Impostor-Phänomen Wenn Erfolg sich wie Hochstapelei anfühlt

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Erfolg zu genießen kann man lernen

Wie ist die Arbeit der Over-Doer qualitativ? Ist sie wirklich so perfekt?
Studien zum Perfektionismus im Arbeitskontext weisen darauf hin, dass das überhaupt nicht gut ist. Es ist wie eine Selbstzensur. Man traut sich nicht, Sachen zu sagen, die noch nicht gesagt wurden. Man verliert sich in Details und hat Angst, neue Konzepte vorzustellen. Perfektionismus ist also schlecht für strategische oder kreative Arbeiten. Aber auch für die betroffene Person selbst ist es nicht gut, denn sie macht sich ja selbst fertig damit.

Was sollten Vorgesetzte tun, die erkennen, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin am Impostor-Phänomen leidet und unter seinen oder ihren Möglichkeiten bleibt?
Aus den Studien, die bis jetzt über IP im Arbeitskontext erstellt wurden, ergibt sich, dass Mentoring und Coaching hilft. Am besten mit einer Person, die nicht innerhalb des Betriebs arbeitet. Firmen müssen aber auch selbstkritisch sein und sich mal ansehen, wie intern mit Fehlern und Scheitern umgegangen wird. Wir haben in Deutschland keine gute Fehlerkultur. Wir fangen gerade erst an, die Vorteile von Scheitern zu erkennen. Aber wir sind sehr darauf bedacht, bloß keine Fehler zu machen aus Angst, dass wir dann entlassen werden oder blöd dastehen.

Macht die Fixierung auf Erfolg uns alle zu Hochstaplern oder welchen, die sich für solche halten? Hat womöglich erst die moderne Arbeitswelt das Impostor-Phänomen zur Blüte gebracht?
Es gibt Aufzeichnungen und Zitate von Agatha Christie, John Steinbeck oder Albert Einstein, aus denen man rauslesen kann, dass es kein neues Gefühl ist. Ich glaube aber, dass durch die internationale Vergleichbarkeit, durch wachsenden Druck auf dem Arbeitsmarkt, durch mangelnde Fehlerkultur ein guter Nährboden bereitet wird.

Sie sprechen in Ihrem Buch noch eine Gruppe von Menschen an, die vor diesem Hintergrund besonders skurril erscheint: Die falschen Hochstapler, die nur so tun, als wären sie vom Impostor-Phänomen gebeutelt. Wie kann man sie erkennen?
Eine Forschungsgruppe der Uni Frankfurt hat einen neuen Typus entdeckt, den strategischen Impostor. Das sind Leute, die tief drinnen gar nicht glauben, dass sie nicht kompetent seien. Sie haben aber sehr wohl Angst. Sie wählen das Impostor-Verhalten unterbewusst als Strategie, um im Falle eines Versagens das schlimme Gefühl abzumildern. Diese Leute sind keine kaltblütigen Lügner, sondern wenden eine Strategie an, die sie sich irgendwann mal angewöhnt haben. Generell kann man Impostor-Menschen von außen nur sehr schwer identifizieren – egal ob strategisch oder nicht.

