Interview: Innovationsforscher Radjou: "Mangel macht erfinderisch"

Managementberater Navi Radjou im Interview mit der WirtschaftsWoche
Für deutsches Ingenieurdenken ist allein der Gedanke pure Provokation: Statt Produkte mit immer neuen Funktionen und technischen Finessen hochzurüsten – und dabei zugleich die Entwicklungs- und Fertigungskosten in die Höhe zu treiben –, muss Innovation künftig als „Mehr aus Weniger“ definiert sein.
Mit dieser These befeuert der renommierte US-Innovationsforscher Navi Radjou aktuell die Diskussionen in den Vorstandsetagen der High-Tech-Welt. Mit seinen Kollegen Jaideep Prabhu und Simone Ahuja hat er das Buch „Jugaad Innovation“ verfasst. Der Begriff Jugaad steht in der nordindischen Sprache Hindi für Einfallsreichtum und umschreibt die Kunst erfolgreicher Unternehmer in Schwellenländern, den Mangel an Ressourcen und Kapital nicht als Wachstumshemmnis, sondern als Innovationstreiber wirken zu lassen.

Jugaad Innovation, think frugal, be flexible, generate breakthrough growth. Wiley, 2012, 23,99 Euro, noch nicht auf Deutsch erschienen (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)
Frugale Innovationen
Das Prinzip, so glauben die Autoren, werde im globalen Innovationswettlauf für neue Regeln sorgen: Auf Dauer können westliche Konzerne in den dynamischen Märkten der Schwellenländer nur erfolgreich sein, wenn sie das Konzept der sogenannten frugalen Innovationen übernehmen. Forscher verstehen darunter neue Produkte, die mit minimiertem Ressourcen- und Geldeinsatz entwickelt werden. Sie sind einfach zu bedienen, technisch simpel, billig herzustellen und robust.
Das dabei gewonnene Know-how nützt den Konzernen nicht nur in Entwicklungsländern. Es ist zugleich ein Wettbewerbsvorteil in etablierten Märkten. Auch dort müssen Regierungen sparen und aufgrund steigender Rohstoffpreise Ressourcen aller Art effizienter einsetzen.
Beim Technologiekonzern Siemens ist die Botschaft angekommen: Konzernchef Peter Löscher hat den Gedanken zur Chefsache gemacht. Ihm geht es dabei nicht nur darum, von High-Tech-Produkten Billigversionen für Märkte zu entwickeln, die sich die teuren Originale nicht leisten können. „Die Produkte müssen neu entwickelt werden“, sagt Löscher. Beispiel dafür ist ein neuer Herzschlag-Monitor für Babys. Die zigarettenschachtelgroße Box ermöglicht es mit einfachsten Mitteln, den Puls von Ungeborenen zu analysieren. Bislang war dafür ein Ultraschallgerät nötig, das 4.000 bis 6.000 Dollar kostet. Das neue Siemens-Gerät nutzt kein Ultraschall, sondern feine Mikrofontechnik und ist daher für einen Bruchteil des Geldes zu haben.

Adidas
Konsum / Deutschland
ISIN: DE000A1EWWW0
KGV 2011: 15,8
KGV 2012: 13,4 (geschätzt)
Börsenwert: 12,6 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 14,8 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 48 Prozent
Chance / Risiko2: 6/5
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

British American Tobacco
Tabak / Großbritannien
ISIN: GB0002875804
KGV 2011: 14,4
KGV 2012: 13,1(geschätzt)
Börsenwert: 74,4 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 19,8 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 62 Prozent
Chance / Risiko2: 5/4
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

China Mobile
Mobilfunk / China
ISIN: HK0941009539
KGV 2011: 10,0
KGV 2012: 9,8 (geschätzt)
Börsenwert: 163,8 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 69,4 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 100 Prozent
Chance / Risiko2: 7/6
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Coca Cola
Getränke / USA
ISIN: US1912161007
KGV 2011: 18,4
KGV 2012: 16,8 (geschätzt)
Börsenwert: 136,9 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 39,8 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 42 Prozent
Chance / Risiko2: 6/5
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Danone
Nahrungsmittel / Frankreich
ISIN: FR0000120644
KGV 2011: 16,2
KGV 2012: 14,7 (geschätzt)
Börsenwert: 33,6 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 20,8 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 58 Prozent
Chance / Risiko2: 6/5
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Diageo
Getränke / Großbritannien
ISIN: GB0002374006
KGV 2011: 16,7
KGV 2012: 15,1 (geschätzt)
Börsenwert: 48,7 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 13,1 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 65 Prozent
Chance / Risiko2: 5/4
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Heineken
Getränke / Niederlande
ISIN: NL0000009165
KGV 2011: 13,7
KGV 2012: 12,2 (geschätzt)
Börsenwert: 22,3 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 18,0 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 53 Prozent
Chance / Risiko2: 5/4
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

