TK-Schlafstudie Flexible Arbeitszeiten rauben uns den Schlaf

Jeder Dritte schläft schlecht. Bei Schichtarbeitern ist es besonders schlimm. Die innere Uhr hält sie wach, andere der Stress. Trotzdem halten Arbeitgeber Schlafstörungen für Privatsache. Das sollten sie nicht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Viele surfen vorm Schlafengehen. Quelle: dpa

"Früh zu Bett und früh aufstehen macht gesund, reich und klug", soll Benjamin Franklin einst gesagt haben. Beim Thema Gesundheit hat der Gründervater der USA auch heute noch Recht. Allerdings verhindert die moderne Arbeitswelt den von ihm propagierten Schlafrhythmus.

"Längst sind nicht nur Krankenhäuser und Tankstellen nachts geöffnet. Rund um die Uhr und rund um die Welt wird produziert, publiziert, verkauft und transportiert", sagt Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkassen. Diese hat einen bevölkerungsrepräsentativen Querschnitt der Deutschen zu ihrem Schlafverhalten befragen lassen.

Das Ergebnis: Jeder dritte Deutsche schläft nur mittelmäßig, schlecht oder sehr schlecht. Schuld hat häufig der Job - und seine Struktur. Denn: Je unregelmäßiger die Arbeitszeiten, desto schlechter kommen die Menschen zu Ruhe. Die Schlafqualität sinkt stark. Unter den sogenannten Flex-Beschäftigten, also Berufstätigen im Schichtdienst oder anderweitig wechselnden Arbeitszeiten, schläft die Hälfte höchstens fünf Stunden pro Nacht, 40 Prozent schlafen schlecht.

Schlafstörungen: Zu wenig Prävention und medizinische Versorgung

Für die Unternehmen wird das zunehmend zum Problem: Zwar entfielen laut der TK-Studie 2016 bei 100 Menschen nur neun Fehltage auf Schlafstörungen und nichtorganische Schlafstörungen. Doch die Zahl der Fälle steigt. Im Vergleich zum Jahr 2010 gibt es 90 Prozent mehr Fälle, die wegen Schlafstörungen ausfallen. Die Zahl der Fehltage ist um 315 Prozent gestiegen. Wer wegen Schlafproblemen zu Hause bleibt, bleibt im Schnitt für 18 Tage der Arbeit fern.

So schläft Deutschland

Und das Risiko, wegen Schlafproblemen auszufallen, wächst. Drei von zehn Beschäftigten arbeiten mittlerweile im Schichtdienst beziehungsweise unregelmäßig. Selbst denen, die einen Nine-to-five-Job haben, fällt es zunehmend schwerer, abzuschalten und Ruhe zu finden. Da piepst das Smartphone, da muss noch eine wichtige Mail vom Chef beantwortet und mit dem Kunden aus Übersee telefoniert werden.

All diese Schlechtschläfer riskieren auf Dauer ihre Gesundheit. Die Fehlerquote im Job steigt sogar unmittelbar nach einer schlaflosen Nacht. Wer müde ist, konzentriert sich nicht richtig.

Übermüdete Menschen sind ein Sicherheitsrisiko

Wer übermüdet mit dem Auto zur Arbeit pendelt, riskiert außerdem schwere Unfälle. Laut dem ADAC wirkt sich Schlafentzug auf das Fahrverhalten genau so aus, wie Alkohol. Wer 17 Stunden wach ist, fährt demnach genauso unaufmerksam, wie jemand mit 0,5 Promille im Blut. Wer seit 24 Stunden wach ist, könnte auch 1,0 Promille Blutalkoholgehalt haben.

Dieser Aspekt sollte besonders Taxibetriebe, Verkehrsverbünde, Speditionen und sonstige Logistik- und Transportunternehmen aufwecken. "Unausgeschlafene Beschäftigte sind für einen Verkehrsbetrieb ein großes Sicherheitsrisiko", bestätigt Stefanie Wagner, die bei der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH in Mannheim für das Betriebliche Gesundheitsmanagement verantwortlich ist. Sie sagt: "Die Frage, wie wir auch im Schichtdienst dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genügend Ruhezeiten bekommen, ist besonders wichtig."

