Die Aufgabenliste ist gut gefüllt, der Frühstückstisch auch. Warum also sich beeilen, wenn man seine Termine selbst einteilen kann? Ein Trugschluss, der so manchen Heimarbeiter ins Chaos stürzt. „Wer regelmäßig im Home-Office arbeiten will, braucht eine gewisse persönliche Reife“, sagt Beraterin Hofert. „Selbstführung ist die Grundvoraussetzung, damit das Arbeiten außerhalb des Büros funktioniert.“
Das musste vor einigen Monaten auch Anna Milaknis erkennen. Die Beraterin und Gründerin arbeitet oft von zu Hause. Um ihre To-do-Listen besser in den Griff zu bekommen, verabredete sie sich täglich mit ihrer Schwester zum Telefonat. Erzählte ihr morgens, was sie bis abends vorhatte, und abends, was sie tatsächlich geschafft hat. Ihre Schwester wurde zur Kontrollinstanz.
Weil das so gut klappte, entwickelt Milaknis daraus derzeit eine Geschäftsidee. Mit ihrem Start-up Frog List will sie sogenannte Work-Buddies für tägliche Kontrolltelefonate vermitteln. Wer mitmachen will, muss einen Fragebogen ausfüllen, anschließend sucht sie in einer Datenbank den passenden Partner – je nach Tätigkeit und Charakter.
Zwar steht das Start-up noch am Anfang, die Idee halten aber auch Experten wie Josephine Hofmann vom IAO grundsätzlich für interessant. „Es ist sicherlich hilfreich, einen Sparringspartner zu haben“, sagt die Wissenschaftlerin. Das müsse allerdings freiwillig geschehen. „Sobald solche Tandems von den Vorgesetzten eingerichtet werden, verlieren sie ihre Wirkung.“
Home-Office hilft bei der Vereinbarkeit wenig
Vor einigen Monaten war live im Fernsehen zu bestaunen, wie schwierig die Trennung von Job und Familie im Home-Office tatsächlich ist. Robert Kelly, Professor an der südkoreanischen Pusan-National-Universität, war der BBC für ein Interview zugeschaltet. Plötzlich tanzte seine gut gelaunte vierjährige Tochter ins Arbeitszimmer, nur wenige Sekunden später folgte ein Baby im Lauflernwagen. Kelly, sichtlich bemüht, die Konzentration zu wahren, wurde wenig später von seiner hastig hereinstürmenden Frau erlöst, die die Kinder hinauszerrte.
Tatsächlich bringt die Arbeit in den eigenen vier Wänden die Work-Life-Balance bisweilen aus dem Gleichgewicht. Eine aktuelle Studie der International Labour Organization (ILO) zeigt: Während nur 29 Prozent der Büroarbeiter unter Schlafstörungen leiden, sind es bei den mobilen Mitarbeitern und denjenigen, die von zu Hause arbeiten, 42 Prozent. Auch ihr Stresspegel liegt der Untersuchung zufolge deutlich höher.
Homeoffice: 10 Regeln für Arbeitnehmer
Feierabend und Ferien gelten auch bei flexiblen Arbeitsplatzmodellen.
Feierabend, Wochenende, Urlaube und Krankschreibungen gelten auch bei flexiblen Arbeitsplätzen und sollten respektiert werden. Wer keine klaren Grenzen setzt, darf sich nicht wundern, wenn die Kollegen darauf keine Rücksicht nehmen. Mitarbeiter müssen Eigenverantwortung für ihre Zeiteinteilung übernehmen und Überlastung frühzeitig signalisieren.
Eigene Eignung für flexible Arbeitsmodelle kritisch überprüfen.
Nicht jeder eignet sich für flexible Arbeitsmodelle. Mitarbeiter, die diese Möglichkeiten austesten, müssen ehrlich zu sich selbst und ihrem Arbeitgeber sein. Wer sich zu Hause schnell ablenken lässt oder den regelmäßigen Austausch mit Kollegen benötigt, wird sich damit eher schwer tun. Ebenso können beispielsweise persönliche Rahmenbedingungen wie ein lautes Umfeld für unliebsame Störungen sorgen. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Arbeit, sondern auch auf das eigene Wohlbefinden und die Motivation aus.
Auch bei flexiblen Arbeitsplatzmodelle hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf ständige Rufbereitschaft.
Eine ständige Rufbereitschaft ist nicht nötig und sogar kontraproduktiv. Auch im Home-Office müssen ungestörte Phasen für konzentriertes Arbeiten eingeplant werden, um effektiv Aufgaben zu erledigen. Eine permanente Erreichbarkeit erzeugt nicht nur zusätzlichen Stress, sondern führt durch Ablenkungen auch zu schlechten Ergebnissen. Mitarbeiter im Home-Office müssen deshalb ihre Bedürfnisse klar und offen äußern können.
Der Mitarbeiter muss unternehmerischer denken.
Jeder Arbeitnehmer im virtuellen Office ist dem Arbeitgeber und seinen Kollegen gegenüber verantwortlich. Flexible Arbeitsmodelle entbinden den Mitarbeiter nicht von seinen Aufgaben. Durch eindeutige Zielvorgaben werden Aufgaben klar definiert und für alle Beteiligten messbar.
