Wer kennt das nicht: Kaum wurde der Beipackzettel eines gerade eingenommenen Medikaments gelesen, schon wird einem schlecht. Und wenn das Kind mit der Nachricht von Läusen im Kindergarten nach Hause kommt, was passiert dann? Richtig: Es juckt! In den seltensten dieser Fälle sind unsere Körper wirklich krank – oder von Ungeziefer befallen. Was uns ereilt, ist Nocebo – so nennt die Wissenschaft das Gegenteil des berühmten Placebo-Effekts.
Dabei sind die bekannten Beispiele nicht immer so harmlos wie die oben genannten. 1967 zum Beispiel stürmte eine junge Frau in das städtische Krankenhaus von Baltimore. Sie litt unter panischer Todesangst. Angeblich soll eine Hebamme bei ihrer Geburt prophezeit, dass sie ihren 23. Geburtstag nicht erleben würde, weil sie an einem Freitag, den 13. geboren wurde. Gleiches hatte die Geburtshelferin zwei anderen jungen Müttern erzählt – das eine Kind starb mit 15, das andere mit 21. Unter diesen Vorzeichen war die junge Frau fest davon überzeugt, dass auch ihr dieses Schicksal wiederfahren würde. Die Ärzte nahmen sie zur Beobachtung auf, am nächsten Tag wurde sie tot aufgefunden. Zwei Tage vor ihrem 23. Geburtstag. Die Frau war an ihrer Panik gestorben, die den Puls massiv nach oben getrieben und das Herz schwer belastet hatte.
Geschichten dieser Art gibt es etliche. Angst oder einfach eine negative Erwartungshaltung können bei Patienten starke Symptome auslösen. Herausgekommen ist der Effekt erstmals bei klinischen Studien, in denen Patienten regelmäßig über die Nebenwirkungen von Medikamenten befragt werden. Dabei bekommt die eine Gruppe das echte Medikament verabreicht, die Placebo-Gruppe hingegen ein Mittel ohne Wirkstoff zur Kontrolle. Dabei fiel auf, dass Probanden beider Gruppen über Nebenwirkungen klagten.
Was ist was?
„Ich werde gefallen“ bedeutet Placebo übersetzt. Dabei handelt es sich gemeinhin als ein Medikament, das keinen Wirkstoff enthält und dadurch auch keine heilende Wirkung haben kann.
„Ich werde schaden“ bedeutet Nocebo übersetzt. Im Gegensatz zum Placebo-Effekt, treten negative Symptome auf, obwohl es keinen Auslöser durch ein medizinisches Präparat gibt.
Warum manche Menschen unter diesen Nocebo-Effekten leiden und andere nicht, konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Einer, der an den Fragen rund um das Thema forscht, ist Paul Enck, Psychologe am Universitätsklinikum Tübingen (Übersichtsarbeit Nocebo-Phänomene in der Medizin). Er ist der Sprecher einer Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), an der insgesamt neun Projekte zu dem Thema beteiligt sind (Übersicht über die laufenden Forschungsprogramme). Vor allem die Gruppen an den Standorte Marburg, Essen, Hamburg und Tübingen gelten als Experten zu Placebo- und Nocebo-Effekten.
„Bisher hat man keine genetische Basis für Nocebo-Effekte entdeckt“, sagt Enck. „aber es ist klar, dass er nicht nur mit dem Patienten etwas zu tun hat.“ Für das Auftreten der Symptome sind immer äußere Einflüsse als Auslöser verantwortlich – ganz gleich ob die Läuse im Kindergarten oder der Beipackzettel.
„Die Symptome der Patienten müssen wir ernst nehmen“, sagt Paul Enck. „Denn die Schmerzen sind real.“ Auch wenn es objektiv gesehen keine Ursache für sie geben kann. „Wir wissen, dass äußere Faktoren auch zur Wirkung einer Behandlung beitragen“, sagt Enck. Damit meint er zum Beispiel das Aussehen der Tabletten.