Mehr Erfolg mit Englisch
Die Solidarität mit der Ukraine findet vor allem auf Englisch statt Quelle: imago images

Stell Dir vor es ist Krieg – und (fast) alle sprechen Englisch

Ertappen Sie sich auch beim „Doomscrolling“? Wie übersetzt man „Zeitenwende“ oder „die Bundeswehr steht blank da“? Was meinte Joe Biden mit „premeditated war“? Und warum spricht man nicht mehr von „the Ukraine“?

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Obwohl wir Zeiten erleben, in denen ich bedauere weder Ukrainisch zu verstehen noch Russisch zu sprechen, bleibt Englisch die Leitsprache auch dieser Weltkrise – the language of record.

Das gilt zunächst für die Übersetzungen vieler Statements, die entweder aus Moskau oder aus Kiew und anderen Teilen der Ukraine kommen. Im ersten Fall sind es meistens Beschwichtigungen und Verharmlosungen – the Russian government tries to placate everyone and soft-sell or downplay the situation. Im zweiten Fall sind es fast immer Hilferufe – bitter klagend: Ukrainians cry for help oder flehend bittend: they appeal for help.

Apropos „Kiew“ und „Ukraine“: Die führenden englischsprachigen Medien verwenden für die Hauptstadt die Schreibweise Kyiv, die sich stärker an die ukrainische Sprache anlehnt als das früher übliche „Kiev“ oder das im Deutschen gängige Kiew.

Politisch wie grammatisch korrekt ist darüber hinaus seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 die Bezeichnung Ukraine – statt „the Ukraine“. Für uns bleibt das deshalb gewöhnungsbedürftig, weil wir weiterhin „die Ukraine“ sagen, selbst wenn es unterschwellig den russischen Anspruch auf „das Grenzland“ ausdrückt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz musste es nach seinen ersten englischsprachigen Äußerungen in Washington erst lernen.

Überhaupt demonstrierte Scholz die Schwierigkeiten, für das Thema auf flüssiges Englisch umzuschalten. Er kündigte Mitte Februar Deutschlands Beistand an – „… if there would be an military aggression or invasion of Russia to the Ukraine“. Rein sprachlich ist das Humbug. Erstens verstieß der Satz gegen die Hauptregel englischer Sätze mit if: ohne would! Und zweitens mahnte er an die unmissverständliche Verwendung der hier zentralen Begriffe „aggression“, „invasion“ oder auch „incursion“.
Generell gelten die folgenden englischen Präpositionen für Aggressionen, Übergriffe, Angriffe, Attacken, Invasionen, Missbrauch und Kriege:

1. aggression, incursion, invasion, assault, attack, abuse, war by Russia (nicht „of Russia“)
2. aggression/war against, incursion into, invasion/abuse of, assault/attack on

Geglänzt hätte der Bundeskanzler mit diesem Satz:
if there were to be/if there is a military invasion by Russia of Ukraine.

Selbstverständlich und omnipräsent ist Englisch in allen möglichen Nachrichten aus der internationalen Sphäre, seien es
– Reden von US-Präsident Joe Biden, der vor dem Krieg mit minor incursion Verwirrung gestiftet hatte. Später erklärte er, Russlands Angriff sei premeditated, unprovoked and unjustified – also „vorsätzlich“, „grundlos“ und „ungerechtfertigt“.
– Erklärungen von EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (We will cripple Putin's ability to finance his war machine … and use his war chest – seine Kriegskasse)
– oder die Tweets von Elon Musk, der den Menschen in der Ukraine mit seiner Starlink Technologie einen letzten Zugang zum Internet gibt.

Unterdessen fällt auf, dass aktuelle politische Debatten in Deutschland verhältnismäßig wenige Anglizismen enthalten. Das mag daran liegen, dass sie sehr grundsätzlich und staatstragend sind und wir kräftig in uns gehen – auf Englisch nennt man das soul-searching.

Lesen Sie auch: Erkennt man gutes oder schlechtes Englisch an einer deutschen Aussprache?

Heraus ragten dabei zwei Begriffe, die in den vergangenen Tagen auch häufig ins Englische übersetzt worden sind:
1. im Bundestag das Scholz'sche Diktum von der „Zeitenwende“ – an era of (epochal) change, a sea change, a turn of (the) eras, a paradigm shift, a watershed moment.
2. der kolossale Hinweis vom Chef des deutschen Heeres, Generalleutnant Alfons Mais. Ausgerechnet im amerikanischen Karrierenetzwerk LinkedIn bemerkte er: „Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da“ – the German army is (more or less) depleted. Mein Telefonjoeker Joe rät zu folgender Übersetzung: The German army has been hollowed out.

Auffällig ist zugleich, dass Anglizismen dann umso mehr ins sprachliche Spiel kommen, wenn es operativ wird – militärisch genauso wie privat!

So kennen wir mittlerweile alle SWIFT – the Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, auf Deutsch: „Genossenschaft für Zahlungsverkehr“. Sie wurde zu einem Teil der „hybriden Kriegsführung“ im Westen. Und wir hören zunehmend englischsprachigen Militärjargon, etwa über das Air Policing der NATO – die „Luftraumüberwachung“ – oder über fire-and-forget Abwehrraketen wie der von der blanken Bundeswehr an die Ukraine gelieferte Typ Stinger.

Von besonderer Bedeutung für unseren Alltag sind unterdessen zwei Anglizismen geworden:
– Prepping: Dazu sagt man auch „Survivalism“: Es ist die Vorbereitung auf Krisen, Krieg und Katastrophen. Was nicht wenige Menschen schon während der Corona (wie bitte?) Pandemie geübt haben, könnte in Zukunft noch eine größere Bedeutung haben.
– Doomscrolling: Wenn wir wie süchtig an den Bildschirmen kleben und zahllose unheilvolle Nachrichten konsumieren, also durch sie „scrollen“. Das Kofferwort enthält doomsday – den jüngsten Tag – und ist eine Anspielung auf doomsayer – die Untergangspropheten. Als Ablenkung von den schlechten Nachrichten ist längst auch schon doomsex ins Spiel gekommen.

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Peter Littger beschäftigt sich seit Langem mit deutsch-englischen Sprachverwirrungen und ist Autor unter anderem der Bestseller-Buchreihe „The Devil lies in the Detail – Lustiges und Lehrreiches über unsere Lieblingsfremdsprache“. Sie können Peter Littger auf Instagram und Twitter folgen.

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