Streit um Glyphosat: "Kein Pflanzengift ist harmlos"
Glyphosat ist eines der derzeit am stärksten debattierten Pflanzenschutzmittel.
Foto: FotoliaWirtschaftsWoche: Herr Solecki, derzeit herrscht einige Aufregung um das Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat. Einstmals hatten Agrochemie-Hersteller wie der US- Konzern Monsanto den Unkrautkiller, der jegliche Pflanzen umbringt, als besonders umweltschonend und verträglich für Mensch und Tier gepriesen. Den könne man trinken wie ein Glas Wasser.
Roland Solecki: Ich weiß. Es gab auch Werbeanzeigen, in denen sich jemand ein Pflanzenschutzmittel in den Gummistiefel kippte, um zu dokumentieren, wie harmlos das Mittel sei. Zum Glück ist solche Werbung inzwischen Vergangenheit. Denn natürlich ist kein Pflanzenschutzmittel harmlos.
Wie gefährlich ist Glyphosat?
Das Mittel reizt Schleimhäute und Augen und ist in sehr hoher Dosierung auch sehr gesundheitsschädlich. Dabei reagieren Versuchskaninchen empfindlicher als Ratten und Mäuse. Bei Kaninchen, die pro Kilogramm Körpergewicht 50 Milligramm pro Kilogramm Glyphosat gefüttert bekamen, konnten noch keinerlei Auswirkungen festgestellt werden, ab 100 Milligramm pro Kilogramm beobachteten Forscher schädliche Effekte. Erste Todesfälle sind erst ab einer Dosis von 200 Milligramm pro Kilogramm aufgetreten. Beim Menschen liegt die Dosis deutlich höher.
Woher wissen Sie das, wo doch selbst Kaninchen und Mäuse so unterschiedlich reagieren?
Weil es in Südamerika und Asien Vergiftungsfälle und auch Selbstmorde mit Glyphosat gab. Daraus lässt sich die tödliche Dosis für den Menschen zurück rechnen.
In der Muttermilch von 16 Frauen wurde vor einer Woche in Deutschland ebenfalls Glyphosat gefunden.
Ja, aber diese von den Grünen beauftragte Studie hat mehrere Schwachpunkte. So ist die Methode, die das Labor verwendete, für den Nachweis von Glyhposat in einer fetthaltigen Matrix weder geeignet noch für amtliche Prüfungen zugelassen. Wir nennen das validiert. Der höchste dort angegeben Wert von 0,43 Nanogramm pro Liter – wobei ein Nanogramm ein Milliardstel Gramm ist – liegt unter der Nachweisgrenze, die mit den üblichen und dafür validierten Methoden überhaupt gemessen werden kann. Auch wissen wir nicht, wie diese 16 Frauen ausgewählt wurden – und die Zahl der Untersuchungen ist viel zu klein, um daraus wirklich aussagekräftige Schlüsse zu ziehen. Aber wir gehen dieser Sache nach, haben mit vielen Labors und den zuständigen Landesuntersuchungsämtern Kontakt aufgenommen und werden notfalls eigene Untersuchungen initiieren.
Und wenn die Angaben Studie stimmen?
Dann ist der höchste dort angeblich gemessene Wert so gering, dass wir beim Bundesinstitut für Risikobewertung gemeinsam mit der nationalen Stillkommission davon ausgehen, dass das gesundheitlich völlig unbedenklich ist. Das heißt, ein sechs Kilo schwerer Säugling könnte über einen längeren Zeitraum täglich 1,8 Milligramm Glyphosat aufnehmen, ohne dass es zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung kommt.
Also einige tausend Liter Milch?
Das können Sie selbst ausrechnen.
Für Trinkwasser sind aber nur 0,1 Nanogramm Glyphosat zugelassen. Und über diesem Wert würde die Muttermilch ja deutlich liegen, oder?
Die Vorgabe für das Trinkwasser ist ein reiner Vorsorgewert, der für alle Pflanzenschutzmittel gleichermaßen gilt. Er hat nichts mit dem tatsächlichen Gefahrenpotential einer Substanz zu tun. Die Idee dahinter ist, dass wir so wenig wie möglich biologisch aktiver Substanzen im Wasser haben wollen.
Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat die Gewässer der einzelnen Mitgliedsstaaten getestet. Bewertet wird in dem aktuellen Bericht die Wasserqualität in der vergangenen Badesaison - also von Mai bis September 2015. „Einige der Badeplätze mit schlechter Wasserqualität sind geschlossen worden“, sagt EEA-Experte Peter Kristensen. Von den 21.000 Badeplätzen, die in den EU-Ländern sowie der Schweiz und Albanien geprüft wurden, schnitten 2015 nur 385 schlecht ab. An 9 von 10 Badestellen war die Wasserqualität ausgezeichnet.
Foto: dpaGute Nachricht kurz vor dem Sommer: Ob See, Fluss oder Meer - in Deutschland können Schwimmbegeisterte fast überall bedenkenlos in die Fluten springen. Fast 98 Prozent erfüllen die EU-Mindeststandards, bei einem großen Teil der hierzulande 2292 untersuchten Badeplätzen wird die Wasserqualität sogar als „ausgezeichnet“ eingestuft.
Foto: dpaAllerdings gibt es Ausnahmen. Welche Ursachen die schlechte Wasserqualität an den einzelnen Stellen genau hat, listet der EU-Bericht nicht auf. „Am häufigsten sind schwere Regenfälle und überfließende Kanalisation der Grund“, sagt der EEA-Experte Kristensen. „Im Landesinneren kann es auch daran liegen, dass es viele Gänse oder andere Vögel in der Nähe der Badestellen gibt.“ Deren Kot kann das Wasser verunreinigen, genau wie der von Hunden, die mit ihren Herrchen am Strand unterwegs sind.