SAB Miller
Getränke / Großbritannien
ISIN: GB0004835483
KGV 2011: 15,5
KGV 2012: 13,7 (geschätzt)
Börsenwert: 49,4 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 31,9 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 71 Prozent
Chance / Risiko2: 5/4
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Shimano
Fahrradteile / Japan
ISIN: JP3358000002
KGV 2011: 7,6
KGV 2012: k.A.
Börsenwert: 4,5 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 2,5 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 41 Prozent
Chance / Risiko2: 7/6
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Unilever
Konsum / Niederlande
ISIN: NL0000009355
KGV 2011: 15,8
KGV 2012: 14,4 (geschätzt)
Börsenwert: 76,2 Milliarden Euro
Umsatz Geschäftsjahr 2012 (geschätzt): 50,5 Milliarden Euro
davon in Schwellenländern1: 56 Prozent
Chance / Risiko2: 5/4
KGV=Kurs-Gewinn-Verhältnis
1 in Prozent des Gesamtumsatzes 2012
2 0=niedrig; 10= hoch
Quelle: Bloomberg, eigene Recherchen; Stand: 31. Mai 2012

Am Billigauto kommt kein Hersteller mehr vorbei, der Weltmarktführer werden will. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen. So werden die Verkäufe von 6,5 Millionen Einheiten an Fahrzeugen für weniger als 8.000 Euro im Jahr 2011 auf gut 25 Millionen Autos im Jahr 2030 steigen.
Nicht in den gesättigten Märkten von Europa und Nordamerika treibt das Billigauto bei der Motorisierung voran; vielmehr sind in den Schwellen- und Entwicklungsländer, die Zukunftsmärkte der Automobilindustrie zu finden. Und dort gibt es jetzt bereits die billigsten Fahrzeuge der Welt, die umgerechnet ab rund 2.000 Euro zu haben sind, wir unser Marktüberblick zeigt. Im Bild: der Bajaj RE 60.

Platz 1: Unschlagbar im Preis ist der Nano BS III aus dem indischen Tata Motors-Konzern, zu dem inzwischen auch Jaguar, Land Rover und Rover gehören. Das viertürige Wägelchen hatte zwar seine Startschwierigkeiten in den vergangenen Jahren, doch der Titel des billigsten Autos der Welt ist ihm sicher. 141.898 indische Rupien oder umgerechnet 2.043 Euro kostet der Wagen. Von dem im Januar 2008 vorgestellten Auto wurden die ersten 100.000 Fahrzeuge zum Festpreis von nur 100.000 Rupien verkauft ...

Ermöglicht wird der günstige Preis, wie bei vielen weiteren in dieser Bilderstrecke gezeigten Fahrzeugen hauptsächlich durch den Verzicht auf Komfortelemente wie Servolenkung, zweiter Seitenspiegel, Klimaanlage, Autoradio, oder elektrische Fensterheber, Verzicht auf einige Sicherheitstechnologien (Airbags, ABS), hoher Anteil an Kunststoff- statt Metallblechverarbeitung, und demzufolge geklebte statt geschweißter Chassis- und Karosserieverbindungen, sowie natürlich die geringen Arbeits- und Materialkosten in den Billig-Produktionsländern wie Indien ...

Allerdings ist der Tata Nano bisher deutlich hinter seinen Verkaufszielen zurück geblieben. Das eigens für den Nano gebaute Werk ist für 200.000 Fahrzeuge pro Jahr ausgelegt. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2011 wurden aber gerade mal 16.535 Fahrzeuge verkauft. Auf das Jahr 2012 hochgerechnet werden deutlich unter 50.000 Nano von Tata verkauft werden. Bisher ist der Tata Nano ein Flop, obwohl er fast für 40 Prozent der Pkw-Verkäufe von Tata steht.

