Büroansturm bleibt aus Diese Daten zeigen die Auswirkungen der Homeofficepflicht

Füllen sich die Büros nun wieder, wo die Homeofficepflicht Geschichte ist? Quelle: imago images

Die erste Arbeitswoche ohne Homeofficepflicht ist vorbei – und eine Frage bleibt: Füllen sich die Büros jetzt wieder? Exklusive Zahlen zur Büroauslastung liefern Antworten – und Überraschungen.

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Bei Markus Merkle brennt seit ein paar Wochen die Hütte. So zumindest fasst der Chef der Flexopus GmbH den Kundenansturm auf sein junges Stuttgarter Unternehmen zusammen. Merkle und seine Kollegen bieten eine Software, um die sich aktuell zahlreiche Firmen reißen: eine Anwendung fürs Desksharing. Die Beschäftigten können sich bei Flexopus ihren Lieblingsschreibtisch buchen. Die Firmen wollen mit dem Desksharing langfristig Flächen abbauen, die Mitarbeiter teilen sich die Schreibtische. Und das will organisiert werden. Am liebsten unkompliziert per App. Wer zuerst bucht, sitzt zuerst.

Verantwortlich für den Kundenansturm bei Flexopus ist vor allem die Politik. „Seit die Bundesregierung Mitte Februar angekündigt hat, dass die Homeofficepflicht auslaufen soll, sind gut 35 Prozent mehr Nutzer auf unserer Webseite unterwegs als noch vor der Ankündigung“, sagt Merkle. Und: „Wir erhalten auch ungefähr 35 Prozent mehr Kundenanfragen als zuvor.“ Am 20. März, dem so häufig zitierten Freedom Day, lief die Homeofficepflicht aus. Sie forderte Unternehmen auf, die Belegschaft, wenn irgend möglich, ins Homeoffice zu schicken.

Um die aktuelle Situation in den Büros einzuschätzen, sind Anwendungen wie die von Flexopus hervorragende Gradmesser. In den Softwares lassen sich diverse Daten auslesen: Wie viele Kollegen kommen wirklich ins Büro? Und an welchen Wochentagen bleiben sie am liebsten daheim? Die Zahlen beantworten so eine grundlegende Frage, die gerade Beschäftigte und Arbeitgeber in der Republik umtreibt: Strömen nun wirklich mehr Menschen trotz hoher Infektionszahlen ins Büro, weil eine gesetzliche Pflicht ausgelaufen ist?

Aus dem Ansturm wird ein Anstürmchen

von Jan Guldner, Dominik Reintjes

„Wir erkennen in unseren Daten keinen Ansturm auf das Büro“, sagt Merkle. An den ersten drei Tagen nach der Homeofficeplicht – also vom 21. bis 23. März – lag die Anzahl der Bürostunden der Nutzer demnach nur um 0,2 Prozent höher als in der Vorwoche, als die Pflicht also noch galt. Für die WirtschaftsWoche hat Flexopus die Daten von 500 Unternehmen und rund 100.000 Nutzern aggregiert. „Vor allem große Konzerne behalten ihre strikte Regelung bei, dass alle Mitarbeiter, die es können, weiterhin Homeoffice machen“, berichtet Merkle. Aber, auch das betont Merkle, die Unternehmen bereiten sich gerade auf eine schrittweise Rückkehr vor. Der Ansturm im Büro wird jedoch wohl eher ein Anstürmchen: Aus den Zahlen von Flexopus geht hervor, dass die Unternehmen mehr Fläche in den Büros für das Desksharing freigeben. Werden Schreibtische nicht genutzt, kann der Arbeitgeber sie in der App sperren. Die Mitarbeiter können sie dann nicht buchen. Wird der Ansturm größer, geben die Firmen Flächen frei – und eben das tun sie aktuell. „Aktuell ist nur noch ein Viertel der Arbeitsfläche gesperrt, vor vier Wochen waren es noch 30 Prozent“, sagt Merkle.

Zwar sind die Werte nicht repräsentativ für die Breite der Unternehmenslandschaft, da nicht Firmen aus allen Branchen bei Desksharing-Anbietern registriert sind. Merkle zählt etwa Unternehmen wie die AOK und Fritz-Kola zu seinen Kunden. Außerdem gehen die Daten davon aus, dass ein Mitarbeiter nur ins Büro kommt, wenn er auch wirklich über die App gebucht hat. Und trotzdem liefern sie eine spannende Inneneinsicht in deutsche Büros, die sonst kaum zu erhalten ist. Die Werte beruhen nicht auf Umfragen, bei denen Unternehmen und Beschäftigte einschätzen, wie häufig sie wohl in den nächsten Monaten ins Büro pilgern werden, sondern kommen dem tatsächlichen Verhalten der Beschäftigten nahe.

Doch die Flexopus-Zahlen decken sich nicht völlig mit dem, was andere Anbieter beobachten. So geht aus den Zahlen des Anbieters Deskbird geht hervor, dass das Auslaufen der Pflicht sehr wohl einen Effekt auf die Auslastung in den Büros haben könnte: An den ersten drei Tagen nach der Homeofficepflicht verbrachten die Nutzer von Deskbird durchschnittlich etwas mehr als einen Tag (1,04) im Büro. An den ersten drei Tagen der Vorwochen waren es hingegen bloß 0,64 Bürotage (7. bis 9. März) und 0,79 Tage (14. bis 16. März).

