Medikamenten-Rückstände Neuer Filter soll Trinkwasser sauber halten

Tausende Tonnen Medikamente gelangen jährlich ins Wasser. Jetzt könnte es erstmals einen wirksamen Filter geben.

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Auch in diesem Jahr ist WiWo Green wieder Medienpartner der GreenTec Awards, einem der größten Preise für grüne Technologien, Initiativen und Unternehmen in Europa. Die Awards werden am 29. Mai in Berlin verliehen. Die Gewinner in der Kategorie Wasser & Abwasser sind in diesem Jahr Wissenschaftler der Universtät Koblenz-Landau. Was deren Innovation so besonders macht, lesen Sie hier:

Sie sind unsichtbar, aber dennoch kommen sie mit dem Trinkwasser aus jedem Wasserhahn: Überbleibsel von Medikamenten. Tausende Tonnen davon gelangen jährlich in den Wasserkreislauf. Mit dabei sind unter anderem Wirkstoffe wie das allgegenwärtige Schmerzmittel Ibuprofen, verschiedene Antibiotika und der Wirkstoff der Anti-Baby-Pille.

Menschen scheiden die Stoffe aus oder werfen sie – in Form von abgelaufenen Medikamenten – gleich in die Kloschüssel. Hinzu kommen die Medikamente, vor allem Antibiotika, aus der Tierhaltung.

Kampf der flüssigen ApothekeWissenschaftler warnen schon länger vor den Folgen dieser Verschmutzung für die Tier- und Pflanzenwelt. So konnten Forscher nachweisen, dass die Medikamenten-Rückstände die Fortpflanzung zum Beispiel von Fischen beeinträchtigen. Das Alarmierende: Die Mittel reichern sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr im Wasser an, weil sie sich schlecht bis gar nicht abbauen. Über die langfristigen Folgen dieses Effekts ist bisher kaum etwas bekannt.

Dass Trinkwasser, Flüsse und Seen immer mehr zu einer Art flüssigen Apotheke werden, will Katrin Schuhen verhindern. Die Chemikerin ist Junior-Professorin an der Universität Koblenz-Landau und arbeitet seit drei Jahren mit ihrem Team unter dem Projektnamen Wasser 3.0 an einem Filter für die Wirkstoffe.

Dafür hat sie eine chemische "Angel" entwickelt, wie sie selbst sagt. Dabei handelt es sich um ein weißes Pulver auf Silikon-Basis, ein sogenanntes Hybridkieselgel. Schuhen hatte schon vor Jahren während ihrer Doktorarbeit entdeckt, dass bestimmte Arten von Kieselgelen feste Verbindungen mit in Wasser gelösten Stoffen bilden.

Ihre Idee: Wenn man die Hybridkiesel darauf abrichten könnte, die Arzneimittel aus dem Wasser zu angeln und fest an sich zu binden, wäre das Problem der Rückstände gelöst.

Bisherige Verfahren versagenInzwischen ist Schuhen fast am Ziel. Zusammen mit ihren zwölf Mitarbeitern hat sie ein Kieselgel entwickelt, dass fast 100 Prozent der Medikamenten-Rückstände im Wasser bindet. "Rund 1000 Experimente haben wir dafür gebraucht", sagt sie. Im Labor hat die Wasserreinigung perfekt funktioniert. Nun soll der erste Praxistest in einer Kläranlage in Landau folgen. Das Karlsruher Chemieunternehmen Abcr liefert das Kieselgel.

Bisher ist allerdings unklar, wie schnell das Wasser fließen darf, so dass das Pulver auch wirklich alle Stoffe anzieht. Dafür entwickeln Ingenieure gerade eine Kartusche, in der das Wasser durch das Kieselgel wie durch einen Filter hindurchfließt. Der Test in der Kläranlage soll auch zeigen, wann das Pulver "voll" ist und erneuert werden muss.

Der Filter würde am Ende der drei Reinigungsstufen der Kläranlagen eingesetzt. Die Abwasserunternehmen experimentieren derzeit zwar schon mit Reinigungsverfahren mit Aktivkohle oder Ozonierung, doch beide haben Nachteile. Reaktionen im Wasser laufen teilweise unkontrolliert ab und neue Schadstoffe entstehen.

Auch im Haushalt einsetzbar"Unser Kieselgel macht nur, was es soll und das immer", sagt Schuhen. Abrichten ließe sich das Reinigungsmittel auch auf andere Arten von Verschmutzung wie Gifte. Eine Lösung, die interessant wäre für Entwicklungsländer.

Allerdings werden die Kosten für den Einsatz entscheidend sein. Auch über die soll der Pilotversuch in der Kläranlage Auskunft geben. Klar ist jedenfalls: Das Verfahren kommt nicht umsonst. Wenn die Politik eine solche Reinigung vorschreibt, müssten die Abwasserunternehmen reagieren und die Technik installieren.

Aber auch Haushalte könnten mit den Kartuschen das Wasser aus dem Hahn filtern, sagt Schuhen. Nebenwirkungen gibt es laut der Forscherin keine. "Wenn man den Stoff trinkt, ist das nichts anderes, als wenn man Ballaststoffe zu sich nimmt."

Allerdings ist das nicht das Ziel der Entsorgung. Verbrennt das Pulver aus den Kläranlagen dagegen bleiben laut Schuhen nur Sand und Kohlendioxid. Die flüssige Apotheke in unserem Trinkwasser hätte sich in Rauch aufgelöst.

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