wissen. Und weil McDonald’s der wichtigste Kunde des Agrarkonzerns ist, dürfte Simplot auch in Zukunft vor allem auf etablierte Sorten setzen.

Die Monsanto-Forscher sind überzeugt von dem, was sie tun. Besonders eifrige Mitarbeiter haben die hehren Ziele sogar schriftlich festgehalten: Mehr Nachhaltigkeit und höhere Produktivität für die Bauern dieser Welt.

Foto: WirtschaftsWoche

In seinen Laborräumen experimentiert Monsanto mit Mikroben. Dabei wird das Saatgut mit Pilzsporen behandelt, damit gelangt mehr Phosphor in die Wurzeln der Pflanzen. Der Landwirt muss dann weniger düngen. Wenn es denn alles so funktioniert.

Foto: WirtschaftsWoche

Jay Silverman, Biologe und IT-Spezialist, arbeitet seit fünf Jahren für Monsanto. Er untersucht das Saatgut von Pflanzen, ob es über eine geeignete DNA verfügt, um widerstandsfähigere und ertragreichere Pflanzen zu bilden.

Foto: WirtschaftsWoche

In speziellen Wachstumskammern züchten die Monsanto-Forscher Pflanzen unter verschiedenen klimatischen Bedingungen. Temperatur und Luftfeuchtigkeit können automatisch eingestellt werden.

Foto: WirtschaftsWoche

Um Schadinsekten zu töten, schleusen die Monsanto-Forscher in Sojapflanzen entsprechende Proteine ein. Die Sojapflanze ganz oben wurde allerdings nicht mit einem Protein behandelt, die Insekten hatten leichtes Spiel.

Foto: WirtschaftsWoche

Um Platz zu sparen, hat Monsanto 36 neue Gewächshäuser auf dem Dach seines Forschungszentrums errichtet. Die Einweihung war im November. Nachts leuchten die Gewächshäuser im Dunkeln.

Foto: WirtschaftsWoche

Jedes einzelne Gewächshaus ist ungefähr so groß wie ein Handballfeld. Hier werden unter anderem neue Pflanzenschutzmittel für Mais getestet. Licht, Temperatur und Belüftung können variiert werden.

Foto: WirtschaftsWoche

Monsanto-Manager Ed Fischer erklärt die nächsten Versuche. Künftig sollen die Monsanto-Manager noch enger zusammenarbeiten. Über eine Brücke sind die Gewächshäuser mit den Laborräumen verbunden.

Foto: WirtschaftsWoche

Ein Teil im neuen Gewächshaus-Komplex ist für Bienen reserviert. In diesem Fall will Monsanto den Bienen sogar helfen. Der US-Konzern testet ein neues Verfahren, um einen gefährlichen Parasit, die Varroa-Milbe, unschädlich zu machen. Die Milbe soll hauptverantwortlich für das Bienensterben sein.

Foto: WirtschaftsWoche

Erbgutschnipsel, vermischt mit Zuckerwasser, sollen den gefährlichen Bienen-Parasiten zur Strecke bringen. Statt Gifte wollen die Monsanto-Forscher künftig Biomoleküle versprühen, um gefährliche Schadinsekten auszuschalten.

Foto: WirtschaftsWoche

Monsanto-Manager Mike Stern will die Digitalisierung der Landwirtschaft vorantreiben. Satelliten überwachen Felder, Sensoren werten Daten zu Pflanzen und Böden aus. Algorithmen werten die Informationen aus. Und am Ende teilen sie den Bauern mit, wo auf ihren Feldern sie wieviel Saatgut, Dünger oder Pflanzenschutzmittel einsetzen sollen.

Foto: WirtschaftsWoche

Gefahrstufe Rot: Das iPad zeigt den Umriss einer Farm in Green Valley im US-Bundesstaat Illinois. An den roten Stellen sollen die Bauern mehr Saatgut und Pflanzenschutzmittel verwenden. Von seinem Digitalprojekt verspricht sich Monsanto ein großes Geschäft. Bislang nutzen die meisten Bauern allerdings bloß die kostenlose Basisversion.