Warum Perfektionismus schadet
Perfektionisten erbringen schlechtere LeistungenJeder Anforderung gerecht zu werden, ist der Wunsch vieler Menschen. Doch wer sich permanent hohe Ziele im Alltag steckt, riskiert psychischen schaden. Das stete Streben nach 110 Prozent ist eher kontraproduktiv - denn Perfektionismus schlägt schnell in Frustration um. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitäten von York, Toronto und Winnipeg. Das Ergebnis: Perfektionisten bringen keine besseren Leistungen, neigen dafür aber schneller zum Workaholismus. Quelle: dpa
Perfektionismus macht depressivGefährlich wird Perfektionismus vor allem dann, wenn Betroffene an den eigenen Ansprüchen Scheitern. Wer das nur schwer wegsteckt, wird schnell unmotiviert und depressiv. Die Folgen von übertriebenem Perfektionismus können sogar zu Essstörungen oder zu Selbstmord führen. Zu diesem Ergebnis kam eine britische Studie. Laut der Forschergruppe stellten mehr als 70 Prozent der jungen Männer, die Selbstmord begingen, extrem hohe Ansprüche an sich selber und neigten zum Perfektionismus. Quelle: dpa
Perfektionisten haben BindungsängstePerfektionismus wirkt wie ein „Schutzschild“. Wer alle Handlungen kontrolliert, will unverletzlich sein. Tatsächlich haben Perfektionisten aber Probleme, mit anderen Personen in Kontakt zu treten und langfristige Bindungen aufrecht zu erhalten. Das zeigt eine Studie von Shauna Springer. Sie fand heraus, dass Perfektionisten nicht nur Angst vor dem Scheitern haben, sondern sich zudem ungern verletzlich zeigen. Stattdessen haben sie das Gefühl, dauerhaft stark sein und ihre Emotionen kontrollieren zu müssen. Quelle: dpa
Perfektionismus macht schlechte LaunePerfektionisten sitzen gewissermaßen in der Falle. Auf der einen Seite genießen Sie Ansehen, weil sie meist gute Leistungen erbringen. Auf der anderen Seite haben sie das Unglücklichsein praktisch gepachtet. Wer dauerhaft hohe Ansprüche an sich selbst stellt, kann gar nicht anders als Scheitern. Eine Studie von Danielle Molnar von der Brock Universität in Kanada beweist: Das macht schlechte Laune. Alles muss stimmen, ein zweiter Platz gleicht einem Misserfolg und die Freiheit des Mittelmaßes einer Bedrohung. Quelle: AP
Perfektionisten leiden an Aufschieberitis Je höher die Ansprüche, die ein Perfektionist an sich stellt, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass er hin und wieder scheitert. Laut der Psychologen Rist und Engberding von der Universität Münster kann das dazu führen, dass Personen, die alles perfekt machen wollen, Aufgaben über lange Zeiträume hinweg aufschieben. Sie resignieren, weil Fehler offenbar nicht vermieden werden können. Quelle: dpa
Perfektionismus führt zu StressDauerhaft perfekt sein – das ist anstrengend. Eine Studie von Paul Hewitt und Gordon Flett zeigt, dass Perfektionismus das Stresslevel erhöht. Wer hohe Ansprüche an sich selber stellt, setzt sich damit automatisch selber unter Druck – und verringert so seine Leistungsfähigkeit,  anstatt sie zu erhöhen. Quelle: dpa
Perfektionismus schadet der GesundheitWer perfektionistisch ist, fragt selten um Hilfe. Denn er will alle Aufgaben bestmöglich erledigen und ist überzeugt davon, dass nur er alleine das kann. Danielle Molnar befragte 500 Erwachsene zwischen 24 und 35 Jahren zu ihrem Gesundheitszustand. Das Ergebnis: Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus leiden öfter an Krankheiten, melden sich häufiger auf der Arbeit krank und gehen regelmäßiger zum Doktor. Quelle: dpa

Kann ein Impostor lernen, Erfolg zu genießen und sich zu sagen: Ja, das habe ich allein geschafft?
Ja, das geht. Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. In dem Moment, in dem man sich bewusst wird, dass diese Muster bei einem selbst auftreten, kann man mit den eigenen Verhaltensweisen anders umgehen. Achtsamkeit ist ein ganz wichtiger Punkt, auch wenn das manchen Menschen in der Wirtschaft zu esoterisch ist.

Und dann?
Man kann in schlimmen Fällen eine Therapie machen oder sich einen Coach holen. Zunächst aber ist es wichtig, sich einfach damit auseinanderzusetzen und zu den Wurzeln zu kommen. Die liegen bei jedem von uns individuell woanders. Und dann heißt es üben. Es geht nicht von heute auf morgen weg, denn es kam auch nicht über Nacht. Und dann sind wir natürlich alle gefragt, unser Konzept von Fehlern und Scheitern zu hinterfragen und mit uns und auch mit anderen nicht so streng zu sein.

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