Tatsächlich stieg die Büroauslastung bei den Kunden von Deskbird schon in den letzten Wochen stark an: Während die Mitarbeiter im Januar und Februar weniger als 20 Prozent ihrer Arbeitszeit im Büro verbrachten, lag dieser Wert in den ersten drei Märzwochen bereits bei 29,4 Prozent.

Die Daten beruhen auf dem Verhalten der rund 10.000 deutschen Nutzer des Start-ups. Deskbird sitzt zwar in der Schweiz, arbeitet allerdings mit vielen deutschen Kunden zusammen. Mitgründer und Geschäftsführer Ivan Cossu zählt etwa das fränkische Baustoff-Unternehmen Knauf oder das Logistik-Start-up Forto, das mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar bewertet wird, zum Kundenstamm. Selbst die größten Kunden, sagt Cossu, würden manchmal mit einem Team von 30 bis 40 Mitarbeitern auf der Plattform starten. „Um Desksharing erst mal kennenzulernen.“ Bewährt sich das System, „erhöhen sie die Zahl der Nutzer schnell auf mehrere Hundert oder Tausend“, sagt Cossu.

Zwar darf er nicht jeden Namen seiner Kunden öffentlich nennen. So viel verrät er aber: „Wir arbeiten mit Dax-Konzernen zusammen und wissen von ihnen, dass sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren ihre Büroflächen drastisch reduzieren werden, teilweise mieten sie 40 Prozent ihrer gesamten Fläche ab.“ Auch Markus Merkle von Flexopus sagt: „Viele unserer Kunden haben langlaufende Mietverträge, die enden erst in fünf oder zehn Jahren.“ Laufen die Verträge aus, so schätzt Merkle, geben die Unternehmen auch im großen Stil Flächen auf.



Solche Einschätzungen decken sich mit den Beobachtungen von Daniel Erdsiek, Forscher am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. In den vergangenen Monaten hat Erdsiek immer wieder Unternehmen dazu befragt, wie häufig ihre Mitarbeiter ins Büro kommen. Seine Daten sind tatsächlich repräsentativ. „Wir verzeichnen seit dem Beginn unserer Befragung einen deutlichen Homeoffice-Schub“, sagt Erdsiek. Zu Beginn hätten die Unternehmen notgedrungen mit der Arbeit von zu Hause experimentieren müssen. „Und aus heutiger Sicht können wir sagen: Das Experiment Homeoffice ist in den meisten Fällen geglückt, Belegschaft und Arbeitgeber zeigen sich zufrieden.“

Erdsiek und seine Kollegen befragen die Unternehmen auch gezielt zu ihren Homeoffice-Plänen für eine Zeit nach der Pandemie. Im verarbeitenden Gewerbe planten im Januar 2022 fast die Hälfte der Firmen, ihren Mitarbeitern auch nach der Pandemie mindestens einen Homeofficetag in der Woche zu ermöglichen. Das ist eine Steigerung von zwölf Prozentpunkten im Vergleich zum Juni 2020. Vor der Pandemie bot nur jedes vierte Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe mindestens einen Homeofficetag pro Woche an. Zwar können bei den industriell geprägten Firmen viele Mitarbeiter aus der Produktion nicht von zu Hause aus arbeiten, so Erdsiek. Aber: „Wir sehen, dass sich auch in produzierenden Betrieben Jobs in der Verwaltung etwa zu einem gewissen Teil ins Homeoffice verlagern.“



Mehr als drei Viertel der Firmen, die das ZEW der Informationswirtschaft zuordnet, also etwa IT-Firmen, Beratungen oder Anwaltskanzleien, planten bei der jüngsten Umfragewelle im Januar, auch nach der Pandemie Homeoffice zu ermöglichen. Vor dem Corona-Ausbruch taten das bereits 48 Prozent. Vor allem bei den Unternehmen mit mehr als 100 Unternehmen zeigt sich, dass ein Großteil der Firmen aus der Informationswirtschaft mit hybriden Modellen plant (siehe Grafik oben). Sie gehen davon aus, dass 30 Prozent der Belegschaft nach der Pandemie nie oder nur selten Homeoffice macht. Der größte Teil der Belegschaft würde hingegen an zwei oder drei Tagen die Woche Homeoffice machen. Die Planung der Firmen aus dem verarbeitenden Gewerbe fällt anders aus: 68 Prozent der Mitarbeiter werden nie oder nur selten Homeoffice machen, schätzen die Unternehmen. Jeweils elf Prozent würden wohl einen oder auch zwei Tage von zu Hause aus arbeiten.

Erdsiek traut sich auf Grundlage seiner Daten zwar keine Prognose zu, welchen Effekt die ausgelaufene Homeofficepflicht nun wirklich in den kommenden Wochen haben wird. Schließlich ist die Situation auch nicht mit vorigen Befragungswellen vergleichbar: Zwar sind die Infektionszahlen auf den ersten Blick auf einem viel dramatischeren Niveau als in den letzten zwei Jahren. Doch die Impfquote ist höher, die Omikron-Variante weniger gefährlich als ihre Vorgänger. Erdsiek sagt: „Ich denke, dass viele Führungskräfte und Beschäftigte das Ende der Homeofficepflicht jetzt nicht mit einer wieder in Kraft getretenen Büropflicht gleichsetzen.“

Mehr zum Thema: Bei der Rückkehr ins Büro wird vielen Beschäftigten etwas fehlen: der eigene Schreibtisch. Desksharing soll Kosten sparen und Kollaboration fördern. Doch die Umsetzung ist komplizierter, als es scheint.

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