Foto: WirtschaftsWoche

In Europa sind viele Genprodukte nicht nur unpopulär, sondern auch verboten. Greenpeace verkündete kürzlich, in 19 EU-Staaten Regeln durchgesetzt zu haben, die den Anbau genveränderter Pflanzen verbieten. In Deutschland gelten die schärfsten Gesetze. Und das hat Folgen. Gehören deutsche Pflanzen-Genetiker bei der Grundlagenforschung nach wie vor zur Weltspitze, so ist die angewandte Forschung hierzulande inzwischen ausgestorben, klagt Klaus-Dieter Jany, Vorstand im Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik.

Dabei seien in Deutschland etwa 60 Millionen Euro an staatliche und universitäre Einrichtungen geflossen, um mögliche Nebenfolgen der Gentechnik für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier zu untersuchen. Nachweisen ließ sich nichts, sagt Jany, Leiter des Molekularbiologischen Zentrums an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel. Aber: „Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen in der öffentlichen und politischen Meinung keine Rolle, wenn es um Genfood geht.“

Nicht nur Jany sieht darin ein Problem. Im vergangenen Jahr appellierten 129 Nobelpreisträger an Greenpeace, die Ablehnung von Genfood aufzugeben. Ihr stärkstes Argument: Der von den deutschen Biologen Ingo Potrykus und Peter Beyer initiierte „goldene Reis“ könne Millionen Menschenleben retten. Die Reissorte ist gentechnisch so verändert, dass eine Portion den Bedarf an Vitamin A, Zink und anderen Vitaminen deckt – und damit die Unterernährung in Teilen der Erde beenden könnte. Jedes Jahr sterben laut Unicef bis zu zwei Millionen Menschen in Afrika, Indien und Südostasien an Vitamin-A-Mangel.

Vorbild Babymöhre

Greenpeace gibt sich unbeeindruckt – und verweist auf die unkalkulierbaren Risiken der grünen Gentechnik für die Umwelt. Man könne die Wirkung einmal ausgesäter genveränderter Pflanzen nicht zurückholen, sagt Dirk Zimmermann, der für die Organisation in Deutschland Kampagnen rund um die Landwirtschaft steuert. Auch von Carters Arctic Apple hält er nicht viel: Der bringe nur ein bisschen mehr Bequemlichkeit, weil der Kunde die Äpfel nicht selbst schneiden müsse – und sie trotzdem schön im Supermarkt aussehen. Das sei aber auch alles.

Doch vielleicht ist das Wenige schon genug. Nachdem der kalifornische Karottenbauer Mike Yurosek 1986 die Babykarotte erfand, indem er aus großen krummen Karotten praktische Minikarotten schnitzte, verdreifachte sich der Karottenabsatz in den USA binnen weniger Jahre. Carter hofft auf einen ähnlichen Effekt für seinen Arctic Apple.

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
Stellenmarkt
Die besten Jobs auf Handelsblatt.com
Anzeige
Homeday
Homeday ermittelt Ihren Immobilienwert
Anzeige
IT BOLTWISE
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Remind.me
Jedes Jahr mehrere hundert Euro Stromkosten sparen – so geht’s
Anzeige
Presseportal
Lesen Sie die News führender Unternehmen!
Anzeige
Bellevue Ferienhaus
Exklusive Urlaubsdomizile zu Top-Preisen
Anzeige
Übersicht
Ratgeber, Rechner, Empfehlungen, Angebotsvergleiche
Anzeige
Finanzvergleich
Die besten Produkte im Überblick
Anzeige
Gutscheine
Mit unseren Gutscheincodes bares Geld sparen
Anzeige
Weiterbildung
Jetzt informieren! Alles rund um das Thema Bildung auf einen Blick