Die Riverstar tuckert friedlich über den Rhein. Kein Sturm peitscht übers Deck, kein Wellenschlag bringt das Boot ins Wanken, und dennoch gibt es an diesem Abend Ende Mai nur ein Thema an Bord des Ausflugdampfers: den Untergang eines Mannes; die private Insolvenz des früheren Starmanagers Thomas Middelhoff. Nach langem Hin und Her hat das Amtsgericht Bielefeld inzwischen das Insolvenzverfahren gegen den früheren Top-Manager eröffnet.
Die rund 70 Passagiere der Riverstar sind Juristen, die tagsüber Lektionen zu den jüngsten Änderungen im Insolvenzrecht gepaukt haben. Abends auf dem Dampfer werten sie bei Saté-Spießen und Bier Middelhoffs Pleitefall aus. Unter ihnen steht ein Veteran der Insolvenzverwalterzunft. Das Altbier in der Rechten, die Abendsonne im Nacken sinniert er über Middelhoffs Finanz-Fiasko. Klar, der Fall sei heftig. Aber das Ende? Der Insolvenzverwalter zieht seine Augenbrauen zusammen: „Ach was“, es gebe da noch Möglichkeiten, „um aus der Nummer rauszukommen“. Andere prominente Pleitiers hätten es vorexerziert.
Wie heute bei Middelhoff schien auch bei einstmals klammen Kapitalgrößen wie dem früheren Wunderkind Lars Windhorst, Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz oder dem Shampoo- und Seifenkönig a. D. Anton Schlecker der Zusammenbruch ihrer Unternehmen schnurstracks in den persönlichen Ruin zu führen. Passiert aber ist wenig. Der Setzkasten des Gesellschafts- und Insolvenzrechts hält reichlich Möglichkeiten parat, das Inkasso der Gläubiger zu erschweren, die Schuldenlast über Deals in Monaten statt Jahren abzuschütteln oder – zur größten Not – die private Pleite in der eigenen Villa auszusitzen.
Nach Privatinsolvenz wohnt Schlecker noch in Villa
Eine kleine Gruppe hochkarätiger Wirtschaftsanwälte hat sich auf derlei Fälle spezialisiert. Asset Protection, Vermögensschutz, nennt sich ihre Disziplin. Oder weniger hochtrabend: Schuldnerberatung. Was nach Schicksalbewältigung im örtlichen Caritas-Büro klingt, ist in Wahrheit das Turnierfeld hoch bezahlter Spezialisten. Sie kennen die Tricks, um den Weg vom Millionär zum Tellerwäscher zu verhindern. Tricks, die allem Anschein nach auch Middelhoff helfen könnten, seinen Privatgläubigern zu entkommen.
Stuttgart, Allianz-Hochhaus, zehnte Etage: Alle paar Tage nehmen im Besprechungsraum „Frankfurt“ der Kanzlei Grub Brugger Unternehmer Platz, denen die Gläubiger im Nacken sitzen. Sie bewundern meist artig das Panorama hinter der Fensterfront und die goldgerahmten Ölporträts an den Wänden, bevor sie Anwalt Volker Muschalle oder Kanzleivorsteher Volker Grub vom drohenden Kollaps berichten. Die Stuttgarter sind bekannt für ihre Pleitenexpertise, spätestens seit sie bei der Schlecker-Havarie für den Drogistenclan im Einsatz waren.
Kernproblem damals: Schlecker hatte sein Milliardenimperium nicht als Aktiengesellschaft oder GmbH geführt, sondern als Einzelkaufmann. Damit gab es keine Grenzen zwischen Privat- und Firmenvermögen. Schleckers Insolvenz war unvermeidbar. Muschalle und seinen Kanzleikollegen gelang es jedoch, das Warten auf die Restschuldbefreiung – sprich: den kompletten Schuldenerlass nach sechs Jahren – angenehm zu gestalten. Nach wie vor residiert der Milliardenpleitier in seiner Ehinger Villa. Und selbst in der gläsernen Schlecker-Zentrale wurde der Patron bis vor Kurzem regelmäßig gesichtet.
"Es gibt keine Sippenhaft für Schulden"
Schleckers Rettung: Gattin Christa. Sie war ebenfalls im Unternehmen tätig, hatte über die Jahre gut verdient und sich gemeinsam mit den Kindern Lars und Meike an separaten Unternehmen beteiligt. Ihr Vermögen und das der Kinder waren für die Gläubiger tabu. „Es gibt keine Sippenhaft für Schulden“, sagt Muschalle. „Die Angst, dass Gläubiger das Vermögen des Ehepartners pfänden könnten, ist unbegründet.“
Die besten Zitate von und über Thomas Middelhoff
Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff musste sich einem knappes halbes Jahr vor dem Essener Landgericht wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Eine Übersicht von Zitaten rund um die Ereignisse der vergangenen Monate.
„Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.“
(Middelhoff über seine filmreife Flucht vor Fotografen nach einem Termin bei einem Gerichtsvollzieher in Essen Ende Juli, bei dem er seine Vermögensverhältnisse hatte offenlegen müssen)
„Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
(Middelhoff zu Pfändungsversuchen von Gläubigern am Rande seines Untreue-Prozesses vor dem Essener Landgericht)
„Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
(Middelhoffs Gattin Cornelie Middelhoff als Zeugin vor Gericht zur Arbeitsbelastung ihres Mannes)
„Das war ein fliegendes Büro für ihn.“
(Ein früherer Mitarbeiter Middelhoffs als Zeuge vor Gericht zu den umstrittenen Charterflügen seines Ex-Chefs)
„Stau war das Schlimmste für ihn.“
(Der langjährige Fahrer des Managers als Zeuge vor Gericht)
„Mir und meiner unternehmerischen Tätigkeit ist großer Schaden zugefügt worden.“
(Middelhoff zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn, die er als „uferlos“ und „unverhältnismäßig“ empfindet)
„Ich habe mich nie als Controllerin meines Chefs gesehen.“
(Eine ehemalige Sekretärin des Managers, die sagte, sie habe Middelhoffs Entscheidungen als „gottgegeben“ hingenommen.)
Aus dem Fundus konnte der Anwalt schöpfen. Mit Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz handelte er einen Deal über 10,1 Millionen Euro aus. Der Clan kaufte das Ehinger Anwesen zurück und überzeugte Geiwitz davon, allerlei Rückforderungsansprüche ad acta zu legen. Anschließend mietete die familieneigene Immobiliengesellschaft das Büro im obersten Stockwerk der Zentrale zurück.