Foto: dpaStrandbad Eriskirch
Den Stempel „mangelhaft“ bekamen drei Badeplätze in Baden-Württemberg. Zum einen das Strandbad Eriskirch - dort wird vom Baden abgeraten
Foto: dpaFinsterroter See
Gleiches gilt für den Finsterroter See in Wüstenrot.
Foto: dpaKocherbadebucht in Künzelsau
Auch hier rät die EEA vom Badevergnügen ab.
Foto: dpaBadestelle an der Nied
Im Saarland fiel eine Badestelle an der Nied in Rehlingen-Siersburg durch.
Foto: dpaGlöwitzer Bucht bei Barth
In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die Glöwitzer Bucht bei Barth nur ein mangelhaftes Ergebnis.
Foto: dpaBaden im Ausland
Wen es im Sommer zum Badeurlaub in den Süden zieht, dem sei die Insel Zypern empfohlen. Auch auf Malta, in Griechenland und Kroatien lässt es sich unbesorgt schwimmen und planschen. „In vielen Mittelmeerländern ist die Wasserqualität gut“, sagt Kristensen. Das ist auch deshalb so, weil es in den Sommermonaten nicht viel regnet. „Außerdem ist das Wasser dort häufig tiefer als bei uns im Norden, wo wir viele flache Strände haben.“ Auch das satte Sonnenlicht trage dazu bei, Bakterien den Garaus zu machen.
Beim Glyphosat ist ja genau das Gegenteil der Fall: Knapp eine Million Tonnen dieses Alles-Töters werden inzwischen von Agrochemie-Firmen wie Monsanto, Syngenta oder Dow Chemicals unter Namen wie Roundup, Touchdown, Clinic, GlyphoMAX oder Vorox weltweit verkauft und anschließend auf Feldern und Gärten versprüht. Die Landwirte machen vor der Aussaat Tabula rasa oder spritzen das Getreide damit ab, damit es gleichmäßiger und schneller reift. Und im privaten Gebrauch befreien Hausbesitzer ihre Hofeinfahrt damit von jeglichem Unkraut. Muss das sein?
Wenn in Argentinien die Hälfte aller landwirtschaftlichen Flächen mit Glyphosat vom Flugzeug aus gespritzt wird, entspricht das ganz und gar nicht der guten landwirtschaftlichen Praxis, die in Deutschland und Europa üblich ist. Aber das habe weder ich noch mein Institut zu bewerten. Die Frage, was landwirtschaftlich notwendig ist, müssen und können andere dafür zuständige Institute klären, wir sind rein für die gesundheitlichen Schutz der Verbraucher zuständig. Das ist vor Jahren unter einer grünen Ministerin so veranlasst worden, um uns von Einflüssen der Landwirtschaft oder Chemieunternehmen zu schützen. Und das ist auch gut so.
Und zum Thema Hofeinfahrten: Das ist ein Unding. Denn es ist verboten – schon immer. Dafür war und ist Glyphosat überhaupt nicht zugelassen; und andere Herbizide übrigens auch nicht. Im häuslichen Garten ist Glyphosat allerdings einer der harmlosesten Unkrautvernichter. Wenn Gartenmärkte jetzt damit werben, dass sie Glyphosat für den häuslichen Gebrauch nicht mehr anbieten, greifen die Hobbygärtner womöglich zu viel härteren Mitteln. Das finde ich persönlich alles andere als gut.
Auch bei Schweinen und Kühen führt Glyphosat zu Missbildungen und Krankheiten, sagen einige Fachleute.
Nun ja, bei den Schweinen gibt es nur einen Ferkelzüchter, bei dem das dokumentiert ist. Ob es andere Gründe haben könnte, wurde hier nicht untersucht. Die Sache mit den Kühen nehmen wir sehr ernst und untersuchen das zusammen mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Bisher ließ sich Vermutung, dass Glyphosat die Bakterienzusammensetzung im Magendarmtrakt der Kühe krankhaft verändert, aber nicht belegen.
Um die Verwirrung komplett zu machen, hat vor kurzem eine Agentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Mittel als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft, während eine andere Untergruppe der WHO das nicht tut. Wer soll das verstehen?
Derzeit läuft bei der WHO ein internes Klärungsverfahren, an dem ich auch beteiligt bin und das bis September abgeschlossen sein soll. Tatsächlich gibt es eine Reihe von neuen Langzeitstudien, die dem BfR vorgelegen haben, nicht aber der von Ihnen angesprochenen WHO-Agentur, der International Agency for Research on Cancer. Darunter sind auch solche, die mit einem Vielfachen der tödlichen Dosis von 200 Milligramm in die Tierversuche gingen, das halte ich unter Tierschutzgesichtspunkten für einen Skandal. In einigen dieser Studien entwickelten Tiere oberhalb der üblichen Limitdosierung von 1000 Milligramm pro Kilogramm einige Tumore, die in anderen Studien nicht reproduziert werden konnten.
Wie wird die Sache ausgehen? Könnte es sein, dass Glyphosat verboten wird?
Der Prozess der Bewertung ist im Fluss. Wie die Klärung ausgeht, kann ich nicht sagen. Aber das Ergebnis dieser Klärung wird die europäische Lebensmittelbehörde in einen Bericht mit aufnehmen, den sie der europäischen Kommission bis Ende des Jahres vorlegt. Denn dann muss die Kommission – wie bei vielen weiteren Pflanzenschutzmitteln – darüber entscheiden, ob Glyphosat eine weitere, wie immer zeitlich begrenzte Zulassung erhält.