Platz 2 und 3: Nur wenig teurer als der Nano von Tata sind zwei Modelle des chinesischen Herstellers Jiangnan - Zotye. Der Alto Zotye (hier im Bild) kostet 18.800 Renminbi (CNY) bzw. umgerechnet 2.256 Euro, das Modell Jiangnan TT kommt auf 20.800 Renminbi bzw. 2.496 Euro.
Aus europäischer Sicht darf man das Design des Wagens sicher als nicht ganz auf der Höhe der Zeit bezeichnen. Zur Spezialität des erst 2005 gegründeten Unternehmens zählen Lizenznachbauten, wie die Namen Multipla und Alto in der Modellpalette bereits andeuten.

Nur wenig teurer als der Nano von Tata sind zwei Modelle des chinesischen Herstellers Jiangnan - Zotye. Der Alto Zotye (hier im Bild) kostet 18.800 CNY bzw. umgerechnet 2.256 Euro, das Modell Jiangnan TT kommt auf 20.800 CNY bzw. 2.496 Euro.
Aus europäischer Sicht darf man das Design des Wagens sicher als nicht ganz auf der Höhe der Zeit bezeichnen. Zur Spezialität des erst 2005 gegründeten Unternehmens zählen Lizenznachbauten, wie die Namen Multipla und Alto in der Modellpalette bereits andeuten.

Platz 4: Den Suzuki Maruti 800 gab es schon 1984, und damals sah er nicht viel anders aus als heute. Der Name täuscht ein wenig, das Motörchen ist 660 ccm groß. Immerhin gibts aber eine klassische Steilheckform mit großer Heckklappe, vier Türen, große Fenster und damit gute Rundumsicht. Das aktuelle Modell 800 Std BS III kostet umgerechnet 2.979 Euro - und wird wie die meisten Fahrzeuge der Konzern-Kooperation in Indien verkauft.

Auch das nächste Modell, auf Platz 5 der Rangliste der billigsten Autos, kommt von Suzuki Maruti. Omi Cargo LPG BS III heißt der Minibus mit praktischen Schiebetüren und umweltfreundlichem Gasantrieb, der unter anderem Namen auch auf europäischen Märkten zu finden ist. 220.756 Rupien kostet der Transporter und Familienvan in Indien, das sind umgerechnet 3.179 Euro.
Die Preisstruktur von Maruti-Suzuki zeigt auch, wie weit VW vom Billigauto weg ist. Der billigste Skoda in China ist der Fabia für umgerechnet knapp 9.500 Euro. Selbst mit dem VW-up und den Skoda oder Seat-Ausführungen wird VW unwesentlich unter 7.000 Euro liegen können.

Platz 6 und 8: Ein Auto, dass die jungen Inder in Bollywood-typische Verzückung versetzt, will uns zumindest die Werbung glauben machen. Der Alto STD BS IV von Maruti kostet 240.355 indische Rupien, das sind umgerechnet nur 3.461 Euro - oder Platz 6. Zwei Ränge tiefer, auf Platz 8, liegt der Wagen mit der gleichen Bezeichnung, diesmal aber aus der Kooperation mit Suzuki und zum Preis von 248.552 Rupien, das sind 3.579 Euro.
Dazwischen, auf Rang 7, liegt ein Prinz ...

Der Haima Prince erinnert optisch ein bisschen an den Fiat Panda, kommt aber aus chinesischer Herstellung. Vier Türen, moderne Rundungen und Dachreling lassen ihn durchaus modern wirken. Preislich liegt er in China bei 29.800 Renminbi (CNY), oder umgerechnet 3.576 Euro, das ist Rang 7 im Ranking für den Hersteller FAW Haima.
Das im Bild gezeigte 2012er Modell soll laut Chinaautoweb.com allerdings mindestens 35.800 CNY kosten.

Viel Kunststoff, wenig Komfort und Sicherheitsausstattung. Blick ins Innere eines Haima Prince von FAW (First Auto Works, 1953 gegründet und in chinesischer Staatshand).

Der Chana Benben Mini (oder auch Benni Mini) von Changan Auto kostet in China 29.900 Renminbi oder umgerechnet 3.588 Euro, das ist Platz 9 unter den billigsten Autos.

Die Werbung für den Chana Benni Mini orientiert sich an europäischen Vorbildern. Sicherheit wird auch bei den Low Cost Cars zum Verkaufsargument.

