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Lebensmittel„Fleisch, für das kein Tier sterben muss“

Vor drei Jahren wurde der erste Hamburger aus der Petrischale verkostet, für den Niederländer Peter Verstrate der Höhepunkt seiner Karriere. Jetzt leitet er das Start-up MosaMeat. Das Ziel: Mit künstlichem Fleisch unsere Ernährung und Viehzucht radikal umkrempeln.Eva Mühle 09.09.2016 - 09:00 Uhr

Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem.

Foto: WirtschaftsWoche

Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen.

Foto: WirtschaftsWoche

Man glaubt es kaum, aber ...

Foto: WirtschaftsWoche

.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt.

Foto: WirtschaftsWoche

Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich.

Foto: WirtschaftsWoche

Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten.

Foto: WirtschaftsWoche

Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Foto: WirtschaftsWoche

Noch nicht einmal auf seine tiefgefrorenen Nuggets muss der moderne Vegetarier verzichten. Viele Lebensmittelhersteller bieten inzwischen vegetarische Produkte an, die den Originalen ähneln sollen - zum Beispiel vegetarische Salami, Leberwurst und Schnitzel.

Foto: WirtschaftsWoche

Obwohl es Veggy heißt, ist vegan drin. Die Farbe hat allerdings noch etwas Arbeit vor sich.

Foto: WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Verstrate, im August 2013 haben sie zusammen mit Ihren Kollegen der Öffentlichkeit den weltweit ersten synthetischen, ausschließlich im Labor hergestellten Hamburger präsentiert. Das war ein riesiges Event. Was hat sich seitdem getan?

Peter Verstrate: 2013 konnten wir der ganzen Welt beweisen, dass unser Konzept funktioniert. Wir haben gezeigt, dass man Fleisch in der Petrischale züchten kann. Ein marktreifes Produkt war das aber noch nicht. Der Hamburger bestand nur aus Muskelgewebe. Da waren weder Fettzellen noch Bindegewebe drin und er hatte keine Farbe. Die Forschung ging dann erst mal auf einem akademischen Level an der Universität Maastricht weiter. Irgendwann haben mein Kollege Mark Post und ich beschlossen, dass wir das Projekt unter diesen Rahmenbedingungen nicht erfolgreich weiterführen können. Dann haben wir uns hingesetzt und überlegt, welche Ressourcen wir benötigen, um in rund vier Jahren ein marktreifes Produkt zu haben. Dann haben wir einen Plan aufgestellt und im Mai 2016 das Start-up MosaMeat gegründet.

Peter Verstrate ist studierter Lebensmitteltechniker. Zusammen mit dem niederländischen Medizinprofessor Mark Post ist es ihm 2013 gelungen, den weltweit ersten künstlichen Hamburger zu produzieren. Seit 2016 leitet Verstrate zusammen mit seinem Kollegen Post das Start-up MosaMeat, ein Spin-Off der Universität Maastricht.

Foto: PR

Was ist das Ziel von MosaMeat?
Das Problem ist klar: Wir brauchen zukünftig eine Alternative zum traditionellen Fleisch, weil wir eine nachhaltige Produktion nicht mehr gewährleisten können. Mit MosaMeat möchten wir beweisen, dass das Züchten von Gewebe im Labor eine Technologie ist, um Fleisch zu produzieren. So könnten wir ein sehr relevantes Problem umgehen – den schädlichen Einfluss, den die klassische Fleischproduktion auf diese Welt hat. Und wenn wir mit unserem Produkt marktreif sind, soll jeder davon profitieren können.

Wie entsteht denn dieses synthetische Fleisch? Reden wir jetzt überhaupt noch von tierischem Fleisch oder eher von einem Ersatzprodukt?
Wir nutzen denselben Wachstumsprozess, der in einem Tier abläuft, nur dass wir diesen Ablauf außerhalb des Tieres nachahmen. Wir umgehen das Tier also und müssen es nicht töten. Denn wir verwenden dieselben tierischen Zellen, die die Muskeln des Tiers bilden und aus denen unser Fleisch aus dem Supermarkt entsteht. Diese Zellen entnehmen wir dem Tier in einem nicht-tödlichen Eingriff, vervielfältigen sie – genau so würden sie es auch im Tier tun – und wandeln sie in Muskelgewebe um, welches dann quasi dem Fleisch aus dem Kühlregal entspricht.

Am Ende wird es sicherlich eine Preisfrage sein. Ihr Burger von 2013 hat ja eine Viertelmillion Euro gekostet…
Wenn man den heute machen würde, wäre es schon billiger. Damals haben wir den Hamburger wirklich in Handarbeit geschaffen. Jede einzelne der insgesamt 20.000 Muskelzellen des Burgers wurde in einer separaten Petrischale hergestellt. Das ist der Grund, warum der Burger so teuer war. Wenn man die aktuelle Technologie nimmt, um ein Kilogramm synthetisches Fleisch zu produzieren, liegt man aktuell schon bei 70 bis 80 Dollar pro Kilo, aber das ist immer noch zu teuer, um als Alternative zum traditionellen Fleisch wettbewerbsfähig zu sein. Eine unserer wichtigsten Aufgaben in den nächsten drei bis vier Jahren ist es also, die Herstellungskosten und damit den Preis zu senken. Das schaffen wir, wenn wir die Produktion hochskalieren. Man darf nicht vergessen, für unser Fleisch nutzen wir eine Technologie aus der Medizin, um Gewebe im Labor zum Beispiel für Operationen zu züchten, und setzen sie für die Massenproduktion ein.