Flexible Arbeitsmodelle sind kein Abstellgleis, aber sie erfordern mehr Durchsetzungswillen.
Mitarbeiter, die flexibel oder in Teilzeit arbeiten, werden häufig nicht als Leistungsträger gesehen. Hingegen gelten die ständig anwesenden Kollegen als Top-Performer, die „hart arbeiten“. Um dies zu ändern, muss der flexible Mitarbeiter mehr Durchsetzungswillen und Präsenz gegenüber seinen Vorgesetzen zeigen. Regelmäßige Feedbackgespräche verhindern eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Mitarbeiter, die flexibel arbeiten, sollten Maßnahmen zur Weiterbildung einfordern. Oftmals ist hier mehr Nachdruck nötig als bei jemandem, der vor Ort im Büro arbeitet.
Die eigenen Aufgaben, Prozesse und Termine klar kommunizieren.
Eine enge Abstimmung mit Kollegen und Vorgesetzten erleichtert die Kommunikation und sorgt für Verständnis. Wenn für die Kollegen nachvollziehbar ist, wo sich der Kollege gerade aufhält und mit welchen Aufgaben er beschäftigt ist, wächst das Vertrauen. Stundensplittings (z.B. am Nachmittag drei freie Stunden für die Kinder), Mittagspausen und externe Termine sollten daher klar kommuniziert werden. So geht man Missverständnissen und Gerüchten aus dem Weg. Moderne IT kann dabei eine wichtige Hilfestellung sein. Unified Communication-Systeme zeigen an, wann und wie man erreichbar ist.
Der Arbeitsrhythmus sollte an die eigene Produktivität und die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden, ohne dabei die Prozesse im Team zu missachten.
Studien zeigen, dass die Produktivität dann am höchsten ist, wenn zwischen zwei und zweieinhalb Tagen im Home-Office gearbeitet und der Rest der Woche für Tätigkeiten und Abstimmungen im Büro genutzt wird. Auch die eigenen Produktivitätszyklen können bei flexiblen Arbeitsmodellen stärker berücksichtigt werden. So arbeiten manche Menschen früh morgens am besten, andere eher am Abend. Aber das erfordert auch Abstimmung: Die Kollegen müssen wissen, wann man erreichbar ist.
Networking ist Pflicht: Die virtuelle Präsenz entbindet den Mitarbeiter nicht von seinen Aufgaben als Teammitglied, dazu zählen nicht nur die reinen Jobkriterien, sondern auch die Sozialkompetenz.
Der Austausch mit den Kollegen sollte sich nicht nur auf das fachliche beschränken. Freundlichkeit, Offenheit, Aufmerksamkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft dienen nicht nur dem eigenen Wohlbefinden, sondern unterstützen das ganze Team. Nur in einem Umfeld aus Miteinander und Vertrauen lassen sich virtuelle Teams erfolgreich umsetzen.
Bei virtuellen Teams ist Wissensmanagement mit einem eindeutigen Ablagesystem Pflicht.
Die systematische Speicherung und Aufbereitung von Wissen erleichtert die Arbeit und die Kommunikation in virtuellen Teams. Der aktuelle Stand von Unterlagen muss zentral – die Cloud macht es möglich – abgelegt werden. Alle relevanten Mitarbeiter brauchen Zugriff auf die Ordner. Diese Systeme sichern die Freizeit, denn nur Kollegen, die Zugriff auf alle Unterlagen haben, können auch bei Bedarf füreinander einspringen.
Flexible Arbeitsmodelle verlangen ein hohes Maß an Selbstorganisation.
Wer in flexiblen Arbeitsmodellen arbeitet, muss sich auch zuhause ein produktives Umfeld schaffen (Raum, Technik, Rahmenbedingungen) Um in flexiblen Arbeitsmodellen erfolgreich zu arbeiten, müssen sich Mitarbeiter mit ihren eigenen Stärken und Schwächen auseinandersetzen: Wer gut organisiert und diszipliniert ist, wird in solchen Strukturen bessere Leistungen erzielen.
„Viele vergessen, dass die Absprache mit der Familie genauso wichtig ist wie die mit dem Arbeitgeber“, sagt Karriereberaterin Hofert. Denn während viele Arbeitnehmer im Homeoffice mittlerweile mit ihren Vorgesetzten vereinbaren, zu welchen Zeiten sie erreichbar sind, gibt es für die Familienmitglieder nur selten feste Regeln. Auch dem Partner und den Kindern muss klar sein: Arbeiten von zu Hause ist kein Privatvergnügen, Störungen sind unangebracht. Nur dann funktioniert die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben.
Forscherin Hofmann begleitete vor einigen Jahren eine Gruppe im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium, die ein halbes Jahr im Homeoffice arbeitete. Das Ergebnis: Die Männer fanden es toll, mit ihren Kindern Mittag zu essen. Die Frauen hingegen beklagten, durch das Homeoffice wieder fürs Kochen verantwortlich zu sein. „Auch dafür braucht es klare Absprachen“, sagt Hofmann. „Machen Sie Ihrem Partner klar: Nur weil Sie zu Hause arbeiten, sind Sie nicht für den Haushalt verantwortlich.“