Wenn Q3 drauf steht, muss nicht unbedingt Audi drin stecken, das beweist der Chery QQ3, der die Top Ten der billigsten Autos der Welt mit Rang 10 abschließt. Für 30.800 Renminbi oder umgerechnet 3.696 Euro wird er Viertürer mit Dachreling in China verkauft. Hersteller Chery, 1997 gegründet, und natürlich ebenfalls in Staatshand, zählt mit einer umfassenden Modellpalette zu den wirklich Großen im Reich der Mitte.

Hyundai hat es 2011 geschafft den "Eon" in Indien auf den Markt zu bringen. Umgerechnet kostet der Billigheimer knapp über 4.000 Euro. Damit hat ein wichtiger VW-Wettbewerber ein schlagkräftiges Low-Cost-Auto im Programm. Der viertürige Eon D-Lite, der sogar europäisch designt anmutet, kostet 278.395 indische Rupien oder umgerechnet 4.009 Euro.

Ein Großteil der in Indien verkauften Pkw sind Maruti-Suzuki, die beim Preis zum Großteil unter 5.000 Euro liegen. Abgesehen von dem gut 2.000 Euro teuren Tata Nano sind die Variationen des betagten Suzuki Alto, auch "Suzuki 800" genannt, die zurzeit weltweit meistverkauften Billigautos.
Foto: Suzuki Maruti 800 von 1984

Und was machen die Deutschen? Die Kooperation zwischen VW und Suzuki steht nach monatelangem Streit vor dem Aus. VW hatte gestört, dass Suzuki seine Partnerschaft mit Fiat in 2011 ausgebaut hatte und Dieselmotoren bestellt hatte, die auch aus Wolfsburg hätten kommen können. VW interpretierte dies als Verstoß gegen den 2009 geschlossenen Kooperationsvertrag; Suzuki konterte, dass VW den Japanern nicht Zugriff auf die eigenen Technologien gewährt hätte. Seither will der Kleinwagenspezialist die Scheidung von den Niedersachen.
Dabei hatte die Allianz mit den Japanern den Zweck, ein Konzept für Billigautos zu entwickeln, um die Marktanteile in Schwellenländern wie Indien und China auszuweiten. Ein Großteil der in Indien verkauften Pkw sind Maruti-Suzuki, die beim Preis zum Großteil unter 5 000 Euro liegen. Abgesehen von dem gut 2 000 Euro teuren Tata Nano sind die Variationen des betagten Suzuki Alto, auch "Suzuki 800" genannt, die zurzeit weltweit meistverkauften Billigautos. Und mit dem Scheitern dieser Zusammenarbeit steht VW ohne schlüssiges Konzept da und ist damit in dem am schnellsten wachsenden Bereich in den Entwicklungsmärkten nicht vertreten.
Foto: Suzuki Maruti Omni

Derzeit sind zwei Pkw in Deutschland für unter 7.000 Euro erhältlich. Das ist zum einer der Dacia Sandero zum Preis von 6.790 Euro und das Aktionsangebot des auslaufenden Fiat Panda Classic für 6.990 Euro. Dacia verkauft mehr Fahrzeuge als Mitsubishi oder Chevrolet; das zeigt, dass die erfolgreichen Rumänen im Gegensatz zu den meisten ihrer Wettbewerber das Potential dieser Preiskategorie auch am deutschen Markt erkannt hat.
So hat Deutschland nach Ansicht des CAR-Instituts ein Potential von rund 100.000 Einheiten pro Jahr für Autos dieser Preisklasse. Schon heute weisen manche immerhin einen Preisunterschied von 35 Prozent oder mehr zu den klassischen Fahrzeugen der Volumenhersteller auf. Wie der SUV Duster der rumänischen Renault-Tochter Dacia, der mit dem Einstiegspreis von 10.990 Euro deutlich unter dem VW Tiguan mit einem Einstiegspreis von 24.175 Euro liegt. Sogar der nicht mehr taufrische Suzuki Grand Vitara kostet noch 19.990 Euro.
Foto: Fiat Panda

Doch auch in puncto Umweltverträglichkeit wird das Billigauto immer besser, denn es wird immer öfter von Gas angetrieben. Da kommt kein Diesel in der Abgas-Performance mit. Bereits heute ist in Indien ein Großteil der Billigfahrzeuge in Erdgasversionen im Markt. Selbst die Tuk-Tuk von Bajaj sind mit Erdgas ausgerüstet.
Mit dem Ultra-Low Cost Car ist also zusätzlich ein besserer Umweltstandard auf den Markt als etwa beim VW Golf Diesel. Geringer Verbrauch und geringe Emissionen durch Erdgas machen es zum Saubermann. Bajaj will dies auch mit dem neuen Modell RE 60 erreichen.