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Der Preis ist in den vergangen drei Jahren also schon gesunken. Ich nehme an, Sie arbeiten nicht mehr mühsam per Hand?
Genau. Wir haben mittlerweile einen kleinen Bioreaktor mit einem Volumen von 1,5 Litern, in dem die Zellen heranwachsen. Darin können wir schon verschiedene Sachen testen und zum Beispiel kleine Fleischbälle züchten. Wir werden Schritt für Schritt vorgehen. Von dem 1,5 Liter Reaktor geht es dann in einen zehn Liter Reaktor. Dort müssen wir dann schauen, ob die Effizienz noch gegeben ist.

Was macht es denn so schwierig künstliches Fleisch zu produzieren?
Wir sind schon ziemlich gut in der Lage, Muskelfasern im Labormaßstab zu produzieren. Wir arbeiten aktuell daran, auch Fettzellen zu züchten. Fettgewebe braucht man im Fleisch für den Geschmack. Das Züchten von Fettzellen im Labor wurde von der Wissenschaft bisher noch nicht viel aufgegriffen. In der medizinischen Forschung wurde zwar bereits viel darüber geforscht, Muskelzellen zu produzieren, um zum Beispiel Organe künstlich zu züchten oder so reparieren zu können. Aber Fettzellen sind im medizinischen Bereich noch nicht von Bedeutung. Es gab nicht viel Literatur zu diesem Prozess. Also haben wir einen eigenen Ansatz entwickelt, den wir weiter testen müssen.

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Dann arbeiten wir dran das Muskelprotein Myoglobin in ausreichendem Mengen herzustellen. Das Protein verleiht dem Fleisch seine typische Farbe und den charakteristischen blutigen Geschmack. Außerdem enthält das Protein Eisen. Eisen ist ebenfalls entscheiden für den Geschmack, den Nährwert und die Farbe des Produkts. Ohne ausreichend Myoglobin ist unser künstliches Fleisch weiß. Da das künstliche Fleisch keine Blutgefäße hat oder an einen Blutkreislauf angebunden ist, müssen wir es ständig mit Sauerstoff versorgen. Diese sauerstoffreiche Umgebung verhindert gleichzeitig die Bildung von Myoglobin.

Ein Vorteil des künstlichen Fleischs soll sein, dass kein Tier mehr für unsere Ernährung sterben muss. Das ist bisher aber noch nicht der Fall in Ihrem Prozess?
Ja, das stimmt. Als Kulturmedium nutzen wir genauso wie andere Unternehmen auf diesem Gebiet fötales Kälberserum, also das Blut von ungeborenen Kälbern. Dieser Ansatz entspricht aber nicht unserer Vision. Wir wollen dieses Serum durch eine pflanzliche Alternative ersetzen, die denselben Zweck erfüllt. Zum Glück forschen nicht nur wir aktuell an vernünftigen Serum-Alternativen, sondern fast der ganze medizinische und pharmazeutische Bereich. Denn das Serum ist teuer und es gibt Qualitätsfragen, auch hinsichtlich gesundheitsrelevanter Probleme. Wir müssen das Serum ersetzten.

Um alle diese Hürden zu nehmen, braucht Ihr Start-up Investoren. Der erste künstliche Burger wurde ja vom Google-Gründer Sergey Brin finanziert. Ist Herr Brin wieder mit an Bord?
Wir stehen immer noch in gutem Kontakt zu Herr Brin. Seine Intention ist es gewesen, der Welt zu zeigen, welche negativen Konsequenzen sich durch die klassische Fleischproduktion ergeben. Im Augenblick sprechen wir aber mit verschiedenen Investoren aus der ganzen Welt, um einen wichtigen Schritt weiterzukommen. Das sind nicht die klassischen Venture-Kapitalisten. Dafür ist unser Ansatz noch zu anfänglich und risikoreich. Wir sind im Gespräch mit Verantwortlichen aus dem Bereich Tierschutz, von Fonds im Besitz von Familien oder aus der Fleischproduktion, die davon überzeugt sind, dass unser Projekt etwas ist, was ihr Geschäft in Zukunft beeinflussen kann. Noch ist es zu früh, um Namen zu nennen.

Wie viel Geld brauchen sie denn?
Wir rechnen mit sechs Millionen Euro, um die Schwelle zur Massenproduktion von künstlichem Fleisch zu erreichen. Mit dem Geld könnten wir Folgendes machen: Zunächst schließen wir die Produktentwicklung im Labor ab. Das heißt, wir sind dann in der Lage Fettzellen und Myoglobin zu produzieren und das unter Produktionsumständen, für die kein Tier mehr sterben muss. Anschließend geht es um die Hochskalierung: Wir wollen die Automatisierung soweit vorantreiben, dass wir  auf der Schwelle zur industriellen Fertigung stehen. Dann muss das Produkt für den Verkauf noch offiziell genehmigt, beziehungsweise freigegeben werden. also den ganzen regulatorischen Prozess mit den Behörden, in der EU und USA. Wir müssen beweisen können, dass der Herstellungsprozess sicher ist. Dieses Genehmigungsverfahren wird etwa 1,5 Jahre dauern.

Wann wird es die ersten kommerziellen Produkte geben?
Wir wollen unsere ersten Produkte in spätestens sechs Jahren an den Markt bringen. An den Markt bringen heißt in diesem Fall: Premium-Produkte für zum Beispiel Restaurants. Und dann wird es sich schrittweise weiterentwickeln, bis der Preis so weit sinkt, dass das künstliche Fleisch seinen Weg in die Supermärkte findet. Unser Traum ist es, dass Mensch es sich leisten könne, Fleisch zu kaufen, für das kein Tier sterben muss. Das wäre ein historischer Moment sein, wenn du etwas Fleisch nennen kannst, das aber außerhalb eines Tieres produziert wurde.

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