Nachtschicht ist anstrengender als Frühschicht

Ganz unabhängig davon, wie viele Stunden jemand zwischen seinen Schichten schläft, kostet die Arbeit in der Nacht den Menschen auch mehr Energie, wie Untersuchungen des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) zeigen. "Die Frühschicht liegt bei 100 Prozent Energieeinsatz, die Spätschicht bei 113 und die Nachtschicht bei 156 Prozent", sagt Utz Niklas Walter vom IFBG.

Denn die innere Uhr des Menschen tickt im Tag-Nacht-Rhythmus. Das ändert auch kein Schicht- oder Optimierungsplan. "Wer nachts arbeiten muss - und das betrifft etwa jeden fünften Schichtarbeiter - liegt über Kreuz mit seinem natürlichen Biorhythmus. Gegen die innere Uhr zu arbeiten, kostet zusätzliche Energie", so Walter.

TK-Chef Baas appelliert deshalb an die Unternehmen, das Thema Schlafen und Entspannung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement zu verankern. Die Mehrheit der Arbeitgeber betrachte die Schlafprobleme ihrer Mitarbeiter - trotz der Auswirkungen auf die Arbeitsqualität - nämlich als persönliches Problem. Jedenfalls zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Krankenkasse zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) in Deutschland, dass nur knapp jedes zehnte Unternehmen das Thema Schlaf in der Gesundheitsförderung thematisiert. Gleichzeitig seien sich Führungskräfte und Personalverantwortliche aber einig, dass Schlaf zu den BGM-Themen gehört, die künftig am meisten an Relevanz gewinnen werden.

Wie viele Stunden verschiedene Personengruppen im Durchschnitt schlafen

Natürlich liegt die Schlafqualität auch in der Verantwortung der Mitarbeiter: Jeder Zehnte, bei den unter 30-Jährigen sogar jeder Fünfte, gibt an, dass das Smartphone auf dem Nachttisch oder unter dem Kopfkissen liegt und den Schlaf stört.

Handy, Tablet und Fernseher aus dem Schlafzimmer zu verbannen, liegt also in der Eigenverantwortung. Auch schweres Essen, sehr anstrengender Sport, Koffein oder Alkohol vor dem zu Bett gehen, stören die Nachtruhe. Hier können Arbeitgeber kaum einwirken.

Was sie aber tun können - Stichwort gesunde Führung - ist, für eine Unternehmenskultur zu sorgen, die den Feierabend respektiert. Denn 40 Prozent nennen Jobstress als Hauptgrund für ihre Schlafprobleme. Sie finden keinen Schlaf, weil sich das Gedankenkarussell um To-Do-Listen oder die zu lösenden Probleme dreht. Wie groß der Druck ist, den sich die Menschen machen, beeinflussen Führungskräfte maßgeblich.

Darüber hinaus können Arbeitgeber ihren Angestellten - gerade im Schichtdienst - mit einfachen Mitteln das Leben erleichtern: mit ergonomischen Schichtsystemen - und Ruheräumen. Von den Befragten, die Nachtschichten machen, wünschen sich 40 Prozent einen Rückzugsraum mit einem Sofa, auf dem sie für fünf Minuten die Füße hoch legen und die Augen zumachen können.

Selbst 30 Prozent der Angestellten ohne Nachtschicht würden sich wünschen, während des Arbeitstags die Möglichkeit für ein kurzes Mittagsschläfchen zu haben, um die Akkus wieder aufzuladen. Baas: "Die Herausforderung ist, ein gesundes Verhältnis zu finden zwischen dem Bedürfnis der Beschäftigten nach ausreichend Erholung und einem gesunden Sozialleben auf der einen und den betrieblichen Erfordernissen auf der anderen Seite."

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%