Es gibt außerdem mehrere große Zweirad-Hersteller, die sich in Richtung des Ultra Low Cost Car bewegen. Einmal Bajaj, das 3,4 Millionen Motorräder und Motorroller sowie 440.000 Threewheeler, überwiegend TukTuk, im Jahr 2011 produziert hat. Der gesamte Motorrad- und Moped-Markt in Indien hatte 2011 ein Volumen von 10,5 Millionen Fahrzeugen.
Bajaj will noch in diesem Jahr den Bajaj RE 60 auf den Markt bringen. Das Fahrzeug soll den Preis des Tata Nano unterbieten, hat einen 0,2 Liter Motor, eine Spitzengeschwindigkeit von 70 km/h und einen Durchschnittsverbrauch von 2,5 Liter Benzin/ 100 km.
Mit dem RE 60 macht Baja seinen Schritt in die Autoindustrie, indem es das motorisierte Einfach-Zweirad weiter zum Auto ausbaut.

Andere indische Unternehmen, wie die Hero Motor Corporation, der zweitgrößte Motorradhersteller weltweit mit 5,4 Millionen verkauften Motorräder im Jahr 2011, denken ebenfalls in den Einstieg in Ultra Low Cost Segment nach. Hero ist sehr profitabel und erwirtschaftet eine Vor-Steuer-Umsatzrendite von gut zehn Prozent. Hero hat also Investitionspotenzial.
Der Markt bekommt damit Dynamik von der Angebotsseite. Wenn man mal voraussetzt, dass tatsächlich weiterentwickelte Motoradtechnik und nicht abgespeckte Autotechnik den Weg zum Billigst-Weltauto dominiert.
WirtschaftsWoche: Herr Radjou, was können wir von Unternehmern in Schwellenländern lernen?
Navi Radjou: Wie man unter widrigen Bedingungen mit weniger mehr erreicht. Wir nennen das frugale Innovation. Die dortigen Unternehmer sind täglich mit Mangel konfrontiert, sei es finanzieller Art oder durch fehlende oder anfällige Infrastruktur. Dadurch sind sie sehr erfinderisch, müssen mit winzigen Budgets Produkte ersinnen und oft auch noch gleichzeitig innovative Geschäftsmodelle dafür erfinden.
Zum Beispiel?
Wie der indische Chirurg Devi Shetty, der die Kosten für Herzoperationen mittels günstiger Technologie und Standardisierung bei gleichzeitig hohem Niveau gesenkt hat. Oder der Energieunternehmer Harish Hande, der Solarmodule an Ladenbesitzer in indischen Dörfern verleast, die den erzeugten Strom über Akkus an ihre Kunden verkaufen können.
Not macht erfinderisch.
Genau. Shetty wollte sich nicht damit zufriedengeben, dass sich viele Inder keine Herzoperation leisten konnten. Hande wollte nicht akzeptieren, dass Solarenergie für die Landbevölkerung unerschwinglich sein soll. Diese Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, bis an die Grenzen auf der Suche nach Lösungen zu gehen, fehlen westlichen Firmen oft, oder es gibt Widerstände gegen sie. Vor allem haben die Unternehmer in Entwicklungsländern eine Gabe, die im Westen mehr und mehr verloren geht.
Und zwar?
Sie können Produkte und Dienstleistungen schaffen, die tatsächliche Probleme lösen.
Das würde jeder westliche Unternehmer auch von sich behaupten.
Kann sein. Aber in der westlichen Welt – besonders hier im Silicon Valley – laufen wir Gefahr, das zu verlernen. Oft wird ein Produkt ersonnen und danach ein Markt dafür gesucht, wofür oft Unsummen von Geldern ausgegeben werden. Diesen Luxus kann sich ein Unternehmer in Indien oder Brasilien nicht erlauben.
Aber inwieweit berührt uns das?
Stärker, als wir es wahrnehmen. Denn wir stehen auch im Westen wegen der hohen Schulden vor einer neuen Ära. Rohstoffe und Energie werden teurer, und Regierungen wie Verbraucher müssen sparen. Das verstärkt den Druck auf Unternehmen, ebenfalls Kosten zu senken und schonender mit Ressourcen umzugehen.
Wo sehen Sie das?
Ganz stark im Gesundheitssektor, beispielsweise in den USA. Versicherungen und Krankenhäuser suchen hier nach neuen Heilmethoden, die zwar ebenso erfolgreich sind wie alles Bisherige, die aber weniger kosten. Es geht bei alledem aber nicht nur um Produkte und Geschäftsmodelle, sondern auch um den Einfluss von Ideen. In einer globalisierten Welt können wir uns nicht mehr abschotten.
Was meinen Sie damit konkret?
Ein gutes Beispiel ist der indische Geschäftsmann Ratan Tata mit seiner Idee, mit dem Tata Nano das günstigste Automobil der Welt zu konstruieren. Automanagern im Westen war schnell bewusst, dass diese Idee auch Auswirkungen auf ihr Geschäft haben wird. Carlos Goshn, der Chef von Renault-Nissan, hat deshalb die Pläne mit seinem Logan, einem Auto im 10.000-Dollar-Preissegment, vorangetrieben. Goshn war klar, dass er nicht so radikal wie Tata sein kann. Aber er hat mit diesem Beispiel seine Ingenieure herausgefordert und angespornt. Die hätten sonst zu schnell aufgegeben. Tata zeigte, dass es machbar ist.
Nun gilt der Tata Nano nach dem ersten Hype nicht gerade als Erfolgsmodell.
Aber die Idee von seinem supergünstigen Auto ist geblieben. Tata hat mit dem Nano die Automobilbranche verändert. Das Problem war, dass der Nano quasi als das Auto für Arme vermarktet wurde anstatt als smarte Wahl für preisbewusste Käufer. Kaum jemand wollte sich die Blöße geben, dass er sich nur ein Auto für Arme leisten kann.
Einfach nur eine Billigversion von einem westlichen Produkt auf den Markt zu bringen funktioniert also nicht?
Das geht schon deshalb nicht mehr, weil es selbst in Indien in jedem Dorf Fernseher gibt. Die Menschen kennen die Produkte und wollen sich nicht mit billigen Kopien abspeisen lassen. Sie sind sogar sehr markenbewusst. Die Herausforderung ist es, mithilfe der Kreativität von einheimischen Ingenieuren zu vertretbaren Kosten wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln.
Welche Unternehmen sind vorbildlich?
Es gibt erst wenig erfolgreiche Beispiele. Aber ihre Zahl wächst: Renault, Danone, PepsiCo, Procter & Gamble – aber auch SAP und Siemens gehören dazu.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass unter dem Denkmantel der frugalen Innovation die Entwicklungsbudgets gedrückt werden, was zu minderwertigen Produkten führen kann?
Damit würden Unternehmen scheitern. Gerade heutzutage, wo Kunden im Internet ihrem Ärger Luft machen können, würde sich rasch herumsprechen, wenn die Qualität leidet. Unternehmen müssen allerdings schon unterscheiden, was sie unter Qualität verstehen: Ist ein mit Funktionen vollgestopftes Produkt wirklich besser als eins, dessen Funktionen auf das wirklich Wesentliche reduziert worden sind? Manchmal ist gut eben gut genug. Auch das kann man von den Schwellenländern lernen, nämlich wie man ein Produkt von Komplexität befreit. Der Herzmonitor von Siemens ist nicht nur portabel, sondern auch so automatisiert, dass er sich ohne große Schulung einsetzen lässt.
Sie nennen in Ihrem Buch Steve Jobs als einen Unternehmer, der die frugale Innovation verstanden hat. Der hätte Sie aber auf der Stelle gefeuert, wenn Sie ihm mit „Gut ist gut genug“ gekommen wären.
Jobs ist als Perfektionist bekannt. Aber er ist auch für seine Kunst des Weglassens berühmt, wenn dies Produkte vereinfacht hat. Nicht zuletzt hat Jobs mit seiner Idee, Musik für 99 Cent zu verkaufen, den Handel mit Online-Musik etabliert und für viele erschwinglich gemacht. So wie Konsumgüter-Riesen wie Procter & Gamble sich von indischen Geschäftsleuten abgeschaut haben, dass man Shampoo auch in kleineren Portionen verkaufen kann, damit sich die Kunden das leisten können.












